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Geralf als Sänger bei Gleichlaufschwankung
Der Autor 2017
Ich widme dieses Buch allen alternativen Projekten, die in den Wirren der Nachwendezeit entstanden.
Besonderer Dank geht an Tanja Trash, die die Idee zum Buch hatte. Des Weiteren danke ich allen Interview-Partner*innen für die Schilderung ihrer Erinnerungen. Besonderer Dank geht an Alüt für die Überarbeitung und Jan Sobe für die Vorlektorierung. Dann möchte ich noch Dirk Wunderlich für die Ergänzung meiner Erinnerungen an unsere Schlemihl-Records -Zeit, Daniela, Uli F., Susi B., Fxxx, Anti, Gnu, Connie, Nicky, Stahn für seine grandiosen Schlapplatten -Label-Tattoos, Steffen Schellhorn und Steffen Könau für Bilder und Zeitungsartikel, Markus S., Marco W., Henrik, Sigi, Oli L., Tilli, Hecht, Tino, André Z., Katrin R., Roi the Oy, Christoph aus Brandenburg, Ray S., Schrammel, Ulrike, allen, die Fotos für dieses Buch zur Verfügung gestellt haben, Gabi fürs Lektorieren und Conny fürs geduldige Layouten danken.
Für die veröffentlichten Zeitzeug*innen-Interviews gilt: Die Entstehung dieses Werks wurde durch ein Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen ermöglicht.
Als am 9. November 1989 die Mauer fällt, prallen zwei Systeme aufeinander, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Zwei verschiedene Welten. Tag und Nacht. Licht und Schatten. Der Osten geprägt durch 40 Jahre DDR-Diktatur und Vormundschaft des sozialistischen totalitären Staates und leere Kaufhallenregale. Der Westen geformt durch Demokratie, Meinungsfreiheit, aber auch durch die kapitalistischen Großkonzerne, den allgegenwärtigen Überfluss in den Warenregalen, Konsumdenken und dem Streben nach immer mehr Geld. Das schaffte innerhalb kürzester Zeit Spannungen.
Die DDR-Subkultur, insbesondere die Punk-, Grufti- und Hausbesetzerszene war in den letzten Jahren des untergehenden Arbeiter- und Bauernstaates schon rasant angewachsen. Nach der Wende explodierte sie zahlenmäßig. Es roch nach Freiheit und Anarchie. Überall wurden Häuser besetzt. Während die normalen Gaststätten ums tägliche Überleben kämpften, öffneten an jeder Ecke neue subkulturelle Szenekneipen, die sich vor Kundschaft kaum retten konnten. Die meisten wurden „schwarz“ betrieben. Für Anmeldungen, Genehmigungen, Steuern oder Gewerbescheine interessierte sich in dieser Zeit niemand. Es gibt Berichte, dass in manchen „Schwarz“-Szeneclubs Geld in solchen Mengen floss, dass es in Müllsäcken eingesammelt wurde. Punkkonzerte gab es nun an Orten, von denen wir früher nur träumten. Punkfestivals wurden organisiert. Leerstehende Fabrikhallen wurden in Konzertstätten und AJZ umfunktioniert. In Kellern und alten Bunkern fanden illegale Techno-Konzerte statt. Es war eine Zeit der Hoffnung, des Aufbruchs und der Kreativität. Jede noch so verrückte Idee konnte in die Realität umgesetzt werden. Alles war möglich. Diese Aufbruchsstimmung beschränkte sich nicht nur auf die Musik- und Jugendkulturszenen, sondern auch auf Familien- und Freizeitzentren, alternativpädagogische Bildungsprojekte und Initiativen für Umwelt und Naturschutz.
Die alte Macht hatte nichts mehr zu sagen. Die Regeln der neuen Gesellschaft waren allen fremd. Die „Volks“-Polizei, die 40 Jahre lang die Interessen der DDR-Diktatur durchgeknüppelt hatte, wurde von niemandem mehr ernst genommen. Sie tauchte kaum noch auf. Es entstand ein rechtsfreier Raum.
Diesen nutzte auch die ebenso rasant anwachsende Naziskin- und Neonaziszene. Brutale Überfälle auf Andersdenkende und Andersaussehende waren an der Tagesordnung. Auch Homosexuelle, Migrant*innen und Menschen mit Behinderungen wurden attackiert. Es entstanden überall im Land No-Go-Areas. Durch diese als Mensch, der nicht ins Raster der Nazis passte, zu laufen war lebensgefährlich. Baseballschlägerjahre! Auch wurden immer wieder besetzte Häuser angegriffen. Oft unter den Augen der anwesenden Polizei. Diese sah sich nur noch als Beobachter. Schutz brauchte in dieser Zeit niemand von den Uniformierten zu erhoffen. Es gab Tote. Ob man wollte oder nicht, es musste der Selbstschutz organisiert werden. Aus „Keine Gewalt“ wurde „Antifa heißt Angriff“. Es wurde aufgerüstet. Nun wurde es in immer mehr Stadtvierteln auch für Nazis gefährlich. Die Gewaltspirale drehte sich. Es war wie im Bürgerkrieg.
Als am 3.10.1990 die Wiedervereinigung Deutschlands gefeiert wurde, war der Großteil der Ex-DDR-Subkultur nicht gerade begeistert. Es gab Gegendemonstrationen. Die Hoffnung auf eine bessere DDR war zerstört. Aus heutiger Perspektive betrachtet war die Wiedervereinigung vermutlich der einzige Weg, der möglich war. Damals hatten die meisten auf ein Land gehofft, das die guten Seiten des sozialistischen Staates und die des Kapitalismus miteinander vereint. Eine gerechte soziale DDR, in der die Menschenrechte respektiert werden. In der die Bevölkerung Mitspracherecht hat. Eine Demokratie ohne Stasi-Terror. Wir wurden ja alle in eine Welt hineingeboren, in der es immer nur zwei deutsche Staaten gab. Dass daraus jemals ein gemeinsames Land werden würde, lag jenseits unserer Vorstellungskraft.
Der Westen drang in Form von Bananen, schnellen Autos, schicken Klamotten, tollen Möbeln und mit Geld winkenden Kapitalisten ins Land. Nazikader witterten ihre Chance, zogen in den Osten, rekrutierten und schulten die immer größer werdende Naziszene. Dazu kamen Unmengen windiger Verkäufer. Den Ossis konnten sie alles aufquatschen. Auch alle möglichen Kriminellen witterten ihre große Chance. Vom Bankräuber über Trickbetrüger bis hin zum Immobilienspekulanten: Jeder wollte im Osten das schnelle Geld machen. Die maroden Volkseigenen Betriebe wurden geschlossen und abgewickelt. Aus Industriezentren wurden Arbeitslosenzentren. In Folge kam es zu einer erneuten riesigen Völkerwanderung von Ost nach West. Allein aus Halle (Saale) zogen in der Folgezeit fast 90.000 Personen, also etwa ein Drittel der Einwohner*innen, auf der Suche nach Arbeit oder einem besseren Leben in den Westen.
Ganz anders sah es in der subkulturellen Szene aus. Für Punks und Hausbesetzer*innen waren die Zeiten nach der Wende, wenn man von den Problemen mit den Nazis absieht, geradezu paradiesisch. Das zog auch immer mehr Westpunks in den Osten. Die Ex-DDR-Szene wurde nun mit allerlei unschönen und bis dahin unbekannten Marotten konfrontiert. Sich vor einen Einkaufsmarkt zu setzen und mit „Haste ma ’ne Mark“ fremde Menschen anzubetteln, die als Spießbürger verachtet wurden, war eine davon. So was gab es in der DDR-Punkszene nicht. Dazu waren wir viel zu stolz, Punks zu sein. Doch gerade diese Art Bettelpunks verbreiteten sich immer mehr in allen größeren Städten. Ein weiteres Problem, das in den Osten rüberschwappte, waren Drogen aller Couleur. Nicht nur in der Punkszene, aber leider eben auch dort. Immer mehr unangenehme Menschen nahmen inzwischen das Punkoutfit an. Auch was das Randale-Potential betraf, gab es nun keine Grenzen mehr. Manche Punkfestivals hinterließen komplett verwüstete Dörfer oder Stadtviertel und verzweifelte Veranstalter. Alles schwappte ins Extreme. Ratlosigkeit herrschte.
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