Einem „dummen‟Programm mittels Definitions-Regeln beizubringen, dass die Aussage in einem Online-Forum „DAS ist ja mal eine gute Marke‟ nicht unbedingt positiv gemeint sein muss, stellt eine Herausforderung dar. Ist die zitierte Aussage im Kontext wirklich positiv gemeint oder stellt sie eine negative, von Zynismus gefärbte äußerung dar? [29]
Auch gepostete Bilder können positiv oder negativ konnotiert sein, was nur menschliche Intelligenz feststellen kann.
Auto-Textanalysen finden sich in der heutigen deutschsprachigen Forschungspraxis deshalb vor allem in Form von Wortschatzanalysen (vgl. Brosius/Haas/Koschel 2016: 173f.) 22oder als Textauffinder. Bewertende Inhaltsanalysen führen im Idealfall nach wie vor geschulte Codierende durch.
2.4 | Beobachtung
Bei einer Beobachtung werden Situationen, Handlungen und Verhaltensweisen dort erfasst, wo sie geschehen. Beobachtungen können Einzelpersonen, miteinander agierende Gruppen oder auch Dinge (z.B. Gegenstände) betreffen.
Wissenschaftliche Beobachtungen unterliegen strengen Regeln: Mehr als bei jeder anderen Forschungsmethode wirken hier subjektive Wahrnehmung und Einstellungen der beobachtenden Person sehr schnell verzerrend auf die Ergebnisse. Unkontrolliert beobachtet jeder Mensch etwas Anderes, jedem Individuum fallen andere Dinge besonders auf.
Deshalb müssen wissenschaftliche Beobachtungen die Realität sehr genau „filtern‟: Es ist essentiell, exakt zu definieren, WAS vom Beobachteten im Detail registriert und protokolliert werden soll, und was nicht.
Analog zum Codierschema bei Inhaltsanalysen wird deshalb bei Beobachtungen ein Beobachtungsbogen erstellt (vgl. Abbildung 5 auf Seite 31). Darin werden die Beobachtungsinhalte klar definiert. Außerdem muss es genaue Pläne geben, wann, was, wer und wo beobachtet wird.
Auch audiovisuelle Aufzeichnungstechniken sind empfehlenswert: Oft können sonst nach dem Beobachten nicht mehr alle Inhalte lückenlos reproduziert werden.
Beobachtungen werden gerne mit Befragungen kombiniert: Erhebungspersonen können z.B. die Befragten nach gewissen vorher festgelegten Kriterien beobachten und deren Reaktionen auf bestimmte Fragestellungen oder Reize notieren.
Die beobachtende Person kann Teil des Geschehens sein ( teilnehmende Beobachtung) oder eine Betrachterrolle „von außen‟ einnehmen. Beobachtungen können in künstlicher Umgebung ( Laborbeobachtung) oder „mitten im Leben‟ ( Feldbeobachtung) stattfinden.
Als Anwendungsfälle für künstliche Laborbeobachtungen lassen sich beispielhaft die Media-, Leserschafts- und Werbeforschung mit Hautwiderstandsmessungen anführen. Auch Neuro-Marktforschung (Elektroden messen Spannungen der Haut oder Hirnströme, die bei hoher Aufmerksamkeitserregung ansteigen) und Blickverlaufsregistrierung (Eyetracking, vgl. Abbildung 6 auf Seite 31) fallen in diesen Bereich.
Beispiele für natürliche Feldbeobachtungen sind Beobachtungen des Konsumentenverhaltens oder Formen der Konkurrenzforschung. Passanten- und Schaufensterbeobachtungen oder die verbreiteten Mystery-Tests zählen ebenso dazu. [30]
Abbildung 5: Beobachtungsbogen Handynutzung am Steuer(in Anlehnung an BORTZ/DÖRING 2016: 343)
Abbildung 6: Eyetracking-Ergebnis der Website howtodo.at(Vorgängerband 2016) [31]
Bei einem Mystery-Call oder Mystery-Shopping geben sich Erhebungspersonen als Kundinnen oder Kunden aus. Sie konfrontieren das Verkaufs- und Servicepersonal einer Firma mit alltäglichen Kundenanliegen oder sind beobachtend und protokollierend – z.B. in Verkaufsräumen – unterwegs. Mystery-Tests können auch in Testanrufen oder Testkäufen bestehen. Noch einen Schritt weiter gehen simulierte Beratungsgespräche oder Rollenspiele zur Beurteilung von z.B. Kundenbetreuungspersonal im Außendienst.
Auch bei Mystery-Tests gibt es für eine systematisierte und vor allem streng objektivierte Erfassung Beobachtungs- oder Protokollbögen(vgl. Abbildung 7).
Die Testpersonen sollen möglichst ohne Beurteilungsspielraum testen: Das lässt sich v.a. über Faktenabfragen, die ausschließlich mit „ja‟ oder „nein‟ zu beantworten sind, realisieren. Etwaige Schulnotenbeurteilungen, die eine individuelle Meinung von Testerinnen oder Testern widerspiegeln, sollten die Ausnahme darstellen.
Abbildung 7: Mystery-Protokoll für Selbstbedienungs-Restaurants (Auszug)
Die Testenden müssen glaubwürdige und möglichst authentische Typen verkörpern:
Nicht besonders realistisch würden z.B. ältere Menschen wirken, die ein Studentenkonto eröffnen wollen.
Firmeneigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind als Testpersonen weniger gut geeignet (Kollegialitätsprobleme). Möglichst viele Mystery-Checker sollten ihre Beobachtungen möglichst gleichmäßig und breit über Tageszeiten und Wochentage streuen. Keinesfalls darf dabei die Anonymität der Getesteten verletzt werden: Die Beobachteten sollten immer [32] (vorab) informiert werden, dass Tests stattfinden (VGL. dazu auch SEITE 46 im KAPITEL „3.3.1 | Forschungsethik‟).
2.5 | Gruppendiskussion (Fokusgruppe)
Bei einer Gruppendiskussion diskutieren etwa sechs bis 12 Personen unter der Leitung einer moderierenden Person rund ein bis zwei Stunden lang zu einem bestimmten Thema. Dabei wird die alltägliche Situation eines Meinungsbildungsprozesses möglichst gut nachgebildet.
Die Situation eines Gesprächs in der Gruppe kann dazu beitragen, Hemmungen abzubauen und wechselseitig Anregungen im Gespräch aufzugreifen. Dadurch wird der weitere Verlauf der Diskussion gefördert (vgl. Ebster/Stalzer 2017: 211).
Ein großer Vorteil, den Fokusgruppen besitzen, ist die Möglichkeit, Gegenstände und Informationsmaterial direkt in den Forschungsprozess miteinzubeziehen. Die Gruppe kann über audiovisuelle, technische oder Prototypen jeglicher Art diskutieren – z.B. über Werbesujets, Logos, textliche Formulierungen, Prospekte, Publikationen, Düfte, Modellentwürfe usw. Das Material benötigt keine hohe Testauflage (Stückzahl) und wird trotzdem in konkret erlebbarer Ausgestaltung direkt in den Zielgruppen abgetestet.
Damit auf keine Fragestellungen vergessen werden kann, skizziert ein vorab erstellter Diskussionsleitfaden den Ablauf (vgl. Abbildung 31 auf Seite 114).
Die Ergebnisse einer Gruppendiskussion werden stark durch die Moderation gelenkt: Immer dann, wenn das Gespräch abflacht oder das Diskussionsthema verlassen wird, greift die Diskussionsleitung lenkend ein. Eine wichtige Rolle der Moderation besteht auch darin, zwischen redegewandten und stilleren Gruppenmitgliedern einen Ausgleich zu schaffen. Alle sollten gleichermaßen zu Wort kommen: Bereits vor der Diskussion muss deshalb sichergestellt worden sein, dass alle teilnehmenden Personen überhaupt einen Bezug zum Diskussionsgegenstand haben.
Ob eine Diskussionsgruppe homogen oder heterogen zusammengestellt wird, hängt von Themenstellung und Ergebniserwartung ab.
Homogene Gruppen können durch eine ähnliche Gruppenmeinung ein Ergebnis im Idealfall verfeinern und vertiefen. Ein allzu einheitliches und wenig differenziertes Gesamtmeinungsbild kann aber auch den Nachteil haben, nur wenig neue Erkenntnis zu bringen. Bei heterogenen Gruppen besteht diese Gefahr kaum. Hier kann es jedoch vorkommen, dass Einzelmeinungen falsch auf größere (Ziel-)Gruppen übertragen (verallgemeinert) werden: Eine Einzelperson kann einer Zielgruppe zwar strukturell absolut entsprechen, aber meinungsmäßig vielleicht völlig untypisch argumentieren.
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