24Staatsgewalt wird durch die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung ausgeübt, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Die Verwaltung ist Teil der vollziehenden Gewalt und ihr Aufgabenbereich daher von der Gesetzgebung und der Rechtsprechung abzugrenzen. Eine positive Definition dessen, was Verwaltung ausmacht, ist kaum möglich. Überwiegend wird ihr Aufgabenbereich negativ abgegrenzt: Verwaltungstätigkeit umfasst, was weder Gesetzgebung noch Rechtsprechung ist. 10
25Gewaltenteilung bedeutet nicht, dass alle drei Gewalten unabhängig voneinander existieren und arbeiten. Im Gegenteil: Die Verwaltung vollzieht die vom Gesetzgeber erlassenen Gesetze und wird von den Gerichten kontrolliert. Der Gesetzgeber regelt Zuständigkeiten der Verwaltung, Kontrollmöglichkeiten und Umfang der Kontrolle (siehe VwGO). Die Gerichte wiederum kontrollieren Verwaltungs- aber auch Gesetzgebungsakte. Gewalten teilungbedeutet aber, dass jede Gewalt einen eigenen Aufgabenbereich hat, der von den anderen beiden Gewalten unangetastet bleibt. Bei der Exekutive spricht man insofern vom Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Auch außerhalb dieses Kernbereichs hat die gegenseitige Kontrolle Grenzen, insb. bei sog. Entscheidungsspielräumender Verwaltung. Solche Spielräume müssen nach h. M. 11 gesetzlich angeordnetsein. Gerichteprüfen Entscheidungen der Verwaltung, die auf Grundlage eines eingeräumten Entscheidungsspielraums erlassen wurden, nicht vollumfänglich, sondern nur auf bestimmte Fehler, siehe → Online-Fall 4 12, → Fall 2. Wichtigster Entscheidungsspielraum ist der Ermessensspielraum, der gem. § 114 VwGO nur auf die drei Ermessensfehler(Ausfall, Fehlgebrauch und Überschreitung) zu prüfen ist; ein Gericht kann hier keine eigene Ermessensentscheidung im Sinne einer Zweckmäßigkeitserwägung anstellen. 13
Beispiel:
26Gastwirt G hat in einem Zeitraum von drei Wochen in sieben Fällen Alkohol an Minderjährige ausgeschenkt. In einem dieser Fälle gab er der 15-jährigen M neun Tequila-Shots, obwohl M bereits erkennbar betrunken war. M wurde mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt.
Nach dem Vorfall widerruft die zuständige Gaststättenbehörde die Gaststättenerlaubnis 14und ordnet die Schließung der Gaststätte 15an, verbunden mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung 16der beiden Maßnahmen. Sie droht ferner die Festsetzung eines Zwangsgeldes 17 in Höhe von 500 €für den Fall an, dass G die Gaststätte nicht binnen einer Woche schließt. G weigert sich und erhebt einen erfolglosen Widerspruch.
27In der daraufhin eingelegten Anfechtungsklage prüft das Verwaltungsgericht insb., ob die Behörde ihr Ermessen überschritten hat, § 114 VwGO. Für die Androhung des Zwangsgeldes läuft dies auf eine Überprüfung dahingehend hinaus, ob die behördliche Einschätzung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit eines Zwangsgeldes in Höhe von 500 € in Ordnung ist (Verhältnismäßigkeit).
Im Fall lagen immense Gefahrenfür die Gesundheit vieler Minderjähriger vor (viele Fälle in kurzer Zeit, junge Personen, viel Alkohol, keine Einsicht des G). Unter Beachtung dieser Interessen, hätte die Behörde wohl auch ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 € oder mehr androhen können. Sie hätte auch 250 € androhen können, wenn sie das zunächst für ausreichend hält. Sie hätte ggf. auch anstelle eines Zwangsgeldes die unmittelbare Ausführung durch sog. Versiegelung der Gaststätte androhen können.
All diese Maßnahmen wären vom Ermessensspielraum der Behörde gedeckt. Das Gericht kann keine Überschreitung des Ermessensspielraumesfeststellen. Hält das Gericht ein Zwangsgeld von 250 € oder 1.000 € für sinnvoller (zweckmäßiger), kann es die Entscheidung der Behörde gleichwohl nicht abändern. Das Gericht darf keine eigene Ermessensentscheidung anstelle der Verwaltung treffen.
III.Das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG
28Das Rechtsstaatsprinzip stellt ein sehr weitreichendes verfassungsrechtliches Prinzip dar. Er zerfällt in den formellen Rechtsstaatsbegriff, nachdem sich jede staatliche Maßnahme an Gesetz und Recht messen lassen können muss und den materiellen Rechtsstaatsbegriff, nachdem jedes staatliche Handeln sich auch materiell vom Gerechtigkeitsgedanken leiten lassen muss. Darüber hinaus haben Rechtsprechung und Literatur zahlreiche weitere wichtige Grundsätze aus dem Rechtsstaatsprinzip entwickelt.
Die konkreten Aussagen des Rechtsstaatsprinzips zu umschreiben ist keine einfache Aufgabe, weil es sich zum Teil mit anderen Prinzipien (insb. dem Demokratieprinzip) überschneidet. Im Folgenden sollen die für die Verwaltung wichtigsten Aspekte des Rechtsstaatsprinzips erläutert werden. Dazu zählen die Normenhierarchie, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Rechtssicherheit. 18
29Die Normenhierarchie ordnet die verschiedenen Rechtsvorschriften und gibt Aufschluss darüber, welche Norm sich im Kollisionsfall durchsetzt.
30 Verfassungsgesetzestehen an höchster Stelle der Normenhierarchie. Dies sind das Grundgesetz und die Länderverfassungen. Auf der Ebene der sog. „einfachen Gesetze“ wird zwischen Gesetzen im formellen und Gesetzen im materiellen Sinn unterschieden. Gesetze im formellen Sinnesind solche, die formell, d. h. unter Mitwirkung des Parlaments (Bundestag; Landtag) zustande gekommen sind. Gesetze im materiellen Sinnesind alle abstrakt-generellen Regelungen, die Rechte und Pflichten für Bürger und sonstige Personen regeln (Außenwirkung). Generell meint für jedermann, abstrakt meint für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen. Gesetze im formellen Sinn sind meist auch Gesetze im materiellen Sinn, 19aber nicht alle Gesetze im materiellen Sinn sind auch Gesetze im formellen Sinn (z. B. Rechtsverordnungen, Satzungen).
31 Rechtsverordnungensind Gesetze, die von Exekutivorganen (Regierungen, Verwaltungsbehörden) zur Regelung staatlicher Angelegenheitenerlassen werden. Weil sie nicht von Parlamenten, sondern von der Exekutive erlassen werden, sind sie Gesetze im materiellen, nicht aber im formellen Sinn. Dazu zählen die StVO, die GastVO BW, Polizeiverordnungen (§§ 17 Abs. 1, 1 Abs. 1 PolG BW) oder die DVO zum PolG. Erforderlich für den Erlass einer Rechtsverordnung ist eine formell-gesetzliche Grundlage. 20Die Verwaltung erhält hier also eine vom Gesetzgeber abgeleitete (delegierte) Rechtssetzungsmacht.
32(Öffentlich-rechtliche) Satzungensind Rechtsvorschriften, die von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrergesetzlichen Autonomiemit Wirkung für die ihr angehörigen Personen erlassen werden. Satzungen sind also Ausdruck der Selbstverwaltung, wie sie Gemeinden und Landkreise (kommunale Selbstverwaltung, Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 71 Abs. 1 LV BW) aber auch Hochschulen, berufsständische Kammern oder Rundfunkanstalten (sog. funktionale Selbstverwaltung) innehaben. Beispiele sind Bebauungspläne (§ 10 BauGB), die Hauptsatzung, Benutzungssatzungen für öffentliche Einrichtungen, Satzungen der Hochschulen und Universitäten.
33 Verwaltungsvorschriftensind abstrakt-generelle Regelungen, die von einer Behörde gegenüber ihren nachgeordneten Behörden oder durch einen Vorgesetzten gegenüber seinen unterstellten Mitarbeitern erlassen werden. Verwaltungsvorschriften sind reines Verwaltungs innenrechtohne Außenwirkung. Sie enthalten keine Rechtsgrundlagen, um (belastende) Verwaltungsakte zu erlassen. Sie dienen vielmehr der Regelung bestimmter Verwaltungsabläufe, der einheitlichen Auslegung von Tatbestandsmerkmalen oder der einheitlichen Anwendung des Ermessens. Außenwirkung erlangen sie daher allenfalls mittelbar, wenn sie von der Behörde in vergleichbaren Fällen zur Auslegung des Gesetzes herangezogen wurde (sog. Selbstbindung der Verwaltung über Art. 3 Abs. 1 GG). Beispiele sind die VwV-StVO, die VwV-Denkmalförderung oder die VwV-Korruptionsverhütung und -bekämpfung.
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