Zwar liegen zum Kommunalwahlrecht einzelner Bundesländer mehrere Kommentare vor. Diese sind jedoch nur sehr bedingt auf die Bestimmungen anderer Länder übertragbar. Zum niedersächsischen Kommunalwahlrecht ist zuletzt im Jahre 1972 ein Kurzkommentar erschienen. 4Die nachfolgenden Erläuterungen stützen sich vor allem auf eine systematische Auswertung der – zum großen Teil unveröffentlichten – Rechtsprechung zum niedersächsischen Kommunalwahlrecht, die aufgrund zahlreicher Wahlanfechtungen verhältnismäßig umfangreich ist. Sonstige Rechtsprechung zum Wahlrecht wurde ergänzend herangezogen.
Die in Teil A dargestellte Entwicklung des niedersächsischen Kommunalwahlrechts seit 1946 zeigt die wechselvolle Geschichte eines Rechtsgebiets, das in einem Zeitraum von 40 Jahren fast 30 gesetzliche Änderungen erfahren hat. Diese sind zum Teil Ausdruck einer permanenten Wahlrechtsdiskussion in Wissenschaft und Politik, 5zum Teil gehen die häufigen Novellierungen aber auch auf Erwägungen der politischen Opportunität und auf partei- und koalitionspolitische Überlegungen zurück. Verfassungsfragen sind Machtfragen, wie zu Recht festgestellt worden ist. Dies gilt weitgehend auch für Fragen des Wahlrechts.
Hannover, im Januar 1986
W. S.
Vorwort
Abkürzungen
A Die Entwicklung des niedersächsischen Kommunalwahlrechts seit 1946
B Niedersächsisches Kommunalwahlgesetz (NKWG)
Erster Teil Allgemeines
Zweiter Teil Wahl der Abgeordneten
Erster AbschnittGliederung des Wahlgebiets
Zweiter AbschnittWahlorgane und Wahlehrenämter
Dritter AbschnittWahlvorbereitung und Wahlvorschläge
Vierter AbschnittWahlhandlung
Fünfter AbschnittFeststellung und Bekanntgabe des Wahlergebnisses
Sechster AbschnittWahlen aus besonderem Anlass
Siebter AbschnittErsatz von Abgeordneten, Ausscheiden von Ersatzpersonen
Dritter Teil Direktwahl
Erster AbschnittAllgemeines
Zweiter AbschnittErste Wahl
Dritter AbschnittStichwahl, Wiederholungswahl, neue Direktwahl, Abwahl
Vierter Teil Wahl der Mitglieder des Stadtbezirksrates, des Ortsrates und der Einwohnervertretung
Fünfter Teil Wahlprüfung und Wahlkosten
Sechster Teil Schlussvorschriften
Anhang 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Anhang 2 Niedersächsische Verfassung
Anhang 3 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG)
Anhang 4 Niedersächsische Kommunalwahlordnung (NKWO)
Anhang 5 Termine der niedersächsischen Kommunalwahlen
Stichwortverzeichnis
Die Entwicklung des niedersächsischen Kommunalwahlrechts seit 1946
Übersicht |
I. |
Kommunalwahlen nach alliiertem Recht |
II. |
Niedersächsisches Kommunalwahlrecht 1947–1955 |
III. |
Umgestaltung des Wahlrechts 1955–1958 |
IV. |
Wahlrechtsänderungen seit 1960 |
1. |
Übersicht |
2. |
Kommunalverfassungsrechtliche Wahlvorschriften |
3. |
Wahlsystem |
4. |
Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung |
5. |
Wahlvorschläge |
|
a) |
Träger von Wahlvorschlägen |
|
b) |
Wahlvorschlagsverbindungen |
|
c) |
Unterstützungsunterschriften |
6. |
Direktwahl |
7. |
Inklusives Wahlrecht |
8. |
Sonderregelungen für epidemische Lagen |
9. |
Sonstiges |
|
a) |
Briefwahl |
|
b) |
Stimmbezirk, Wahlbezirk, Wahlbereich |
|
c) |
Reihenfolge der Wahlvorschläge |
|
d) |
Stimmenzählgeräte |
|
e) |
Fristen |
|
f) |
Geschlechtsneutrale Begriffe |
|
g) |
Wahlordnungen |
I.Kommunalwahlen nach alliiertem Recht
Als im Herbst 1946 in der damaligen britischen Besatzungszone die ersten Kommunalwahlen nach dem Kriege stattfanden, existierte das Land Niedersachsen noch nicht. Noch vor Gründung des aus den Ländern Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe gebildeten Landes Niedersachsen im November 1946 wurden auf Anordnung der britischen Militärregierung 1am 15.9.1946 Gemeindewahlen und am 13.10.1946 Kreiswahlen abgehalten.
Ziel der britischen Besatzungspolitik war es, die Demokratie in Deutschland von unten nach oben aufzubauen, wobei die britischen Traditionen als geeignetes Vorbild für die künftigen politischen Verhältnisse Deutschlands angesehen wurden. So wie die Briten der deutschen Tradition der kommunalen Selbstverwaltung misstrauten und die englische Kommunalverfassung zur Maxime der Demokratisierung machten, 2so lehnten sie auch die Wiedereinführung des in der Weimarer Republik geltenden Verhältniswahlrechts ab, das ihrer Meinung nach die Parteienzersplitterung fördern und den persönlichen Kontakt zwischen Wählern und Gewählten erschweren würde. Anders als in der amerikanischen Besatzungszone, wo im Januar 1946 Kommunalwahlen nach dem Verhältniswahlsystem stattgefunden hatten, wurde daher für die Kommunalwahlen in der britischen Zone das Mehrheitswahlsystem eingeführt. 3
An den Vorbereitungen der Kommunalwahlen wurde als beratendes Organ ein deutscher „Arbeitsausschuss“ beteiligt. Zu den 17 Mitgliedern dieses Gremiums gehörten elf Verwaltungsbeamte, je ein Mitglied von CDU, SPD und KPD, je ein Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeber sowie ein Unabhängiger. Die drei Letztgenannten wurden von der Militärregierung ernannt. Vorsitzender des Ausschusses war der spätere Bundesminister Gerhard Schröder. Der Arbeitsausschuss widersetzte sich den britischen Absichten zur Einführung des reinen Mehrheitswahlsystems, insbesondere weil er fürchtete, dass hierdurch die Bildung von Oppositionsparteien erschwert würde. Nach mehreren Zusammenkünften im Januar, Februar und April 1946 fanden sich die Briten zu einem Kompromiss bereit, wobei jedoch die Elemente der Mehrheitswahl weiterhin dominierten.
Nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 32 vom 30.5.1946 4hatte jeder Wähler so viele Stimmen, wie Vertreter im Wahlgebiet zu wählen waren. Den größten Teil der Sitze erhielten die Bewerber mit den höchsten Stimmenzahlen. Ein kleinerer Teil wurde nach dem Proportionalsystem über Reservelisten verteilt. Dieser Verteilung lagen die unverbrauchten Reststimmen zugrunde, d. h. die für unterlegene Bewerber abgegebenen Stimmen, soweit sie über die zur Gewinnung des Sitzes erforderliche Stimmenzahl hinausgingen. Für Gemeinden bis zu 500 Einwohnern galt eine Sonderregelung.
Nach Art. IV der Verordnung Nr. 31 vom 30.5.1946 5sollte jedes Jahr ein Drittel der Vertreter sein Mandat niederlegen. Jährlich sollten Ergänzungswahlen stattfinden, bei denen eine Wiederwahl der zurückgetretenen Mandatsträger möglich war. Die Bedenken, die der Arbeitsausschuss gegen diese Regelung, die ebenfalls auf britische Vorbilder zurückging, vorbrachte, blieben erfolglos.
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