Für die Kap. 40–54 ist charakteristisch, dass JHWHs Sorge für Israel wesentlich damit zusammenhängt, dass er auch den Kosmos hervorgebracht hat. Die gewöhnliche Trennung von Schöpfung und Erlösung hilft hier nicht weiter. Das Verb
»schöpfen« kennt im AT immer nur JHWH als Subjekt. Zwar umgibt das Motiv »JHWH als Schöpfer« das ganze Buch Jesaja (vgl. 4,5 und 65,17; 66,22), aber es ist in den sogenannten deuterojesajanischen Kapiteln verstärkt belegt, zuvorderst in deren Eröffnungsteil. JHWH hat das Universum geschaffen und dieses für Israel unleugbare Faktum wird gegen die Klage in Stellung gebracht, JHWH habe weder die Macht noch den Willen, sein Volk aus dem babylonischen Exil zu befreien (40,22–28; 41,20). Durch die Berufung des Knechts für Israel und die Völker entbehrt diese Klage aber jeglicher Grundlage. In den Gerichtsreden der Kap. 43–45 wird der Knecht Israel zum Zeugen für JHWHs einzigartige Befehlsgewalt über den Kosmos, die auf seinem schöpferischen, universellen Heilswillen gründet (48,18–22).
Der Terminus »schöpfen« wird regelmäßig ergänzt oder ersetzt durch vier andere Begriffe: »bilden« (
), »machen« (
und
) und »[den Himmel] ausbreiten« (
). Folgende Verse seien hier besonders genannt: 42,5: »Der den Himmel geschaffen hat und ihn ausbreitet« (vgl. 44,24); 43,7: »alle, die ich zu meiner Ehre geschaffen habe. Ich habe sie gebildet, ja, ich habe sie gemacht«; 45,7: »Der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Heil vollbringt und Unheil schafft, ich JHWH, bin es, der all dies vollbringt«. Diese Schöpfungsverben spielen im zweiten Buchteil eine wichtige Rolle, und zwar mit unterschiedlicher semantischer Aufladung. »Bilden« lässt an die kunstvolle Arbeit des Töpfers denken (
: 41,25; 43,1.7.21; 44,2.9–12.21.24; 45,7–11.18; 46,11; 49,5); »machen« zielt stärker auf das Ergebnis des Tuns (
: 40,23; 41,4.20; 42,16; 43,7; 44,2.13–17.23–24; 45,7.12.18; 46,4.6.10–11; 48,3.5.11.14; 51,13; 54,5) oder des Arbeitens ab (
: 41,4; 43,13; 44,12.15; 45,9–11). »[Den Himmel] ausbreiten« betrifft das von Gott Ausgespannte über der Erde, das zugleich die Schwelle zu der ihm eigenen Domäne markiert (
: 40,22; 42,5; 45,12; 51,13; 54,2). Zusammen decken diese Verben das allumfassende Handeln Gottes ab. In diesem Kontext steht JHWHs Führung der Geschicke Israels an oberster Stelle; sie ist aber transparent hin auf seine Macht über den gesamten Kosmos (43,15–17; 44,1–4.21–24; 45,11–13.18). Im letzten Buchteil klingt dieses Thema noch nach (64,7; 65,17), so wie der erste es präludierte (27,11; 37,26). Das Bekenntnis zu »JHWH als Schöpfer« hat seinen Ort in der monotheistischen Gottesvorstellung: Israels Gang durch die Jahrhunderte zeugt von der Geschichtslenkung durch den einen und alleinigen Gott, der den Kosmos in Zeit und Raum zugunsten des Lebens auf der Erde ordnet und erhält. Wahrscheinlich entstand diese Schöpfungstheologie in der Auseinandersetzung mit den Hauptgottheiten Marduk im Kult Babels bzw. Ahuramazda in der persischen Reichsideologie. 90Sie nimmt nicht nur in Deuterojesaja, sondern auch in den Psalmen, der Priesterschrift und in der Weisheit eine zentrale Stellung ein.
Zwei weitere, für Jes 40–54 bedeutsame Epitheta stehen mit dem Titel des »Schöpfers« in enger Verbindung:
»Erlöser« (M. Buber: »Auslöser«) und
»Retter« (M. Buber: »Befreier«). Die Bezeichnung »Erlöser« stammt aus der Rechtssphäre und setzt eine Verantwortlichkeit aufgrund von Verwandtschaftsbanden innerhalb des Stammes, des Clans oder der Großfamilie voraus. 91In Kap. 40–66 steht der Titel überwiegend in Gottesreden, in denen sich JHWH seines Bandes mit Israel bewusst ist und sich verpflichtet fühlt, seinem Volk beizustehen (41,14; 43,1.14; 44,6.22–24; 47,4; 48,17; 49,7.26; 52,9; 54,5.8; 59,20; 60,16; 63,9.16).
Der Titel »Retter« ist in Deuterojesaja nur selten in profanem Sinn gebraucht, sondern meist in typisch religiösem Sinne eingesetzt. Zudem ist das Wort »Rettung« (
) Bestandteil des Namens »Jesaja« (
»JHWH ist Rettung«) und zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch (12,2–3; 25,9; 26,1.18; 33,2.6; 49,6.8; 51,6.8; 52,7.10; 56,1; 59,11.17; 60,18; 62,1). In Kap. 40–66 ist das Wort immer mit JHWH als Subjekt verbunden (bereits in 25,9; 33,22; 35,4; 37,20.35; 38,20; danach in 43,3.11–12; 45,15.17.21–22; 49,25–26; 59,1; 60,16; 63,1.8–9). Die göttliche Rettung ist übrigens ein fester Bestandteil des prophetischen Diskurses. Von daher ist der Aspekt des zu Hilfe Kommens in der Not ebenso stark wie der des effektiven Errettens aus der Not. 92
Des Weiteren zeichnet Jes 40–54 die kraft- und machtvolle Redeweise aus, mit der JHWH sein unvergleichbares Gottsein zum Ausdruck bringt: »ich bin JHWH, der …« (
) 93oder »ich bin es …« (
) 94mit nominaler oder verbaler Ergänzung. Als Beispiel kann die folgende Passage dienen: »Ich, ich bin JHWH, und keinen Retter gibt es außer mir. Ich war es, der es verkündet hat, und ich habe gerettet, und ich habe es hören lassen, und kein fremder Gott war bei euch. Und ihr seid meine Zeugen, Spruch JHWHs, und ich bin Gott. Auch künftig bin ich es, und keinen gibt es, der aus meiner Hand rettet. Ich mache es, und wer könnte es wenden?« (43,11–13).
Die Fachliteratur spricht in diesem Zusammenhang von einer göttlichen Selbstvorstellungsformel, die Parallelen in vergleichbaren Texten der altorientalischen Literatur besitzt, in denen sich eine Gottheit oder ein durch sie ermächtigter König als unbestrittene Autorität präsentiert. 95Dennoch ist ein wesentlicher Unterschied zu beachten: JHWH stellt sich nicht in erster Linie denen vor, die ihn noch nicht kennen (vgl. Ex 3,13f.), sondern unterstreicht seinen Rettungswillen und seine Rettungsmacht zugunsten Israels in der Notsituation des babylonischen Exils. Damit erhebt er Anspruch auf eine exklusive Stellung als einzige Gottheit, die effektiv retten kann (45,20–25), im ausdrücklichen oder impliziten Kontrast zu den Göttern der Völker, besonders den babylonischen (vgl. 1 Kön 18,39: »JHWH, er ist Gott« [implizit: »und nicht Baal«]).
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