Ulrich Dehn - Kein Buch

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Markus Fabius ist Schriftsteller. Genau gesagt, er wäre es gerne. Er sitzt am Schreibtisch vor dem PC und es passiert nichts in seinem Kopf. Außer Frustration darüber, dass nichts passiert. Markus lenkt sich ab, tut Dinge in seiner Wohnung, geht spazieren, beobachtet Menschen, sieht alles Mögliche, und versucht es immer wieder. Aber es geht nicht. Markus macht eine Reise, weil er weiß, dass viele Dichter dies getan haben. Er bucht sie bei einer charmanten Beraterin des nächstgelegenen Reisebüros. Er reist nach Florenz und lernt die Stadt als Tourist kennen, zugleich sucht er immer weiter nach dem entscheidenden Moment des Schreibens. Es treten unerwartete und unerfreuliche Wendungen seines Aufenthaltes und Lebens ein. Eine Frau, eine Nacht. Kommt nun doch noch die Idee zu einem ersten Satz und einem Buch?

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Ulrich Dehn

Kein Buch

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Inhaltsverzeichnis

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Kein Satz, nichts

Spaziergang

So etwas wie ein Erlebnis

Der Abend

Ein neuer Tag

Reisen

Ein erster ganzer Tag in Florenz

Noch so ein Tag in Florenz: erste Hälfte

Zweite Hälfte

Meine Idee

Die andere Seite

Rückkehr

Zum zweiten Mal Rückkehr

Beratung

Der Brief

Wohin jetzt

Der Tag nach dem Tag nach dem Tag

Was bedeutet es für ein Wort, zu einem Satz zu werden

Epilog

Wo sind wir hier

Und so fing alles an

Impressum neobooks

Kein Satz, nichts

Ich, Markus Fabius, sitze da und es geht nicht. Ich sitze vor dem Laptop, sinniere, lasse die Finger über die Tastatur gleiten, schreibe einen unbeholfenen Anfangssatz, lösche ihn wieder, schreibe einen anderen Satz, lösche ihn wieder, schaue zum Fenster hinaus und schreibe noch einmal einen Anfangssatz und lösche ihn wieder. Seit Wochen ist das so. Ich stehe auf, gehe in die Küche, setze Wasser auf, bereite eine Teekanne vor und hänge den Teebeutel hinein, dann noch einen. Ich warte eine Weile, bis das Wasser sprudelnd kocht, lasse es sich beruhigen, fülle die Kanne, warte ein paar Minuten, fülle meinen Teekrug und gehe zurück an den Schreibtisch. Ich nippe am noch viel zu heißen Tee und hoffe, dass dadurch Impulse in meinem Gehirn freigesetzt werden. Impulse zu einer Geschichte, zu einer Story, zu einem Plot. Aber es werden keine Impulse freigesetzt zu einer Geschichte. Meine Zunge verbrennt sich an dem viel zu heißen Impuls des Tees. Mehr nicht. Ein neuer Anfangssatz, auch er wird gelöscht. Ein Schluck heißer Tee, immer noch sehr heiß, aber nicht mehr viel zu heiß. Ich komme auf die Idee, Zucker in den Tee zu tun, zur Abkühlung des Tees und zur Hebung des Blutzuckerspiegels, was sich positiv auf die Gehirnströme auswirken könnte. Aufgestanden, in die Küche gegangen, Zuckerdose aus dem Schrank, zurück an den Schreibtisch, Zuckerdose geöffnet. Es fehlt ein Löffel, sowohl für die Zuckerdose als auch zum Umrühren. Ich gehe zurück in die Küche, hole zwei Teelöffel, gehe zurück an den Schreibtisch, tauche einen Löffel in die offene Zuckerdose und das in ihr enthaltene Meer von Zucker. Der Löffel wandert mit Zuckerladung langsam und behutsam von der Zuckerdose zum Teekrug, taucht in den Tee ein und lässt sich von mir umrührend bewegen. Der zweite Löffel liegt neben dem Laptop und wartet vergeblich auf seinen Einsatz, ich habe ihn vergessen. Den eingesetzten Löffel im Krug stecken lassend führe ich diesen zum Mund und trinke wieder einen Schluck, immer noch heiß, aber trinkbar. Etwas zu süß. Ich bilde mir ein, dass dieser süße Tee nun schnell den Blutzuckerspiegel steigen lässt, ins Gehirn steigt und zu Inspirationen beiträgt. Ich schreibe einen neuen Anfangssatz, der mir deutlich besser gefällt als die vorherigen. Aber er hat keine Geschichte, es ist einfach nur ein Satz, eine Aneinanderreihung von Buchstaben und Wörtern, die aus der Tastatur gesprudelt sind. Ich lösche ihn. Ich sitze da und denke, warum sitze ich nur da und denke, und es kommt nichts, einfach nichts. Andere, Tolstoi, Goethe, Nabokov, Kafka, Murakami, Llosa, sie alle haben dagesessen und gedacht, und es kam, und sie haben geschrieben, viel. Nicht so ich. Warum nicht. Vielleicht stimmte die Theorie mit dem Zucker nicht. Oder ich brauche doch erst die ganze Geschichte, bevor ich den ersten Satz schreibe. Oder das Fenster, aus dem ich gelegentlich schaue, um mich von den Dächern der umliegenden Häuser inspirieren zu lassen, müsste erst noch einmal geputzt werden. Aber eigentlich kann ich genug sehen. Mein Blick stimmt nicht, meine Erwartung an den Blick ist falsch, die Richtung ist falsch, das Fenster ist falsch. Ich versuche es jetzt mit Kaffee. Kaffee ist anregend und macht gute Laune. Ich war schon immer der Meinung, dass Kaffee unter die Psychopharmaka zu rechnen sei. Also wieder ein Gang in die Küche, ich suche das Filterpapier, das Kaffeepulver, fülle die Menge für etwa zwei Tassen ein, das entsprechende Wasser, und schalte die Kaffeemaschine ein. Auf dem Weg zurück an den Schreibtisch kommt mir erneut ein Anfangssatz in den Sinn, ich kann es nicht lassen, Anfangssätze für den Schlüssel zu einer gelungenen Geschichte zu halten. Ich setze mich und schreibe ihn. Irgendwann vor vielen Jahren, an einem wunderbaren Ort geschah es. Das ist der Satz. Ich frage mich, was das soll. Natürlich habe ich mich, wenn ich über diesen Anfangssatz jetzt einmal etwas länger nachdenke, noch auf nichts Bestimmtes eingelassen. Die Handlung ist immer noch völlig frei, der Ort, die Personen, alles. Aber genau so frei, wie alles immer noch ist, so wertlos ist auch dieser Satz eigentlich, denn er ist dann doch kein echter Anfangssatz. Nichts fängt wirklich mit diesem Satz an. Mit einem Anfangssatz aber fängt etwas an. Es ist schon so, dass ich mit einem Anfangssatz etwas festlege, ein wenig jedenfalls. Eine Weiche stelle, Andeutungen mache, den Hauch einer Richtung, Vorfreude auf mehr erzeuge. Das ist sogar hier so. Ich sitze da und es geht nicht. Das ist ein geradezu unglaublicher Anfangssatz. Sozusagen schon das ganze Buch. Wenn man so will. Gut, das soll an Überlegungen erst einmal reichen, immerhin so viel, dass ich den Satz nicht sofort wieder lösche, obwohl ich ihn mindestens von der Tendenz her eigentlich durchfallen lassen will. Erst mal der Kaffee. Vielleicht kann ich nach einer Tasse Kaffee auch mit dem Satz besser leben. Oder weiß genauer, warum ich doch nicht mit ihm leben kann.

Schon nach dem ersten Schluck Kaffee und umso mehr nach dem zweiten habe ich den Eindruck, dass die Welt sich ändert und sich in meinem Kopfe Wörter sortieren, die der Anfang zu einem Buch werden könnten. Ich liebe Kaffee, wirklich. Ich versuche einen Satz zu formen aus den Elementen, die eher intuitiv und beliebig in einem Raum namens Gehirn herumliegen und auf ihre Zusammensetzung zu einem Mosaik warten. Aber so nach und nach merke ich, dass ich mich im Vertrauen auf den Kaffee in eine euphorische Eigendynamik hineingesteigert habe. Da ist kein Satz, auch nicht zum Beispiel ein zweiter Satz zu dem, den ich tatsächlich immer noch nicht gelöscht habe. Geschweige denn ein passabler neuer erster Satz. Einfach gar kein richtiger Satz, nur Fetzen zum Aufsammeln und Wegwerfen. Es ist zum Heulen, zum Tischtrommeln, zum Teller-an-die-Wand-Werfen. Es ist die in der Literatur so oft beschworene Loserexistenz des Möchtegernschriftstellers, eloquent beschrieben von Menschen, die so ein Problem nicht haben. Ein Buch nach dem anderen schreiben und es einfach nur fließen lassen müssen. Ununterbrochen. Langsam trinke ich weiter an meinem Kaffee, der immer noch mein Hoffnungsträger ist. Ich trinke die Tasse zu ende, gebe mich meinen Gedanken hin, versuche, eine Weile nicht zielgerichtet auf den einen Satz, auf ein Buch hinzudenken, sondern einfach nur absichtslos vor mich hin zu dösen, aber auch das schon wieder so unglaublich absichtslos, dass ich von der eigentlichen Absicht hemmungslos unterworfen werde. Auch die zweite Tasse ändert daran nichts, sondern lässt vielmehr in mir die Ungeduld über den ausbleibenden Erfolg wachsen. Er hat versagt, der Kaffee, meine Liebe zu ihm hat seine Wirkung erdrückt. Das könnte, wenn es nicht so pathetisch wäre, fast ein guter Anfangssatz sein, ist aber eher ein mittelmäßig interessanter Satz irgendwo in der Mitte.

Nach Tee und Kaffee bleibt jetzt noch das Duschen. Ich gehe langsam ins Schlafzimmer, lege meine Kleidung behutsam der Reihenfolge nach ab – viel ist es nicht, da ich an diesem Tag keine förmliche Begegnung mit anderen Menschen erwarte.

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