1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Das änderte sich 1613. Zum einen bekam die Liga nun ein drittes Direktorium. Bekleidet hat es der habsburgische Erzherzog Maximilian, der von Innsbruck aus Tirol und Vorderösterreich regierte. Sodann wurde aus der „defensio catholica“ die „christliche defension“. Die Liga wurde nicht mehr als Bündnis der Katholiken definiert, sondern als Bund der Kaisertreuen – mit kaiserlicher Approbation der Direktorialbeschlüsse, ohne allgemeinen Bundesobristen: keine Ablösung der bayerischen Vorherrschaft im Bündnis durch die ebenso eindeutige Habsburgs, aber doch die kräftige Reduzierung Bayerns auf den Status einer lediglich regional vorherrschenden Mittelmacht. Maximilian ‚gehörte‘ sozusagen nur noch ein Drittel. Er sah sich mit der Bundesnotel vom 23. Oktober 1613 auf seine fränkische und einen Teil der schwäbischen Klientel zurückgeworfen. Ein Münchner Gutachten vermutet als Motiv für die Verfassungsänderungen vom Oktober 1613, man habe Bayern unterstellt, dass es „in effectu die oberhand in Teütschland … sueche“. Tatsächlich tat das aus Münchner Sicht Habsburg.
Die Liga zerfällt
Die „Defension“ von 1613 wurde nie wirklich mit Leben erfüllt. München ging auf Obstruktionskurs, ja, nachdem es dem Innsbrucker Erzherzog Maximilian im Lauf des Jahres 1615 endlich gelungen war, aus dem neu eingerichteten dritten Direktorat mehr als einen (wenig ehrenvollen) Ehrentitel zu machen, nämlich eine respektable oberdeutsche Klientel um sich zu scharen – da erklärte der Bayernherzog kurzerhand seinen Rücktritt vom oberländischen Direktorium. Als 1618 in Prag einige Mitglieder der kaiserlichen Statthalterregierung in den Burggraben purzelten, bestand die Liga nur noch auf dem Papier. [<<41]
Wir können zurückblicken: Grundproblem der Liga in der Vorkriegszeit war die Frage nach der dominierenden Vormacht; ein gleichberechtigtes Miteinander von Wittelsbach und Habsburg, das war angesichts des komplizierten, spannungsvollen Verhältnisses zwischen den beiden Dynastien kaum zu bewerkstelligen. 1609 siegten die bayerischen Vorstellungen – zwei Direktorate, ein bayerisches und, in dessen Schlepptau (da ohne größeres, mächtiges Mitgliedsterritorium), ein rheinisches; forciert katholischer Charakter. 1613 setzten sich die habsburgischen Vorstellungen durch: Das konfessionelle Schutzbündnis wird zum Bund der Kaisertreuen umdefiniert, mit drei Direktoraten – zu den alten ein neues habsburgisches für den Innsbrucker Erzherzog. Die Folge: Desintegration, die seitherige Leitmacht Bayern zieht sich gewissermaßen in den Schmollwinkel zurück. Die Liga hat faktisch nicht mehr existiert – ehe die Ereignisse in Böhmen seit 1618 eine vorübergehende Interessenidentität zwischen Habsburg und Wittelsbach schaffen und somit die Liga revitalisieren werden.
Die einzige interkonfessionelle Gemeinsamkeit: Gefühl der Bedrohung
Aller internen Schwächen beider Allianzen unerachtet hat ihre bloße Existenz den lädierten Reichsverband natürlich zusätzlich strapaziert. Unter dem einen Dach des Reiches standen sich nun zwei Konfessionsbündnisse (weil Bündnisse zur Wahrung konfessioneller Besitzstände) gegenüber – zunächst lediglich politisch, nach 1618 militärisch. Nur in einem waren sich beide Lager von Anfang an einig: in der Bedrohungsanalyse. Der Widerpart war in wenig skrupulöser Offensive, selbst stand man mit dem Rücken an der Wand. Sogar die beiden Bundessatzungen zeigen es: Die Unierten schlossen sich zusammen zur Abwehr drohender „thetlichkeiten“, „wieder … unbefugten gewallt“. Es drohten „feindtliche thetliche handtlungen“, weil der Widerpart darauf aus war, „in dem gelibten Vatterlandt eine Unruhe nach der andern antzurichten, die friedliebende und gehorsame Stendte des Reichs zu uberziehen, und zubekriegen“ und so die „verfassung des Reichs in einen haufen zuewerfen“. Man vereinbarte sogar, wie nach „außgang des Kriegs“, der also offenbar absehbar war, mit erobertem Gebiet verfahren würde. Die Ligasatzung beginnt mit der Feststellung, dass „sich die leiff gantz sorgsamb und gefärlich erzaigen“, beschwört feindliche „Thatthandlungen“, es drohten die „Catholische Stennde des Reichs, von den unrüebigen“, also von unruhigen Leuten, „vergewaltigt, und uberzogen“ zu werden, ja, es [<<42] war die „ausreittung der alten wahren allein seelig machenden Religion … beneben undertrückhung aller gleichmessiger billicheiten, recht und Reichssatzungen zuegewartten“.
Ein pfälzischer Spitzendiplomat beschwor die als prekär empfundene Situation des deutschen Protestantismus im frühen 17. Jahrhundert im Brief an einen Kollegen (also nicht etwa in propagandistischer Absicht für Mit- und Nachwelt) einmal so: Die Katholiken haben „une generale et universelle intention, à exercer notre patience et à nous ruiner“, sie sind „par tout le monde presque coniuré à notre ruine“ – eine fast weltweite Verschwörung zum Zwecke der Vernichtung des Protestantismus also. Auf der anderen Seite charakterisierte der Erzkanzler des Reiches, der Erzbischof von Mainz, die reichspolitische Lage intern folgendermaßen: „Der Teufell feyert nit, seine instrumenta schlaffen nit, alle liste unnd gedichte gehen dahin wie im Römischen Reich Teutscher Nation die kayserliche Authoritet … vernichtiget, die catholische religion außgerottet, die geistliche Chur-, Fürsten und Stendte undertruckt unnd allein Calvini geist und dem zu gethane herrn alles eignen gefallens regieren und dirigieren möchten.“ Es hatten „ohngehorsamb, ohntrew, betrug und list uber hand genomen, [so] dass sich weder auf tewere wort, vertrösten und versprechen, noch auch brief und sigel, ja den schwur und aid selbsten ichtwas zu verlassen“. Die Evangelischen versuchten, halb Europa, ja, „Türcken und Tartarn“ zur „underdrückung“ des katholischen Glaubens zu mobilisieren – musste man sich denn von ihnen „vertrücken und verschlingen lassen“? Nicht nur in gedruckten konfessionellen Polemiken sind die Übergänge von der Vorkriegszeit in die Kriegsjahre hinein fließend.
1.3.4 Letztlich vergebliche Versuche, die Sprachlosigkeit zu überwinden
Gelehrte und publizistische Bemühungen
Seit 1608 stand Mitteleuropa im Vorhof eines von vielen erwarteten, befürchteten Konfessionskriegs. Nicht, dass Deutschlands Eliten damals gedanken- und sorglos in ihr Verderben gerannt wären! Nach gemeinsamen kulturellen Werten fahndend, wurden manche bei der Sprache fündig: 1617 wird die erste von bald zahlreichen deutschen Sprachgesellschaften, die „Fruchtbringende Gesellschaft“, gegründet. [<<43] Nicht alle Publizisten spien den üblichen konfessionellen Geifer aus; der eine und andere ließ sich von Süd- und Westeuropa anregen, wo schon etwas länger eine frühe politologische Literatur reüssierte, die in betont kühler, nüchterner Diktion die Eigengesetzlichkeiten politischer Ordnungsstiftung abzustecken suchte. Ihren eigenen Sachzwängen gehorchende Politik wurde mit der „ratio status“ (der Staatsräson) auf den Begriff gebracht. Ausgerechnet in der Vorkriegszeit begann der Terminus auch in Ratsprotokolle einzusickern, erreichte er also den mitteleuropäischen Politikbetrieb.
Das Projekt eines „Kompositionstags“
Ein interessantes Projekt politischer Praktiker war der „Kompositionstag“. Der Begriff „composition“ (lat. componere = zusammenbringen, vereinigen) hat in diesen Zusammenhängen nichts mit Tonkunst zu tun. Ein „composition tag“ sollte ausgleichsbereite Vertreter beider Konfessionen an einen Verhandlungstisch bringen. In konstruktiver Atmosphäre, ohne Abstimmungen und Majorisierungsversuche, sollten sie sich auf einen Rettungsplan für das zerschlissene Reich verständigen. Wir würden heute von einem „runden Tisch“ und von gruppendynamischen Effekten sprechen. Aufgebracht haben die Idee einige Unionshöfe, so insbesondere der in Stuttgart unter dem württembergischen Herzog Johann Friedrich. Und das war, unter den damaligen Umständen, auch schon ein Grund für das Scheitern des zukunftsweisenden Projekts. Fast alle Ligahöfe lehnten es entschieden ab.
Читать дальше