b) Besonders schwerer Fall
25§ 212 Abs. 2 StGB ordnet die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe an, wenn ein besonders schwerer Fall des Totschlags vorliegt. Dies ist dann anzunehmen, »wenn das in der Tat zum Ausdruck gekommene Verschulden des Totschlägers ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders […]. Die Prüfung dieser Frage obliegt dem Tatrichter, der im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu beurteilen hat, ob trotz Nichterfüllung des Mordtatbestandes sonstige unrechts- und schuldsteigernde Umstände vorliegen, die die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechtfertigen.«[55] Von Seiten des BGH wurden als Umstände, die einen besonders schweren Fall begründen können, etwa das Bestehen einer Vorstrafe wegen Totschlags, die Absicht des Täters, durch die Tötung ein zwar nicht strafbares, aber ihm unangenehmes Geschehen zu verdecken, sowie die Tötung der Ehefrau vor den Augen ihrer Kinder angesehen.[56] Grundsätzlich sollte ein besonders schwerer Fall nach § 212 Abs. 2 StGB wegen der Unbestimmtheit der Vorschrift und des damit einhergehenden schwer einzugrenzenden Anwendungsbereichs jedoch nur zurückhaltend angenommen werden.[57] Insbesondere würde es »in der Regel |13|dem Schuldprinzipwidersprechen, wollte man den Täter, der aus subjektiven Gründen nicht wegen Mordes verurteilt werden kann, wegen der Nähe der objektiv vorliegenden Motive zu den niedrigen i.S.d. § 211 StGB auf dem Umweg über den besonders schweren Fall des Totschlags mit der dem Mörder zugedachten Strafe belegen.«[58] Nach diesen Maßstäben besteht insbesondere in universitären Prüfungsarbeitenin der Regel kein Anlass, auf die Strafzumessungsvorschrift in § 212 Abs. 2 StGB einzugehen.
26§ 213 StGB normiert einen teilweise benannten Strafmilderungsgrund in Form eines minder schweren Falles. Ausdrücklich benannt ist der Fall, dass der Täter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist. Ob eine Misshandlungoder Beleidigungdie erforderliche Schwere erreicht hat, ist nach objektiven, auf den Lebenskreis der Beteiligten bezogenen Kriterien zu beurteilen.[59] So genügen den »Anforderungen an eine schwere Beleidigung i.S.d. § 213 Alt. 1 StGB […] nur solche Provokationen, die auf der Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände unter objektiver Betrachtungund nicht nur aus der Sicht des Täters als schwer beleidigendzu beurteilen sind; denn der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen des § 213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung menschlichen Lebens gebieten es, die Anforderungen an die Schwere der Beleidigung und auch der auf die tatauslösende Situation zulaufenden Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung nicht zu niedrig anzusetzen.«[60] Liegt eine hinreichende Provokation oder Misshandlung vor, ist der Täter durch diese dann ohne eigene Schuldzum Zorn gereizt, wenn er die Misshandlung bzw. Provokation nicht in ihm objektiv zurechenbarer Weise veranlasst hat und die Tötung auf durch die Provokation hervorgerufene Wut, Empörung oder einen vergleichbaren Gemütszustand zurückzuführen ist.[61] Für die Frage, ob der Täter auf der Stelle zur Tat hingerissenwurde, kommt es zuletzt darauf an, »ob die durch das vorausgegangene Verhalten des Opfers verursachte Kränkung oder Reizung des Täters im Tatzeitpunkt noch angehalten hat, zwischen diesen beiden Vorgängen also ein ›motivationspsychologischer Zusammenhang‹ besteht.«[62]
27Liegt der in § 213 StGB ausdrücklich benannte Strafmilderungsgrund nicht vor, kann eine Strafmilderung gleichwohl vorzunehmen sein, wenn sonst ein minder schwerer Fallgegeben ist. Hiervon ist dann auszugehen, wenn »das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden |14|Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist […]. In diesem Zusammenhang können auch die Vorgeschichte der Tat und die gesamten Beziehungen zwischen den Beteiligten von Bedeutung sein«[63]. In universitären Prüfungsarbeitenwird nur selten Anlass bestehen, auf die Voraussetzungen eines unbenannten minder schweren Falles einzugehen.
28 BGH NStZ 2009, 91; Tötungsvorsatz:Ein trinkgewohnter Wohnungsinhaber konsumiert mit einem Bekannten erhebliche Mengen Alkohol, bis er eine BAK von 3,55 ‰ aufweist. Nachdem der Bekannte ihn mehrfach beleidigt hat, führt der Wohnungsinhaber einem spontanen Entschluss folgend mit einer 75 cm langen und 1 kg schweren Eisenstange 6 kräftige Hiebe gegen den Rumpf des Bekannten aus. Der Bekannte erleidet Knochenbrüche im Bereich des Oberkörpers und an den Armen, bleibt aber ansprechbar. Der Wohnungsinhaber zögert zunächst aus Furcht vor Bestrafung, Hilfe zu rufen, informiert aber 7 Stunden nach Ausführung der Schläge den Rettungsdienst, der den Bekannten ins Krankenhaus einliefert. Dort stirbt der Bekannte 3 Wochen später infolge seiner Verletzungen. – Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes hat der Wohnungsinhaber nicht vorsätzlich hinsichtlich des objektiven Tatbestandes des § 212 Abs. 1 StGB gehandelt, da keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er die Möglichkeit des Todes des Bekannten erkannt und billigend in Kauf genommen hat. Schläge auf den Rumpf eines Menschen lassen keinen Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz zu, da sie nicht ohne Weiteres zu Verletzungen führen, die mit hoher oder gar sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führen. Dass die Schläge infolge eines spontanen Entschlusses auf die Beleidigungen erfolgten, deutetet ebenfalls nicht auf eine billigende Inkaufnahme des Todeseintritts hin, da zugunsten des Wohnungsinhabers davon auszugehen ist, dass er annahm, die Beleidigungen unabhängig von einer etwaigen Lebensgefährlichkeit der Schläge durch diese beenden zu können. Zuletzt deutet die erhebliche BAK trotz der Trinkgewohnheit des Wohnungsinhabers darauf hin, dass er die Möglichkeit des Todeseintritts nicht erkannte.
29 BGH NStZ 2011, 339, 340; Minder schwerer Fall des Totschlags:Obgleich es zwischen dem Täter und seiner Lebensgefährtin häufig zu heftigen Auseinandersetzungen kommt, in denen der Täter sich nicht aggressiv verhält, während seine Lebensgefährtin ihm gegenüber gewalttätig wird, beziehen die beiden eine gemeinsame Wohnung. Dort wird die Lebensgefährtin wiederholt mit anderen Männern intim und bedroht den Täter mehrfach mit einem Schlagstock. Als es zwischen den beiden abermals zu einer Auseinandersetzung kommt, in deren Verlauf die Lebensgefährtin dem Täter Schläge und Tritte versetzt, versucht dieser vergeblich, die Wohnung durch die von seiner |15|Lebensgefährtin verschlossene Tür zu verlassen. Als seine Lebensgefährtin hierauf fortfährt, ihn zunächst mit einem Besenstiel und anschließend mit einem Antennenkabel zu schlagen, reißt der Täter ihr das Kabel aus der Hand und würgt seine Lebensgefährtin solange, bis diese verstirbt. Hierbei verspürt der Täter Wut, Aggression und Ohnmacht und will, dass seine Lebensgefährtin mit ihrem Verhalten aufhört. – Die Voraussetzungen des benannten minder schweren Falles nach § 213 Alt. 1 StGB liegen vor. Die über einen erheblichen Zeitraum andauernden Provokationen sowie die wiederholten ehrverletzenden Situationen erreichen bei objektiver Betrachtung einen Schweregrad, der das Entstehen von nachhaltiger Wut als verständliche Reaktion erscheinen lässt. Da der Täter zunächst vergeblich versucht hat, die Wohnung zu verlassen und die Tötung in unmittelbarem Zusammenhang mit den weiter andauernden Misshandlungen durch seine Lebensgefährtin erfolgte, ist ferner davon auszugehen, dass er gerade infolge seiner Wut und auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde.
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