Abb. 3: Die Herkunft der nicht-indianischen Bevölkerung in den britischen Festlandskolonien (1700–1775)
3 Die Kolonien im Empire-Verband
Regionalisierung und Differenzierung hätten dazu führen können, dass sich die einzelnen Kolonien oder doch zumindest Norden, Mitte und SüdenSüden immer weiter auseinanderentwickelten. Dieser durchaus spürbaren Tendenz zur „Fragmentierung“ wirkte die Einbindung in das entstehende „erste“ englische Weltreich entgegen. Zunächst waren die königlichen Charters weit weniger Teil eines Herrschaftsplanes gewesen als Ausfluss des Bemühens, verdiente Untertanen zu belohnen sowie religiöse und soziale Konflikte durch Auswanderung zu entschärfen. Nach dem Ende des Bürgerkriegs und der RestaurationGroßbritannienRestauration der Monarchie wusste die KroneGroßbritannienenglischer Bürgerkrieg ab den 1660er Jahren den Wert, den die Festlandskolonien innerhalb des mit Hilfe der Navigation Acts Navigation Acts ausgebauten englischen MerkantilsystemsGroßbritannienMerkantilsystem besaßen, noch besser zu schätzen. Sie trugen zur Versorgung der KaribikinselnKaribik und des Mutterlandes mit wichtigen Rohstoffen bei (die von England aus auch profitabel in andere europäische Länder weiterverkauft werden konnten), und sie stellten einen wachsenden Markt für in EnglandGroßbritannien hergestellte Fertigprodukte dar. Parlament und Krone bemühten sich von nun an verstärkt um administrative Kontrolle der Siedler, aber ein erster Zentralisierungsschub, der 1688 zur Zusammenfassung aller Kolonien von MassachusettsMassachusetts bis New JerseyNew Jersey im Dominion of New England Dominion of New England führte, scheiterte kurz darauf im Zuge der Glorious Revolution GroßbritannienGlorious Revolution. Dennoch wuchsen die Festlandskolonien auch weiterhin politisch, wirtschaftlich, militärisch und kulturell enger in das Empire hinein.
Salutary neglect Großbritanniensalutary neglectSalutary neglect und imperiale Kontrolle
Nach der Revolution von 1688/89 bildete sich über mehrere Jahrzehnte ein lockeres Beziehungsmuster zwischen Mutterland und Kolonien heraus, das der englische Staatsmann und Philosoph Edmund BurkeBurke, Edmund gegen Ende des 18. Jahrhunderts treffend als „heilsame Vernachlässigung“ ( salutary neglect Großbritanniensalutary neglect) charakterisierte. Allerdings ging das Verlangen nach imperialer Kontrolle nicht ganz verloren, wie sich 1696 in der Einrichtung eines Board of Trade and Plantations Board of Trade and Plantations in LondonLondon zeigte. Im selben Jahr verabschiedete das Parlament einen neuen Navigation Act , der u.a. Vizeadmiralsgerichte ( Vice Admiralty Courts ) in den Kolonien vorsah, die ohne Geschworene über Fälle von Schmuggel und Piraterie entscheiden konnten. Ein weiteres Zeichen dafür, dass die Kolonien allmählich vom Empire „absorbiert“ wurden, ist im Übergang zu dem System der royal colonies nach dem Vorbild der KaribikKaribik-Inseln zu sehen. Die meisten Festlandskolonien waren als charter colonies von Handelsgesellschaften oder als proprietory colonies von adligen Lehnsmännern gegründet worden. Diese Rechtsform, die in der Regel weitreichende Selbstverwaltungsbefugnisse beinhaltete, wurde bis 1720 mehrheitlich durch das Institut der royal colony ersetzt. Der König selbst ernannte die Gouverneure dieser „königlichen Kolonien“, und die Gouverneure wiederum umgaben sich mit Beratern, Beamten und Richtern ihrer eigenen Wahl. Außerdem war die Gesetzgebung der royal colonies einer strengeren Kontrolle durch den Board of Trade und den Privy Council in London unterworfen. Nur vier Kolonien – PennsylvaniaPennsylvania, MarylandMaryland, Rhode IslandRhode Island und ConnecticutConnecticut – behielten ihren alten Rechtsstatus bis zur Revolution bei.
Gemeinsame englische Institutionen und KulturKulturKolonialzeit
Neben verstärkter zentraler Kontrolle wirkten aber noch andere, möglicherweise wichtigere Elemente dem Auseinanderdriften der Kolonien entgegen. Zum einen bildete sich im politischen Leben eine gewisse institutionelle Gleichförmigkeit heraus, die auf das Vorbild des englischenGroßbritannien Parlaments zurückzuführen ist. So gaben sich im Laufe der Zeit fast alle Kolonien ein legislatives Zweikammer-System, in dem ein vom Volk (d.h. von den Grundbesitzern und Steuerzahlern) gewähltes Unterhaus ( Assembly oder House of Representatives ) das Gegengewicht zum Gouverneur, zum Gouverneursrat (dem Oberhaus oder Senat) und zur königlichen BürokratieRegierungssystemBürokratie bildete. Im Vergleich zu EnglandGroßbritannien war die Basis der Repräsentation sehr breit, denn trotz der Zensusbestimmungen konnten im 18. Jahrhundert 50–80 Prozent der erwachsenen weißen Männer aktiv am politischen Leben teilnehmen. In NeuenglandNeuengland (s.a. Nordosten, Regionen) hatte jede Gemeinde ( Town ) das Recht, einen oder zwei Abgeordnete ins Kolonialparlament zu schicken; in der Mitte und im SüdenSüden erfolgte die Wahl auf der Ebene der Kreise ( Counties ) oder Kirchengemeinden ( Parishes ). Parallel zum Machtgewinn des Westminster-Parlaments trotzten die kolonialen Assemblies den Gouverneuren immer mehr Befugnisse ab, insbesondere im Steuerwesen. Sie bestanden auch, wie das englische Parlament, auf der schriftlichen Fixierung von Rechten und Privilegien, die zum Ausgangspunkt für spätere Grundrechtserklärungen ( Bills of Rights ) werden konnten. Von New HampshireNew Hampshire bis GeorgiaGeorgia machte das Tauziehen zwischen den Parlamenten und den Gouverneuren einen wesentlichen Teil der kolonialen Politik im 18. Jahrhundert aus. Sowohl die Strukturen als auch die Praktiken und Konflikte des englischenGroßbritannien RegierungssystemsRegierungssystem waren also den meisten Siedlern gut vertraut und bildeten sich bis zu einem gewissen Grade in Nordamerika wieder ab.
Als weitere Bindemittel kamen das englische Gewohnheitsrecht ( common law Common Law) und die englische Sprache hinzu. Da das gesamte Gerichtswesen auf dem common law Common Law beruhte, wurden seine Regeln auch für diejenigen Siedler verbindlich, die aus anderen, kontinentaleuropäischen Rechtskulturen kamen. Die englische SpracheKulturKolonialzeit mussten sie lernen, wenn sie am politischen Leben der Kolonien teilnehmen wollten. KulturellKulturKolonialzeit bewahrten sich beispielsweise die DeutschenEinwanderungEthnienDeutsche in PennsylvaniaPennsylvania und die Niederländer in New YorkNew York ein großes Maß an Autonomie, doch die Abgeordneten, die sie in die Parlamente schickten, um ihre Interessen zu vertreten, waren allesamt zweisprachig. Das ebenso hartnäckige wie falsche Gerücht, Deutsch wäre beinahe die offizielle Sprache der Vereinigten Staaten geworden, geht auf historische Missverständnisse, z.T. auch auf bewusste nationalistische Propaganda im Kaiserreich und in der NS-Zeit zurück. In Pennsylvania und MarylandMaryland erschienen ab Mitte des 18. Jahrhunderts deutschsprachige Zeitungen, und die Gesetze beider Kolonien wurden sowohl in deutscherEinwanderungEthnienDeutsche als auch in englischer Sprache veröffentlicht. Alle Parlamentsdebatten fanden aber auf Englisch statt, und wer über das Geschehen in den Kolonien und Europa informiert sein wollte, der tat gut daran, eine der bedeutenden englischsprachigen Zeitungen zu abonnieren. Solche „Gazetten“ wurden kostenlos vom Postdienst befördert, den die englische Kolonialverwaltung seit 1710 aufbaute und den Benjamin FranklinFranklin, Benjamin als königlicher Postmaster General in den 1750er Jahren wesentlich erweiterte. In einer Zeit, als die Kutschfahrt von New York nach PhiladelphiaPhiladelphia drei Tage oder länger dauerte, waren solche Verbindungen für das Zusammengehörigkeitsgefühl besonders wichtig.
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