2.5 Die Entwicklung in der SBZ. Gründung der DDR
In seiner »Deutschen Gesellschaftsgeschichte« (Bd. 5 : 1949–1990) schreibt Hans-Ulrich Wehler, dass »der Weg in die SED-Diktatur« sehr kurz gewesen sei (2008 : 23 ff.). Die Sowjetisierung der SBZ begann praktisch mit Kriegsende. Bereits am 29.4 1945 war die »Gruppe Ulbricht« aus dem Moskauer Exil mit einem Arbeitsstab zurückgekehrt. Die Gruppe war benannt nach Walter Ulbricht (1893–1973), einem führenden Funktionär der KPD seit der Weimarer Republik (zu diesen und allen folgenden Daten vgl. Staritz 1984, Kleßmann 1982 : 535 ff.).
Im Herbst 1945 wurde mit der Bodenreform begonnen. Die erste Maßnahme war die entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes über 110 ha (»Junkerland in Bauernhand«), des Grundbesitzes des ehemaligen Deutschen Reiches, der NSDAP, der Wehrmacht und der großen Industrie- und Handelsunternehmen. Diese erste Stufe der Bodenreform sollte nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Oktober 1990 eine große Rolle spielen. Am 23. Juli 1945 wurden die Großbanken geschlossen.
Von bis heute nachwirkender Bedeutung war auch die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur »Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands« ( SED ) am 22. April 1946. Aber noch hatte die am 9. Juni 1945 gebildete »Sowjetische Militäradministration in Deutschland« (SMAD) das Sagen.
Deklamatorisch ging man davon aus, dass die deutsche Einheit zu erhalten sei und alle Schritte in Richtung auf ein eigenständiges Wirtschafts- und Staatsgebiet nur eine Reaktion auf die Vorgänge in den drei westlichen Besatzungszonen und Berliner Sektoren seien. Auf die dort vom 18.–20. Juni 1948 durchgeführte Währungsreform wurde mit der Sperrung der Zufahrtswege nach West-Berlin reagiert. Die Berliner Bevölkerung musste aus der Luft versorgt werden. Dies gelang für die Zeit der Luftbrücke vom 26. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 in erstaunlichem Ausmaß. Gestartet wurde vor allem auf dem amerikanischen Militär-Flughafen Frankfurt/M.; gelandet wurde auf dem innerstädtischen Berliner Flughafen »Tempelhof«.
Nur eine Woche nach der Währungsreform in den drei Westzonen (»Trizonesien«) wurde auch in der SBZ eine Währungsreform durchgeführt, unter Beibehaltung der Reichsmark (im Westen »Reichsmark Ost« genannt). Auf die am 23. Mai 1949 erfolgte Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland reagierte die SBZ bzw. die Sowjetunion am 7. Oktober 1949 mit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Am 15. Oktober wurden die diplomatischen Beziehungen zur UdSSR offiziell aufgenommen. Auf einer SED-Konferenz im Juni 1949 hatte die Partei »ein devotes Bekenntnis zu Stalin abgelegt, überdies pries sie die Sowjetunion als verpflichtendes Modell« (Wehler 2008 : 27).
Die immer unerträglicher werdende Situation in der »sozialistischen Volksdemokratie« entlud sich im Juni 1953 in einem das Regime gefährdenden Volksaufstand, der nur durch sowjetische Panzer niedergeschlagen werden konnte. Der Beginn des Aufstands am 17. Juni 1953 in der (Ost-)Berliner Stalin-Allee war bis zur Einführung des 3. Oktober, dem Tag der Vereinigung beider deutscher Staaten im Jahr 1990, in der Bundesrepublik ein nationaler Gedenktag.
3. Gründung der Bundesrepublik Deutschland
3.1 Voraussetzungen für einen neuen Gesellschaftsvertrag
Die zunächst hoffnungslos erscheinende Ausgangslage durch die Zerstörungen des Krieges und die soziale und demographische Situation barg jedoch bessere Voraussetzungen für einen Gesellschaftsvertrag, als sie zuvor gegeben waren.
Der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und seine Folgen hatten soziale Klassen und Schichten miteinander in Berührung gebracht, die vorher in jeder Beziehung stark segregiert waren. Berufs- und lokalspezifische Milieus waren entweder verschwunden oder in ihrer Besonderheit eingeebnet. Das galt insbesondere für die Arbeiterbewegung und ihre Kultur, der ihre Basis durch die sich wechselseitig verstärkenden Wirkungen der Gleichschaltung, des Krieges, der Vertreibung und die neu entstehenden Wohnmilieus des sozialen Wohnungsbaus mehr und mehr entzogen wurde.
Auch der Eigentumsverlust in breiten Schichten der Bürger und Hochbürger, nicht zuletzt durch die Inflation, führten zu sozialen Nivellierungen bisher ungekannten Ausmaßes, die von den neuen »Volksparteien« CDU und CSU geschickt aufgegriffen wurden. Es kamen zudem Faktoren hinzu, die sich für die neue gesellschaftliche Konsensbasis als günstig erweisen sollten:
Die Ausgliederung spezifischer Regionalstrukturen: »der protestantisch ostdeutschen Landwirtschaft, des katholischen schlesischen Industriegebietes, der sächsisch-thüringischen Industrie- und Gewerbegebiete, der altpreußisch-mecklenburgischen Agrarregionen« und Berlins in der Funktion der Reichshauptstadt« (Lepsius 1983 : 11 f.).
Die für Deutschland einst so bedeutsame Konfessionsspaltung verlor durch Krieg und Kriegsfolgen an Bedeutung. Der Anteil der Katholiken betrug im Deutschen Reich im Jahr 1939 33 % an der Gesamtbevölkerung (Protestanten 61 %). Auf dem Territorium der Bundesrepublik war dieser Anteil bis 1950 auf 44,3 % gestiegen. Da die Protestanten (um das Jahr 1950) nur noch über einen Anteil von 51,5 % verfügten, konnte konfessionell insgesamt – nicht regional – von einer quasi paritätischen Situation ausgegangen werden (zu den Daten vgl. Flora 1983).
Entgegen einer verbreiteten Auffassung wurden die Elite-Positionen »in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Verbänden und Kultur insgesamt gesehen gründlicher umbesetzt bzw. neu besetzt als 1933 oder 1918/19« (Kocka 1979 : 157; vgl. auch Zapf 1965).
Die für die deutsche Geschichte so zentralen Rollen der Großgrundbesitzer, des preußischen Staates und Militärs waren ausgespielt und bei der Gründung der Bundesrepublik keine Belastung. Das Militär hatte aufgehört, ein bestimmender Faktor des politischen und öffentlichen Lebens zu sein.
Die traditionale Dreigliederung des deutschen Gewerkschaftswesens wurde nach 1945 nicht restauriert. Die bereits vor 1933 aktiven Bemühungen um eine »Einheitsgewerkschaft« konnten nach dem Krieg, nicht zuletzt durch das Wirken von Hans Böckler (1894–1951; 1949 erster Vorsitzender des DGB) verwirklicht werden.
Proletariat und Arbeiterkultur verloren im »Schmelztiegel« der Kriegs- und Nachkriegszeit und den bald nach der Währungsreform spürbaren Wirkungen der »Sozialen Marktwirtschaft« mehr und mehr das Interesse und die Basis für die Restauration einer klassenspezifischen Teilkultur.
Die Veränderungen in der deutschen Sozialstruktur durch den Nationalsozialismus, den Krieg und die Kriegsfolgen bewirkten etwas ganz Entscheidendes: erstmals in der deutschen Geschichte wurde die Demokratie als einzig mögliche Regierungs- und Staatsform auch in den besitzenden Oberschichten, im Beamtenbund, aber auch von den Kirchen akzeptiert. Der Sonderweg einer »verspäteten Nation«, wie die bekannte These von Helmuth Plessner (1974) lautete, war beendet.
3.2 Die neue Wirtschaftsordnung: Soziale Marktwirtschaft
Bemühungen um die Durchsetzung einer bestimmten Wirtschaftsordnung wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit hartnäckiger verfolgt als Gedanken einer politischen und verfassungsmäßigen Neuordnung. Das Wirtschaftssystem hatte seine eigene Dynamik. Die weltwirtschaftlichen Verflechtungen wie die weltpolitischen Auseinandersetzungen waren im Wirtschaftsbereich direkt. Programmatiken des wieder erwachenden parteipolitischen und des gewerkschaftlichen Lebens konzentrierten sich auf die Wirtschaftspolitik, auf Eigentums- und Vermögensfragen, Bildung und Ausbildung. Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskussionen dieser Zeit gipfelten in der Frage, ob die Gefahren für die individuelle Freiheit in der künftigen Gesellschafts- und Staatsordnung eher von einem schrankenlosen Kapitalismus oder von einer umfassenden Planwirtschaft kommen würden.
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