Neuerfindungen
Musikethnologisch enger gebundene Instrumente, wie z. B. Didgeridoo, Djembe u. v. a., haben das klassische Orff-Instrumentarium zurückgedrängt. Dieses hatte aufgrund der Nähe der frühen Musiktherapie zur Musikpädagogik und Musik in der Heil- und Sonderpädagogik im deutschsprachigen Bereich der 50er Jahre des 20. Jh. noch Vorrang.
Ethno vs. Orff
Sonderstellung
Klavier
Das Klavier nimmt in der Diskussion und Praxis der Musiktherapie eine Sonderrolle ein. Sein breites Appellspektrum („Lehrerinstrument“, Instrument der Grandiosität und Virtuosität, Entmutigungsinstrument usw.) wird sowohl als ein Instrument unter vielen, als primus inter pares, in den meisten Gruppenmusiktherapien eingesetzt, aber auch in Einzelmusiktherapien für dialogische Improvisationen angeboten (z. B.: vierhändige Improvisation mit geschlossenen Augen auf vorgegebenen schwarzen Tasten = pentatonischen Leitern = harmonische Vertrautheit oder freie Improvisation im ganzen Tonraum als symbolisches Handeln für „Wege suchen im Dunkel des Nichtberechenbaren“ = Krankheit). In der Nordoff-Robbins-Musiktherapie ist das Klavier als Instrument des Therapeuten von zentraler Bedeutung für die künstlerisch-musikalische Begleitungsmöglichkeit des Patientenausdrucks.
elektronische
Instrumente
In speziellen Musiktherapie-Praxisfeldern finden sich elektronische Musikinstrumente (Keyboard, Synthesizer) und Equipment: therapeutische Arbeit in der Altersspanne zwischen jüngeren Jugendlichen und Adoleszenten; in der Arbeit mit Patienten der Neurologischen Rehabilitation; in Spezialpflegeeinrichtungen hirnverletzter Patienten, deren minimierter Ausdrucksbereich dadurch verstärkt und hör- und nutzbar wird für Inter-aktionsbahnungen, die nur so zu manchmal wieder möglichen Begegnungserfahrungen interaffektiver Intensität führen.
Bruhn, H. (2005): Musik und Therapie. In: Oerter, R., Stoffer, Th. H. (Hrsg.): Spezielle Musikpsychologie. Hogrefe, Göttingen.
Decker-Voigt, H.-H., Brust., K. v. (2016): Die Instrumente der Musik und die Basale Stimulation. In: „… das berührt mich tief“…, Musiktherapie und Basale Stimulation/Basale Bildung. Reichert, Wiesbaden, 47 ff.
Dosch, J., Timmermann, T. (2005): Das Buch vom Monochord. Zeitpunkt Musik. Reichert, Wiesbaden
Höhmann, U. (2009): Appelle und Appellwirkung von Musikinstrumenten. In: Decker-Voigt, H.-H., Weymann, E. (Hrsg.): Lexikon Musiktherapie. Hogrefe, Göttingen, 42 ff.
Krekeler, K., Merckling-Mihok, E. (2018): Schwerpunktthema „Digitale Instrumente in der Musiktherapie“. In: Zt. Musik und Gesundsein 34. Reichert, Wiesbaden, 12 ff.
6Praxeologie
von Tonius Timmermann
„Verrichte zuerst das Notwendige, sodann das Mögliche,
schließlich gelingt Dir das Unmögliche.“
(Franziskus von Assisi)
Musiktherapie hat sich in ihrer Geschichte prinzipiell parallel zur Psychotherapie entwickelt und geht nur selten als ein spezifisches Verfahren oder eine bestimmte Methode aus der Psychotherapie hervor. Während die Psychotherapie in der Medizin, speziell der Psychiatrie wurzelt, finden wir am Beginn der Musiktherapie eher kulturtherapeutische Ansätze musikalisch-künstlerischer und pädagogischer Art. In der Begegnung dieser beiden Entwicklungen kombiniert die Musiktherapie diese Ansätze mit Vorgehensweisen aus dem breiten Spektrum der Psychotherapie auf der Basis des aktuellen medizinischen und psychologischen Wissensstandes sowie spezifischer Forschung. Sie ist integriert in ein wissenschaftlich orientiertes Gesundheitssystem.
eklektisches
Vorgehen
Musiktherapie lässt sich als im positiven Sinne eklektisch charakterisieren: Sie prüft Theorie- und Handlungsmodelle, die sich aus einer Kombination musischer und psychotherapeutischer Elemente ergeben, sorgfältig darauf, wie sie sich in der therapeutischen Praxis bewähren. Eklektisches Vorgehen bedeutet, dass umsichtig und konsequent aus dem musiktherapeutischen Repertoire die Mittel und Wege gewählt werden, die aufgrund der spezifischen Indikation des Klienten erforderlich und im Einklang mit der Konzeption der jeweiligen Institution sind. Dabei muss im Einzelfall sehr darauf geachtet werden, dass sich die Methodik nicht an die Widerstände des Klienten anpasst und der Therapeut immer dann die Strategie ändert, wenn es schwierig wird: das wäre Synkretismus.
differentielle
Musiktherapie
Die Musiktherapie sorgt bei aller Anwendung verschiedenartiger Techniken gleichzeitig für eine einheitliche Grundlegung. Deswegen könnte man sie nach von Quekelberghe (1979) auch als „differentiell“ bezeichnen, in dem Sinne, dass sie dem Unterschied zwischen Störungen, Klienten, Therapeuten, Techniken, Therapiezielen etc. Rechnung trägt (Oberegelsbacher 1999, 48).
psychotherapeu-tische Techniken
Musiktherapeutisch Tätige beobachten und prüfen, welche psychotherapeutischen Theorien und Techniken sich auf welche Weise mit musiktherapeutischem Handeln verbinden lassen, wie mit dem Medium Musik eigenständige Vorgehensweisen im großen psychotherapeutischen Kontext entstehen und wie wir darüber hinaus durch musiktherapeutische Praxis und Forschung die Psychotherapie insgesamt bereichern können.
situationsgerechte
Modifizierungen
Musiktherapie verstehen wir als ein psychotherapeutisches Verfahren, dem ein auf das Medium Musik bezogenes reichhaltiges methodisches Repertoire zur Verfügung steht. Aus diesem schöpft sie situationsadäquat und modifiziert es und erforscht und entwickelt dessen besondere Wirkungen weiter. Sie verfügt über spezifische Wirkelemente und Möglichkeiten, bio-psycho-soziale Probleme aufzudecken und zu bearbeiten.
Verortung von
Musiktherapie
Den Begriff „Praxeologie“ kann man nur klären, wenn man die Begriffsvielfalt (und -verwirrung) in der Psychotherapie überhaupt betrachtet. Musiktherapie als Sammelbegriff lässt sich eben verschiedenen theoretischen und praktischen Ebenen zuordnen (s. a. Fitzthum 1997, 212 f.; 2001, 38 f.).
Es gibt im Rahmen der musiktherapeutischen Tätigkeit Menschen, die sich eindeutig einer bestimmten Grundorientierung , einem Verfahren und einem oder mehreren dazu passenden Methoden zuordnen. Allerdings sind Musiktherapeuten heute im Hinblick auf eine solche Bindung immer weniger ausschließlich und zunehmend integrativ bzw. eklektisch, vor allem mit zunehmender Berufserfahrung.
Grundorientierung
Was die Grundorientierung anbetrifft, bietet die historische Entwicklung der Psychotherapie eine gute Orientierung. Sie beginnt mit der Entdeckung des Unbewussten und den sich daraus entwickelnden tiefenpsychologischen Schulen und Verfahren . Deren gemeinsamer Nenner ist die Erfahrung, dass der Mensch entscheidend durch die – vor allem frühen – Beziehungen zu Mutter und Vater sowie deren Verarbeitung geprägt ist. Die dabei sich bildenden Grundmuster wirken positiv oder negativ im späteren Lebensverlauf weiter.
Theoretische und praktische Ebenen der Musiktherapie
Grundorientierungen: tiefenpsychologisch, humanistisch, behavioral, systemisch
Verfahren: z. B. Psychoanalyse, Gestalt,
Psychodrama
Methoden: spezifizieren entsprechend dem Verfahren, also z. B. analytische Gruppentherapie, analytische Musiktherapie)
Techniken: Halten, Stützen, Nähren usw.
Praxeologie
Aus diesem ersten und grundlegenden tiefenpsychologischen Ansatz gehen die humanistischen Verfahren hervor, welche den Spiel-Raum der klassischen psychoanalytischen Behandlungstechnik – Liegen und Aussprechen, was einfällt – erweitern. Das aktive, leiborientierte und ausdrucksbezogene Handeln des Klienten wird als positives Element entwickelt. Die sich durch solche Angebote im Hier und Jetzt abbildenden alten Muster werden durch eben diese spezifischen Vorgehensweisen auch bearbeitet. Dies ist für die therapeutische Arbeit mit kreativen Medien, und mithin für die Musiktherapie, von besonderer Bedeutung.
Читать дальше