Kurzum
Benutzen Sie – wo immer möglich – eine solide, wissenschaftliche Quellenedition!
2.2 Archive: Schatzkammern des Historikers
Wer die Maxime „ad fontes!“ ernst nimmt, findet auch den Weg ins Archiv. Archive sind die Schatzkammern der Quellenarbeit. Quellen aus Archiven sind zwar nicht „besser“ oder „schlechter“ als Quellen aus Editionen, die ihrerseits wiederum meist aus Archivbeständen erarbeitet werden – aber weitaus weniger genutzt: Hier besteht die Chance zu echten Pioniertaten. In Archiven können Sie Quellen entdecken, an denen bislang kaum jemand oder vielleicht noch niemand gearbeitet hat. Nutzen Sie die Gelegenheiten, die Ihnen Archive in der Umgebung bieten – fast immer sogar unentgeltlich!
Woher weiß man, welches Archiv für die eigenen Studien relevant ist? Erste Hinweise geben Quelleneditionen oder Fachliteratur: Sie weisen die Herkunft ihrer Quellen nach. Am Fundort können Sie oft ähnliche oder weitere Quellen finden. Einen zentralen Katalog für die Bestände aller Archive gibt es freilich nicht, auch keine Datenbank, die alle Archivalien erfasste – aber doch Portale, die diesem Zwecke für einzelne Länder oder Themen zumindest nahekommen: darunter der Kalliope-Verbund für Nachlässe und Autographen ( http://kalliope-verbund.info) oder das Archivportal-D ( https://www.archivportal-d.de). Größere Archive, insbesondere das Bundesarchiv ( http://www.bundesarchiv.de) und die Archive der Bundesländer, ermöglichen oft online eine erste Bestandsübersicht; kleinere Archive können diese Aufgabe selten leisten, haben aber oft faszinierende Bestände.
Am Anfang steht die Überlegung, welche Quellen in welcher Art von Archiven am ehesten erhalten sein könnten. Viele Faktoren sind dabei zu beachten: der erwartete Inhalt der Quelle, die erwartete Art der Quelle, nach der Sie suchen, ihre Provenienz (Herkunft), das Schicksal ihrer Überlieferung – etwa Beute-Archivalien aus Kriegszeiten. Quellen, die unmittelbar mit dem Staat verbunden sind, finden Sie naturgemäß am ehesten in staatlichen Archiven, Quellen über unternehmerische Aktivitäten in Unternehmensarchiven, Taufregister und Vergleichbares in kirchlichen Archiven. Einen Überblick über die wichtigsten Archive und einen ersten Einblick in die Archivkunde erhalten Sie andernorts leicht. 18 In Deutschland bestehen unter anderem folgende Arten von wichtigen Archiven:
Staatsarchive: Bundesarchiv, Archive der Bundesländer, Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Kommunale Archive (bei kleinen Gemeinden ohne eigenen Archivar oftmals im zuständigen Kreisarchiv integriert).
Kirchliche Archive: meist in den jeweiligen Landeskirchen oder Bistümern organisiert (bisweilen auch in staatlicher Obhut).
Wirtschaftsarchive: Größere Unternehmen verfügen oftmals über eigene Firmenarchive, ebenso manche Verlage. Es gibt aber auch eigenständige Archive wie das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv zu Köln.
Adelsarchive: Traditionsreiche Adelshäuser unterhalten bisweilen eigene, mitunter ungenutzte Archive, bisweilen wird ihre Überlieferung als Depositum in Staatsarchiven aufbewahrt.
Universitätsarchive: Viele Universitäten führen eigene Archive, wichtige einschlägige Quellen lagern indes oft in Staatsarchiven.
Wissenschaftliche Institutionen: beispielsweise das Deutsche Literaturarchiv in Marbach oder das Deutsche Musikarchiv, das der Deutschen Nationalbibliothek angegliedert ist.
Parteien, Verbände, Stiftungen, Vereine und Gewerkschaften besitzen oft eigene Archive.
Gedenkstätten sind in mancher Hinsicht selbst Archive, manchmal sind ihnen eigene Archive angegliedert (etwa unter Begriffen wie „Dokumentationszentrum“).
Private Nachlässe aller Art: Der Deutsche Bundestag hat Stiftungen für die Pflege der Archivalien einiger besonders bedeutender Politiker gegründet (derzeit namentlich: Otto von Bismarck, Friedrich Ebert, Konrad Adenauer, Theodor Heuss, Willy Brandt, Helmut Schmidt) – doch die meisten Nachlässe unter anderem bedeutender Politiker und Künstler werden als Deposita in einschlägigen Archiven (wie Parteistiftungen) oder in Privatregie aufbewahrt.
Die Benutzung der Archive ist in Benutzungsordnungen geregelt. Machen Sie sich damit am besten vertraut, ehe Sie eine weite Reise zum Archiv antreten: Zum Beispiel gibt es oftmals feste Bestellzeiten für die Lesesäle und andere Regularien. Sie sind für Ihre Recherchen ebenso wichtig wie generelle Regeln. Staatliche (und manche kirchlichen) Archive unterscheiden sich prinzipiell von privaten. Letztere dürfen willkürlich selbst entscheiden, wem sie welche Quellen vorlegen, und bestimmen selbst über die Bedingungen der Benutzung und Verwertung; vielfach müssen Sie zunächst Ihr Forschungsinteresse benennen, ehe Sie Zugang bekommen oder eben auch nicht. Anderes verhält es sich bei ersteren: Hier haben Sie als Staatsbürger einen Rechtsanspruch auf Einsicht in Archivalien, der seine Grenzen nur in gesetzlich genau fixierten Einschränkungen findet – wie insbesondere dem Schutz der Privatsphäre (ein großes Streitthema etwa bei der Nutzung der „Stasi-Unterlagen“, von denen manche gar nicht oder nur teilweise geschwärzt zugänglich sind) und Sperrfristen (meist 30 Jahre, in manchen Fällen auch länger, potentiell ewig, so laut Bundesarchivgesetz dann, wenn „das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde“ 19 ).
Übrigens verfügen viele Archive auch über mehr oder weniger umfangreiche Bibliotheken, die zu den jeweiligen Beständen passen: Nutzen Sie auch diese Möglichkeiten! Und vor allem: Nehmen Sie vorab Kontakt zu den Experten auf – die jeweiligen Archivare freuen sich über die Zusammenarbeit mit Archivbenutzern und kennen die Bestände selbst meist so gut, dass sie oft geradezu sprechende Findbücher sind. Sie geben Ihnen wertvolle Tips für Ihre Recherche. Zuvor sollten Sie sich freilich mit der Bestände-Übersicht befassen und, falls verfügbar, mit den einschlägigen Findmitteln: Repertorien oder Findbücher verzeichnen die Bestände eines Archives und erfassen sie bisweilen bereits so feingliedrig, dass Sie vorab gezielt bestimmte Bestände (mit entsprechenden Signaturen erfasst) zur Einsicht vor Ort im Archiv bestellen können.
Für die Suche nach Nachlässen bestimmter Personen eignen sich etwa der Kalliope Verbundkatalog ( http://kalliope-verbund.info) oder die Nachlassdatenbank des Bundesarchives ( http://www.nachlassdatenbank.de). Wenn Sie beispielsweise mehr über die Entstehung des „Aufrufs an die Kulturwelt“ (siehe S. 142) erfahren wollen, könnten Sie nach Nachlässen der Unterzeichner suchen. Dazu zählte auch der renommierte Archäologe Wilhelm Dörpfeld, dessen Unterlagen teilweise im Wuppertaler Stadtarchiv aufbewahrt werden. 20
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