1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Das Neue Testament, als normatives Zeugnis der frühen Zeit des Christentums, enthält keine homogene Theologie und stellt keine einheitliche Kirchenlehre dar, sondern ist in sich plural und bezeugt das von Anfang an stattfindende Ringen um die Deutung der Person Jesu. Der KanonKanon selbst ist Dokument einer Vielzahl von theologischen Entwürfen. Bereits 1951 stellte der Neutestamentler Ernst Käsemann (1906–1998)$Käsemann, Ernst, 1906–1998, evangelischer Theologe deshalb fest:
Der neutestamentliche KanonKanon begründet als solcher nicht die Einheit der KircheKircheEinheit der Kirche. Er begründet als solcher, d.h. in seiner dem Historiker zugänglichen Vorfindlichkeit dagegen die Vielzahl der Konfessionen. Die Variabilität des Kerygmas im NT ist Ausdruck des Tatbestandes, daß bereits in der Urchristenheit eine Fülle verschiedener Konfessionen nebeneinander vorhanden war, aufeinander folgte, sich miteinander verband und gegeneinander abgrenzte. (Käsemann, 1970, 221)
Deshalb ist es im Rahmen einer KonfessionskundeKonfessionskunde angebracht, stets in Erinnerung zu behalten, dass die Vielzahl von Kirchen an sich keine zu überwindende Illegitimität darstellt, sondern dem Christentum von seinem Ursprung her immanent ist.
Die viel zitierte Bitte des johanneischen Jesus in Joh 17,11.21 („dass sie alle eins seien“) zielt gerade nicht auf die Uniformität einer Einheitskirche, sondern auf das gemeinsame Wirken aller Christenin der Welt Vielfalt und Einheit(so wie Gott und Jesus in johanneischer Perspektive zusammen in der Welt wirken) und die Erkenntnis, dass alle Christen in einer von Gott her gegebenen Wirklichkeit, die über Zeit und Raum hinausgeht, bereits eins sind. Der Vers ist keine Handlungsaufforderung für die ÖkumeneÖkumene, sondern eine Erinnerung an die Kirche als Gemeinschaftder Heiligen. Diese Bitte ist deshalb so zu verstehen, dass Christen sich ihrer gemeinsamen Identität bewusst sein sollen, um in der Welt gemeinsam agieren zu können. So sollen sie „der Welt“ die Attraktivität und die Heilsmöglichkeit des Christentums zeigen.
Sobald bewusst ist, dass PluralitätPluralität – Pluralisierung kein zu überwindender Mangel der christlichen Kirchen ist, kann auch die historische Ausdifferenzierung des ChristentumsAusdifferenzierung (des Christentums) in verschiedene Kirchen akzeptiert werden, ohne dass dabei von Orthodoxie (‚richtige Lehre‘), von dem „rechten Glauben“ im Gegensatz zu Häresie Häresie im Sinne von ‚Irrlehre‘ oder ‚(Ab-)Spaltung‘ gesprochen werden muss. Kirchen wachsen miteinander, differenzieren sich in ihrem Innern, halten Spannungen entweder aus oder manifestieren sich in neuen Kirchen. Dabei führt sich jede Kirche im Prinzip auf das Ereignis des Anfangs zurück. Es ist demnach verfehlt, „Geburtsstunden“ einzelner Kirchen anzugeben oder eine Kirche als ältere bzw. jüngere zu bestimmen, da dabei übersehen wird, dass jede Kirche sich dem Anfang verpflichtet weiß und von diesem her ableitet. Die Geschichte jeder christlichen Kirche beginnt in dieser Perspektive deshalb mit der Interpretation Jesu als Christus.
2.1 Die ersten vier Jahrhunderte
Beginn der christlichen GemeinschaftNach der Kreuzigung Jesu löste sich die von ihm ins Leben gerufene jüdische Erneuerungsbewegung nicht vollständig auf und reintegrierte sich nicht umfänglich in das antike Judentum – obwohl das vorstellbar und zu erwarten gewesen wäre. Stattdessen begann die Verkündigung, die aus der jüdischen BewegungBewegung(en) eine neue ReligionReligion werden ließ.
Mit der Aufnahme von Heiden und den damit verbundenen theologischen Implikationen beschäftigt sich der ApostelApostel Paulus. Seine Briefe zeigen, wie sich die neue ReligionReligion in der Welt zurechtfindet. Rituelle und theologische Fragen, z.B. Beschneidung oder Speisegebote wurden zuweilen kontrovers diskutiert (Gal 2; Apg 15) und mit der Neuinterpretation der TaufeTaufe als Initiationsritual Initiationsritual ging das Christentum schließlich über das Judentum hinaus. Die genauen Entwicklungen dieser Zeit liegen im Dunkeln. Während die Apostelgeschichte die Anfänge des Christentums harmonisierend erzählt und auf Jerusalem konzentriert, deutet der Schluss des Markusevangeliums auf einen Neubeginn der Jesusbewegung in Galiläa hin. Die Texte des Neuen TestamentsNeues Testament zeigen also, dass bereits in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts eine erstaunliche Vielfalt des Christentums präsent war.
Erste LehrentscheidungenVerschiedene Theologien und verschiedene christliche Strukturen an verschiedenen Orten bestimmten die frühen Jahre, in denen sich das Christentum in der Welt nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum organisierte. Zunächst von der herrschenden Macht des Zeitalters, dem römischen Reich, nicht beachtet, dann nicht verstanden und schließlich bekämpft, versuchte das Christentum sich nach der ausgebliebenen Naherwartung einzurichten. Nachdem es im Reich von der verfolgten zur tolerierten ReligionReligion und schließlich sogar zur Staatsreligion (381) aufgestiegen war, mussten wesentliche Glaubensinhalte bestimmt werden. Nach Vorarbeiten, die zum Teil im Westen, zum größeren Teil im Osten des Reichs geleistet wurden, charakterisierten die KonzileKonzil / Konziliarismus von Nicäa (325) und Konstantinopel (381) die Trinitätslehre TrinitätTrinitätslehre in der Weise, dass auch der Sohn und der Heilige GeistHeiliger Geist eines Wesens mit dem Vater sind und hielten die Göttlichkeit von Sohn und Heiligem Geist fest.
Auf dem KonzilKonzil / Konziliarismus von Konstantinopel wurde als Ergebnis der Beratungen das wichtigste, weil allen gegenwärtigen Kirchen gemeinsame GlaubensbekenntnisGlaubensbekenntnis, das Nicäno-Konstantinopolitanum BekenntnisNicäno-Konstantinopolitanum, verabschiedet. Es ist das einzige Glaubensbekenntnis, das ökumenisch verbindlich für alle christlichen Kirchen gilt. Doch bereits um die Bestimmung Gottes gab es heftige Auseinandersetzungen und Verwerfungen, die die frühe PluralitätPluralität – Pluralisierung des Christentums belegen. Die Gegner der Trinitätslehre TrinitätTrinitätslehre, z.B. die Arianer oder Homöer, zeitigten zwar vereinzelt Nachwirkungen, z.B. bei den Germanen, konnten aber keine bis heute existierende Kirche gründen. Anders sah dies bei den Auswirkungen des nächsten Schritts der dogmatischen Entwicklung aus.
Das Interesse richtete sich nach der Klärung des trinitarischen Gottesbildes nun auf die Person Christi.
2.2 Die christologischen Auseinandersetzungen und das KonzilKonzil / Konziliarismus von Chalcedon 451
Das Problem der zwei NaturenDie sogenannten christologischen Christologie Auseinandersetzungen in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts waren ausschlaggebend für die Trennung der altorientalischen Kirchen von den byzantinisch-orthodoxen Kirchen des oströmischen Reichs. Dabei ging es um die zwei Naturen von Jesus ChristusJesus Christus, um das Verhältnis von Göttlichkeit und Menschlichkeit in seiner Person, und wie die Beziehung der beiden Naturen zueinander zu begreifen und zu beschreiben ist. Im 4. und 5. Jahrhundert wurden die christologischen Debatten im Wesentlichen zwischen den beiden theologischen Zentren der damaligen Zeit, Alexandrien und Antiochien, ausgetragen. Die alexandrinischen Theologen hoben besonders die Einheit der menschlichen und göttlichen NaturNatur Jesu Christi hervor. Die antiochenischen Gelehrten unterstrichen dagegen den Unterschied der beiden Naturen.
Ein elementarer Aspekt der christologischenChristologie Fragen ist die soteriologische Implikation: Wie kann Jesus ChristusJesus Christus als ein Mensch, dessen Göttlichkeit nicht präsent ist, die Menschheit erretten? Oder welchen „Wert“ hat die Errettung durch einen Gott, der nicht auch ganz und gar Mensch war?
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