3.5.2 Die Bedeutung von Kontext
Eine systemorientierte Sicht auf Umwelt, Organisation und Management betrachtet eine Organisation als komplexes Wertschöpfungssystem, das in eine dynamische Umwelt eingebettet ist. Sie betont, dass unternehmerische Phänomene, Problemstellungen und Entwicklungen immer in ihrer Eingebettetheit in einen umfassenderen Kontext zu betrachten sind (Pettigrew, 1987). Dieser Kontext kann vielfältig sein, es sind je nach Entscheidungssituation verschiedene Kontexte zu unterscheiden. Es kann sich z.B. um die historische Entstehung einer Organisation handeln, es kann sich dabei um eine heisse Kontroverse zu wichtigen «Nebenwirkungen» eines Produkts (z.B. Abgase von Automobilen) handeln, es kann um den politischen, rechtlichen oder technologischen Kontext gehen.
Wie sich Marktteilnehmende verhalten, wie sich eine Organisation weiterentwickelt, was Management bewirken müsste und tatsächlich bewirken kann, ist immer vor dem Hintergrund eines spezifischen, historisch gewachsenen Kontexts zu betrachten. So lässt sich das Verhalten einer Organisation, ob Unternehmung, Stadtverwaltung, politische Partei, Universität, Spital oder Museum, immer nur mit Blick auf die spezifische Umwelt einer solchen Organisation angemessen verstehen.
Dasselbe gilt für die «Innenwelt» einer Organisation. Teams, Fachabteilungen und Geschäftsbereiche agieren eingebettet in die Gesamtorganisation. Was eine Management-Praxis demzufolge bewirken und erreichen kann, hängt in zentraler Weise vom Gesamtkontext ab, der historisch gewachsen ist, sich in fortlaufender Entwicklung befindet und damit selbst eine dynamische Grösse ist.
Bei einer systemorientierten Perspektive ist deshalb ein sorgfältiges Erfassen und Verstehen relevanter Kontexte von grundlegender Bedeutung. Es erfordert ein systematisches «Zooming-out», um den grösseren Zusammenhang, z.B. eine Technologie- und Marktdynamik erfassen, und ein «Zooming-in», um die Mikrodynamik, z.B. die wachsende Relevanz von Social Media für eine wirksame Kundenansprache, angemessen verstehen zu können (siehe Abbildung 28, S. 167). Durch ein Oszillieren zwischen Zooming-out und Zooming-in, d.h. ein wechselseitiges Aufeinanderbeziehen, können Marketing-Aktivitäten entwickelt werden, die beiden Perspektiven gerecht werden. [47] Mit anderen Worten setzt aus systemorientierter Sicht jedes angemessene Verstehen komplexer Phänomene eine sorgfältige Auseinandersetzung mit einem System und mit seiner vielfältigen Umwelt voraus.
3.5.3 Die Bedeutung von Interdependenzen
Zwischen einer Organisation (als komplexem Wertschöpfungssystem) und ihrer Umwelt, aber auch zwischen den Elementen einer Organisation bestehen immer vielfältige Beziehungen, wechselseitige Abhängigkeiten und Rückkoppelungen. Deren Dynamik angemessen zu verstehen, ist ein Grundanliegen einer systemorientierten Perspektive, denn Wirkung ergibt sich in einem komplexen Handlungszusammenhang immer aus dem wechselseitigen Zusammenspiel von verschiedenen Elementen. Nicht die Eigenschaften einzelner Systemelemente stehen im Zentrum des Interesses, sondern die Interdependenz von Interaktionen und die dabei resultierenden Wirkungen und Rückwirkungen.
So lässt sich beispielsweise ein gutes Fussballteam nicht einfach durch ein Zusammenkaufen von herausragenden Fussballstars formieren. Was zählt, ist vielmehr deren eintrainiertes, kreatives Zusammenspiel, das nicht aus den aufsummierten Fertigkeiten der einzelnen Fussballspieler hervorgeht, sondern eine eigene Qualität darstellt. Selbstverständlich können dabei auch herausragende Einzelspieler eine wichtige Funktion haben.
Was ein einzelner Spieler zu bewirken vermag, hängt nichtsdestoweniger von der dynamischen Gesamtkonstellation der beiden Mannschaften auf dem Fussballfeld ab. Interdependenz meint dabei, dass jeder Spieler auf dem Feld simultan mehrere Spieler der eigenen und der gegnerischen Mannschaft beobachtet und sein eigenes Verhalten auf diese dynamische Konstellation ausrichtet. Weil dies gleichzeitig jeder Spieler auf dem Feld tut, ergibt sich ein hochkomplexes Verhaltensgefüge, das höchstens ansatzweise durchschaut werden kann und aus dem keine präzisen Prognosen abgeleitet werden können.
Was ein Fussballteam zu leisten vermag, hängt weiter ab von seiner Einbettung in den grösseren Kontext, vom Club-Management, von der Nachwuchsförderung bis zur Einbindung der Fan-Communities und von der Mitwirkung in nationalen und internationalen Fussballgremien. [48]
Aus einer systemorientierten Perspektive resultieren die Wirkungen und der Erfolg einer Organisation (genauso wie eines Fussballteams) aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl von interdependenten Voraussetzungen, Fähigkeiten und Dynamiken, die sich historisch in der Erbringung von organisationaler Wertschöpfung herauskristallisieren – was einer «simplen Steuerbarkeit» einer Organisation enge Grenzen setzt. Ein System als dynamische Ganzheit (in einer dynamischen Umwelt) ist mehr und auch etwas ganz anderes als die Summe seiner Teile – und genau dies macht die Komplexität eines Systems aus.
3.5.4 Konsequenzen für das Verständnis von Management
Aus einer systemorientierten Perspektive wird das dynamische Zusammenspiel von Umwelt, Organisation und Management als komplexer Entwicklungszusammenhang verstanden. Dies bedeutet Folgendes: Erstens sind sämtliche Aktivitäten in vielfältige Kontexte eingebettet (Haas, 2010). Zweitens können Handlungen nie isoliert betrachtet werden, sondern ihre Wirksamkeit entwickelt sich immer in interdependenter Interaktion mit anderen Handlungen. Drittens unterliegt dieses Zusammenspiel von Handlungen einer fortlaufenden Interaktionsdynamik, die nie vollständig antizipierbar ist.
Deshalb resultiert die Wirksamkeit von Management nicht aus heroischen Einzelhandlungen und Einzelentscheidungen, sondern aus interdependenten Interaktionen, die historisch und situativ eingebettet stattfinden und sich in fortlaufender Entwicklung befinden. Management ist somit eine Praxis – eine Form vielfältig aufeinander bezogenen praktischen Tuns wie die Praxis der Rechtsprechung oder die Praxis des Musizierens in einem Orchester.
Im Verständnis des SGMM ist Management eine reflexive Gestaltungspraxis. Diese Sichtweise fundiert auf einer sorgfältigen empirischen Auseinandersetzung mit der Management-Praxis heutiger Organisationen und profitiert zugleich von neuesten Entwicklungen in der Managementforschung (Cunliffe, 2014; Korica et al., 2017), die Organisationen im Kern als Repertoires von interdependenten Praktiken betrachten (→ ÜP, 3.2). [49]
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