„Achilles! Achilles! Da bist du ja endlich. Bitte, sieh mir nach, dass ich abgehauen bin.“ Patroklos kam auf ihn zu gelaufen. Er fiel dem Peliden direkt in die ausgebreiteten Arme. Heiße Tränen rannen ihm vor Erleichterung übers Gesicht. „Ich hatte solche Angst … ich … tut mir leid … verzeih mir bitte … ich habe …“, stotterte er vor sich hin. „Schon gut, Pat, ich hätte dir mehr Zeit geben sollen. Da bin ich dir jetzt wohl mehr als eine Antwort schuldig.“ Sein Schüler klammerte sich geradezu an ihm fest. Der Abgott presste seine Lippen auf dessen Augenbrauen und den zarten Hals. „He, Pat, du brauchst dich nicht mehr zu ängstigen. Ich bin immer bei dir und beschütze dich.“ In ihrem Windschatten waren Telemachos, Aeneas, Romulus und Remus aufgetaucht. Achilles hielt Patroklos immer noch fest umschlungen, flüsterte ihm beruhigende Worte zu und strich ihm übers Haar. „Bei Hermes und Pallas Athena!“, rief Odysseus plötzlich aus. Alle wirbelten zu ihm herum. Der König von Ithaka starrte gebannt auf seine Handinnenflächen. Um ihn herum erblühten Blumen, Pflanzen und Bäume auf ein Neues. Glitzernder Blütenstaub schwebte langsam rund um ihn herum zu Boden. Dort erscheinen sogleich neue Gewächse. „Große Götter, ist das abgefahren, Vater!“ Telemachos sah ihn voller Bewunderung an. Achilles und Hektor stimmten in diesem Punkt einhellig dem Sohn der Penelope zu. Das war wirklich erstaunlich. „Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich falle um vor Hunger“, sprach der Listenreiche, nachdem er sich damit abgemüht hatte, von einem gerade frisch erschienenen Baum ein paar Früchte zu pflücken. Achilles lachte. Und dieses Lachen war so ungezwungen, dass es ihn noch schöner erschienen ließ. In jenem Moment sah er wundervoll aus mit seinem blonden Haar und den blauen Augen. „Ach ja, Odysseus, da sagst du was. Waren wir nicht ursprünglich zum Essen verabredet?“, stellte Aeneas fest. Alle bejahten.
Ende von Kapitel zwei
„Götter, dieser Wein ist wirklich eine Zumutung!“, zischte Achilles und spuckte angewidert den Inhalt seines Mundes auf den Boden. Er nahm sich eines der Brote und begann langsam darauf herum zu kauen. „Es ist hoffnungslos. Das alles hier. Umsonst.“ Er biss ein weiteres Stück ab. „Dann stimmt es also, du bist einfach nur ein schlechter Verlierer. Weißt du, mir macht es längst nichts mehr aus, wenn du mich beleidigst oder erniedrigst. Vielleicht hast du sogar ausnahmsweise einmal recht. Was die jetzige Situation aber betrifft, haben wir schon verloren, wenn wir gleich aufgeben, ohne zu kämpfen!“ Hektor lehnte sich leicht zur Seite, um genauer in diese furchtbar blitzenden Augen zu sehen. „Ha, diese naive Hoffnung ist etwas für niedrige Geister. Gemüter, die sich an schlichte Lösungen halten, weil sie das Unabwendbare nicht akzeptieren können. Für mich zählen die Naturgesetze. Fressen und gefressen werden, das ist der Lauf aller Dinge. Und wenn wir dieses Mal untergehen, dann soll es eben wohl so sein.“ Achilles griff erneut zu diesem äußerst grässlichen Gesöff und stürzte es schnell hinunter. Hektor wickelte sich fester in seinen Umhang. Ihm war sehr kalt geworden. „Aber, wenn wir keine Hoffnung mehr haben, dann haben wir überhaupt nichts mehr. Da fällt der Himmel auf uns hinab und bricht in tausend Stücke. Nun, dir scheint das ja auch gleich zu sein.“ Achilles schwieg. Die Temperatur sank weiter in Richtung Gefrierpunkt. Das Feuer war schließlich ganz erloschen. Totale Stille. Totenstille. Dann ein Geräusch. „Was war das?“ Ein Blick in die Dunkelheit. „Ich denke, ich weiß, was das war, und Götter, hoffentlich irre ich mich.“ Achill tastete nach seinem Schwert. Vergeblich versuchte Hektor, ebenfalls auf die Beine zu kommen. Doch sein verletzter Oberschenkel verweigerte jede Bewegung. Er konnte nicht mehr tun, als unter dem Peliden kauernd weiter zu verharren. Da glomm gleißendes gelbes Licht auf. Ein Augenpaar, jedes einzelne Auge von der Größe einer Turmuhr, starrte sie an. Das Wesen hatte sich genau vor ihnen aufgebaut. Achilles fiel als Erster wie vom Blitz getroffen um. Ungebremst schlug er auf den harten Felsen auf. Seine Rüstung schepperte unheilvoll. Seinem Gefährten war nichts geschehen. Hektors Wunde hatte wieder zu bluten begonnen, sodass er nun, über den Verband gebeugt, sitzen blieb. Sein Blick war nach unten gerichtet. So hatte das Licht ihn nicht erreichen können. Er sah erst wieder vorsichtig hoch, als Achill neben ihm aufprallte. Der Trojaner brauchte nicht lange, um zu begreifen, was geschehen war. Einer Intuition folgend griff er nach dem Schwert des Griechen und warf es nach oben in Richtung des Angreifers. Zwar war ihm durchaus bewusst, dass dieses normalerweise wenig dazu geeignet war, um als Wurfgeschoss verwendet zu werden, doch im Notfall war dies legitim. Um das Ungeheuer nicht zu verfehlen, spähte er kurz in dessen Richtung. Zum Glück strahlte kein gelbes Licht mehr aus dessen Augenhöhlen. Offenbar schien es zu glauben, beim ersten Angriff alle Feinde bezwungen zu haben. Ein fataler Fehler, wie sich herausstellen sollte. Die Bestie explodierte über ihren Köpfen, noch kurz darüber verwundert, aufgespießt zu werden. Hektor atmete schwer, biss die Zähne zusammen und kroch zu Achilles. Währenddessen regnete es Magensäfte und Organe. Das schwarze dickflüssige Blut ergoss sich über den Felsen. Mit zwei Händen packte er Achilles und schüttelte ihn. „Verfluchter Mist, Pelide! Wach auf! Komm schon, wir dürfen nicht aufgeben!“ Doch der Blonde regte sich nicht. Entgeistert schrie er ihn weiter an. „Achilles, du Dreckskerl, kannst mich doch hier nicht alleine lassen!“ Ein Krampf durchfuhr seinen Körper. Die Schmerzen im Bein brachten ihn fast um. Dennoch zerrte und rüttelte er an dem Griechen wie wild. Dem Wahnsinn immer näher drosch er schließlich mit der Faust auf dessen makelloses Gesicht ein. Dieser, da bekanntlich unverwundbar, trug keine einzige Schramme davon, obgleich die Wucht ausgereicht hätte, um seine Zähne herausbrechen zu lassen. Aber die Wirkung war dennoch erstaunlich. Der Schlag holte den Abgott wieder in die Gegenwart zurück. Achill öffnete die blauen Augen, rappelte sich hoch und starrte Hektor an, als wäre dieser ein Gespenst. „Sag mal, hast du mich gerade geschlagen?“ Grob zerrte er den Mann an seinen Haaren zu sich. Anstatt zu antworten nickte der nur leicht zu den Körperteilen des Dämons. Skeptisch betrachtete der Abgott sie, dann ließ er den Trojaner einfach los. Ein schmerzerfülltes Stöhnen war zu hören. Der Abgott faltete die Hände zusammen und legte sie an seine Stirn, wo die blonden Haare sich wie Vorhänge schlossen. Hektor saß, ein leises Winseln von sich gebend, da und starrte auf seine Hände, die sich langsam rot färbten. Da geschah etwas Unerwartetes. Achilles kniete sich neben ihn und umfasste die zittrigen Finger. „Lass mich das machen, bevor du mir hier noch verblutest.“ Er riss einen Teil seines Hemdes von seinem Leib und wickelte es um die Wunde. Anschließend fixierte er das Ganze mit seinem Gürtel. „Immerhin schulde ich dir für mein Leben wenigstens deine Existenz. Das ist schon recht so. Keiner soll mir nachsagen, ich würde meine Schulden nicht begleichen.“ Mit groben und ruppigen Bewegungen versorgte er den Trojaner weiter. Hektor sah nur schweigend dabei zu. Achilles war ein erfahrener Feldarzt und verstand durchaus etwas von dem Handwerk, doch eine gewisse Brutalität und Dominanz ließ sich auch hier nicht leugnen. „Leg dich schlafen. Unser Spiel verlegen wir ins Morgengrauen, bis dahin wirst du stark genug sein, dich meiner zu erwehren.“ Damit drehte Achilles sich von ihm weg, schlang seinen Umhang um sich und versuchte, ebenfalls Ruhe zu finden.
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