HANNES ANDROSCH
DIGITALISIERUNG VERSTEHEN
Was wir über Arbeit, Bildung und die Gesellschaft der Zukunft wissen müssen
In Zusammenarbeit mit Marie-Theres Ehrendorff
Einleitung EINLEITUNG
Kapitel 1 : Digitaler Wandel
Die Instrumente der Digitalisierung
Kapitel 2 : Arbeitswelt und Erwerbsleben
Die Neuerfindung des Berufsalltags
Digitale Geschäftswelt des 21. Jahrhunderts
Kapitel 3 : Lebensgrundlage und Lebenschancen
Digitalisierung revolutioniert das Finanzsystem
Bedrohter Cyberraum: Internetkriminalität
Demokratie 4.0
Bildung in der Wissensgesellschaft
Kapitel 4 : Künstliche Intelligenz, die Königsdisziplin der Digitalisierung
Was ist künstliche Intelligenz?
Die Technik der KI
Roboter prägen unser Leben
Kapitel 5 : Technikgetriebene Zukunft
Mobilität in Bewegung
Umwelt trifft Nachhaltigkeit
E-Health: Digitalisierung im Gesundheitsbereich
Neue Impulse für den Gesundheitssektor
Der digitale Mensch
Ausblick
Das Digital-Vokabularium
Quellen
Literatur
Englischsprachige Literatur
Im Text erstmalig angeführte und im „Digital-Vokabularium“ ab S. 180 erläuterte Fachbegriffe, wie z.B. „Digitalisierung“, „Hardware“, „Software“, sind farbig hervorgehoben.
EINLEITUNG
„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“
(Chinesische Weisheit)
Der digitale Wandel hat uns fest im Griff
Wir leben in einer Zeit rasanter Veränderungen, geprägt von Umwälzungen und Umbrüchen. Es ist zugleich eine Zeit der Ungewissheiten und Unsicherheiten und damit auch eine Zeit von Besorgnis und Ängsten – insgesamt eine Epochenwende. Und diese Zeitenwende bringt völlig neue Anforderungen und Probleme mit sich, die sich mit Rückgriffen auf die Vergangenheit nicht lösen lassen.
So hat uns die Corona-Pandemie die Bedeutung der Digitalisierung vor Augen geführt und schonungslos die Schwachstellen unserer Gesellschaft aufgezeigt. Die große Herausforderung im digitalen Wandel ist die Geschwindigkeit. Covid-19 hat die Welt mit einem Schlag fast lahmgelegt und wir hatten von einer Stunde auf die nächste zu handeln, um die lebensnotwendigen Bereiche am Laufen zu halten. Flexibilität ist ebenfalls ein fundamentales Wesensmerkmal der technologischen Revolution. Durch kurzfristiges Improvisieren war das Weiterarbeiten in Unternehmen möglich, auch wenn die Mitarbeiter nicht im Büro anwesend sein konnten. Ad hoc wurde aus einem Wohnzimmer ein Homeoffice mit Esstisch als Arbeitsplatz, denn digitale Technik funktioniert genauso gut von zu Hause oder von unterwegs.
Als Schwachstelle entpuppten sich weder Hardware noch Software, sondern ein soziotechnisches Problem: die Schnittstelle, die Mensch und Technik in ihren routinemäßigen Abläufen aufeinandertreffen lässt. Auch digitale Wege sind keinesfalls so kurz, wie der Schriftverkehr via E-Mails, PDF-Dokumenten oder Scans in der computerbasierten Verwaltung vermuten lässt. Durch die Digitalisierung ändern sich Arbeitsort und Arbeitszeit – die zeitlichen und räumlichen Grenzen verschwimmen – und der kurzfristige informelle Austausch auf schnellem Dienstweg – eine Etage höher oder tiefer – ist ausgeschlossen. Regeln, Vorschriften und Normen, die institutionellen Rahmen der Arbeit betreffend, werden uns wohl noch intensiv beschäftigen.
Im Lockdown, als die Menschen festgestellt haben, dass Kommunikation nicht nur persönlich möglich ist, sondern auch über zwei Bildschirme funktioniert, boomten Videodienste wie „ Zoom“, „Teams“ und andere. Dort haben sich neue Geschäftsfelder aufgetan, wie beispielsweise Koch- oder Yogakurse. Auch das Homeschooling hat der Digitalisierung im Schulbetrieb einen Schub verliehen. Was am Anfang fast unüberwindlich schien und mehr als holprig startete, hat im Distance Learning Mini-Fortschritte gebracht. Ähnliches gilt für die Telemedizin: Die reine Zettelwirtschaft hat ein Ende und das physische Rezept und der Krankenschein sind nunmehr auch digital. Dennoch herrscht Aufholbedarf. Nur jedes zehnte Handelsunternehmen hat es in Österreich geschafft, einen Großteil seines Geschäfts in den Online-Bereich zu verlagern. Davon profitieren Amazon und Co., was die Wertschöpfung ins Ausland fließen lässt.
Häufig mangelt es nicht einmal am Angebot, sondern schlichtweg an den Möglichkeiten. Wir wollen zwar im digitalen Zeitalter vor Anker gehen, schaffen es aber nicht, weil uns die Infrastruktur fehlt. Internet ist in Österreich noch immer nicht flächendeckend vorhanden. Die Kosten zur Verlegung der Kabel sind im Vergleich zu anderen Ländern hoch und in ländlichen Regionen – wo nicht einmal 10 Megabits über klassische DSL-Leitungen geliefert werden können – verbesserungsbedürftig. Die 5G-Technologie soll mit Mobilfrequenzen hier flächendeckend bis 2023 Abhilfe schaffen, wobei der Bedarf an Datenvolumen bereits jetzt – mit einem Rekordanstieg von bis zu 81 Prozent – explodiert ist. Unser Nachbarland Schweiz bietet der Bevölkerung fast flächendeckend Zugang zu 5G.
Digitalisierung verändert alles bisher Dagewesene
Obwohl die Digitalisierung keineswegs von heute auf morgen über uns hereingebrochen ist, kann sich niemand vorstellen, wie der Arbeitsmarkt im Jahr 2050 aussehen wird und welche Bedeutung der Familie, der Umwelt oder der Weltanschauung zukommen wird. Ganz zu schweigen von neuen Wirtschaftssystemen oder politischen Strukturen.
Nach der Entdeckung des Feuers war die neolithische Revolution mit der Entstehung von Landwirtschaft und Viehzucht der wahrscheinlich größte Einschnitt in der Menschheitsgeschichte. Nachdem der Mensch sesshaft geworden war, haben sich Städte und Schriftkulturen, komplexe Sozialsysteme, eine arbeitsteilige Wirtschaft und ausgefeilte Regularien für das Zusammenleben entwickelt. Die Sesshaftigkeit des Menschen ist die Quelle von Schrift, Staat und Staatsbildung. Mit der Zeit wurden Basistechnologien wie Metallverarbeitung, Mühlen oder Transport- sowie Logistiksysteme entwickelt. Die – im wahrsten Sinn des Wortes – wichtigste Antriebskraft dafür war über lange Zeit die Muskelkraft.
Dabei blieb es auch mehrere Jahrtausende. Erst die industrielle Revolution, beginnend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, läutete mit der Erfindung von Dampfmaschine und Eisenbahn den Übergang von der Agrar- in die Industriegesellschaft ein. Durch das Nutzbarmachen von fossilen Energieträgern, anfangs vor allem Kohle, wurde die Muskelkraft durch Maschinenkraft zuerst ergänzt und bald vielfach ersetzt.
Der Einsatz von Maschinen brachte viele Entwicklungen ins Rollen, sowohl technologischer als auch ökonomischer und sozialer Art. Ab dem späten 19. Jahrhundert setzten sich sukzessive Elektrizität und der Verbrennungsmotor durch. Der Umstieg von der Kutsche auf das Auto beeinflusste die Mobilität und die Mechanisierung in der Landwirtschaft. Das Arbeiten am Fließband in Fabrikshallen sowie ergänzende Methoden der Automatisierung revolutionierten schließlich die Güterproduktion. Ein weiterer Entwicklungsschub in der Automatisierung stellte sich mit der Entwicklung des Computers und dem Einsatz von Elektronik in den 1950er-Jahren ein.
Nun erleben wir erneut einen einschneidenden Wandel: den Umbruch von der industriellen zur digitalen Revolution. Auf Basis von Internet, Big Data, Algorithmen und deren Vernetzung zum Internet der Dinge mit immer leistungsfähigeren Sensoren, der künstlichen Intelligenz und maschinellem Lernen geht der Trend in Richtung cyber-physikalische Systeme. Ergänzt werden diese Entwicklungen durch Fortschritte in den Bereichen neue Materialien, Nanotechnologie, Quantencomputer und Gensequenzierung sowie deren Verknüpfung. Was früher die Maschinenkraft für die Muskelkraft war, ist jetzt die künstliche Intelligenzfür die Geisteskraft: eine Erleichterung und Ergänzung der menschlichen Arbeit.
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