Bernd Deininger - Verstehen statt verurteilen

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Nicht nur in den Sozialen Netzwerken, sondern auch im öffentlichen und privaten Dialog wird zunehmend deutlich, dass viele Menschen erst gar nicht versuchen, die Haltungen und das Handeln anderer zu verstehen, sondern sie gleich verurteilen.
Manche gehen mit sich selbst hart ins Gericht, ohne auf die eigenen Wunden zu achten. Schaut man dagegen ins Neue Testament, so wird deutlich, dass Jesus eine ganz andere Haltung hatte: Er ließ sich auf die Menschen ein, auf ihre Verletzungen, ihre Leidenschaften und Sehnsüchte. Er nahm sie an, wie sie waren. Aber er zeigte auch Wege der Heilung und Verwandlung auf.
Der katholische Mönch Pater Anselm Grün und der evangelische Arzt und Psychoanalytiker Bernd Deininger legen in diesem Buch jeweils aus der Sichtweise ihrer therapeutischen oder seelsorglichen Arbeit Texte aus den vier Evangelien aus. Sie zeigen, was möglich wird, wenn Menschen sich ihrer eigenen Wahrheit stellen und bereit sind, sich selbst und andere zu verstehen.

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Anselm Grün, Bernd Deininger

Verstehen statt verurteilen

Biblische Hilfestellungen für ein anderes Miteinander

Verstehen statt verurteilen - изображение 1

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2021

ISBN 978-3-7365-0351-9

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2021

ISBN 978-3-7365-0381-6

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: Finken und Bumiller, Stuttgart

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Anselm Grün

»Keiner kann dich verletzen, außer du selbst« • Matthäus 7,24–27 und Lukas 6,47–49

Bernd Deininger

Aufruf und Mut zum Leben • Matthäus 12,22–23

Bernd Deininger

Schwer zu verstehen • Matthäus 13,1–23

Anselm Grün

Bekenntnisse • Matthäus 16,13–20

Bernd Deininger

Das rechte Maß • Matthäus 13,24–30

Bernd Deininger

Die Mächtigen – als Täter und Opfer • Matthäus 14,1–12 und Markus 6,17–29

Bernd Deininger

Das Eigene und das Fremde verstehen • Matthäus 21,28–32

Bernd Deininger

Wer Sicherheit sucht, wird sie verlieren • Matthäus 25,14–30

Anselm Grün

Zum Reden erlöst • Markus 7,31–37

Anselm Grün

Versuche und Versuchungen • Lukas 4,1–13 und Matthäus 4,1ff

Anselm Grün

Auf dem Weg bleiben • Lukas 9,57–62

Bernd Deininger

In der Menschlichkeit des Menschen, dort finden wir die Wohnung Gottes • Lukas 10,25–37

Anselm Grün

Licht werden • Lukas 11,33–36

Anselm Grün

Zeichen der Zeit • Lukas 12,49–53

Bernd Deininger

Wir sind Geladene • Lukas 14,17–24

Anselm Grün

Denken hilft! • Lukas 14,28–32

Bernd Deininger

Vernunft und Glaube als Voraussetzung für den Zugang zum eigenen Ich • Lukas 15,1–10

Bernd Deininger

Von der Schwierigkeit, gütig zu sein • Lukas 15,11–32

Bernd Deininger

... wie wir vergeben unseren Schuldigern • Lukas 16,1–13

Bernd Deininger

Selbstvertrauen macht beziehungsfähig • Lukas 17,5–10

Anselm Grün

Ungewöhnlich gewöhnlich • Lukas 17,7–10

Anselm Grün

Den Himmel sehen • Lukas 19,1–10

Anselm Grün

Mensch werden – Selbst werden • Johannes 2,1–22

Anselm Grün

Wiedergeboren • Johannes 3,1–16

Bernd Deininger

Der Sündlose werfe den ersten Stein • Johannes 7,53–8,11

Anselm Grün

Von Schafen, Hirten, Räubern und Dieben • Johannes 10,1–21

Bernd Deininger

Beziehung schafft Leben • Johannes 11,17–41

Anselm Grün

Von der Schönheit des Kreuzes • Johannes 12,20–33

Bernd Deininger

Das ewige Licht • Johannes 12,44–46

Anselm Grün

Im Wein verwandelt • Johannes 15,1–8

Literatur

Vorwort

Eine der zentralen Haltungen Jesu ist: den Menschen zu verstehen, statt ihn zu verurteilen. Jesus lässt sich auf die Menschen ein, auf ihre Verletzungen und Wunden, auf ihre Leidenschaften und Sehnsüchte. Und er zeigt ihnen Wege auf, wie sie sich selbst verstehen können. Während seines Wirkens trifft er viele, die sich selbst verurteilen. Jesus urteilt nicht. Er nimmt den anderen an, wie er ist. Aber er zeigt auch Wege der Heilung und Verwandlung auf. Seine Wege der Heilung beziehen sich zunächst auf den Einzelnen, sie zielen aber letztlich immer auf ein neues Miteinander.

So haben in diesem Buch Bernd Deininger als evangelischer Arzt und Psychoanalytiker und Anselm Grün als katholischer Mönch und Seelsorger Texte aus den vier Evangelien ausgelegt, jeweils von ihrem spirituellen Hintergrund und von ihrer therapeutischen oder seelsorglichen Arbeit her. Sie haben dabei einen Dialog geführt zwischen den Texten und ihren Erfahrungen aus der Begleitung und so die Geschichten der Bibel neu verstanden. Umgekehrt haben die Texte ihnen geholfen zu verstehen, was in der Begleitung von Menschen geschieht. Sie haben ein neues Licht auf das geworfen, was geschieht, wenn Menschen sich in der Begleitung und in den Therapien der eigenen Wahrheit stellen und bereit sind, sich selbst und andere zu verstehen.

Verstehen ist der erste Schritt in der Begleitung, aber auch bei der Menschwerdung. Der zweite Schritt aber ist Verwandlung. Es geht darum, das, was ist, in die einmalige Gestalt zu verwandeln, die Gott jedem von uns zugedacht hat. Jesus lässt den Menschen nicht einfach dort stehen, wo er ist. Er bietet ihm einen Weg der Verwandlung und Heilung an. Die Voraussetzung dafür ist, genau hinzuschauen, was im Menschen ist. Schon die Kirchenväter kannten den theologischen Grundsatz: »Nur, was Jesus angenommen hat, kann erlöst werden«. Weil Jesus ganz Mensch geworden ist, hat er den Menschen so, wie er ist, erlöst. Diesen Grundsatz haben dann die christliche Spiritualität und auch die humanistische Psychologie übernommen: Nur das, was wir anschauen und verstehen, lässt sich verwandeln.

Das Verstehen richtet sich zunächst auf uns selbst. Wir sollen uns nicht verurteilen, wenn wir in uns masochistische oder sadistische Gedanken vorfinden, wenn wir voller Ängste und Zwänge sind, wenn Aggressionen uns beherrschen. Wir sollen verstehen, woher sie kommen und was sie uns sagen wollen. Wer sich selbst versteht, der kann zu sich stehen. Wer zu sich selbst steht, ist auch bereit, weiter zu wachsen. Jesus zeigt ihm den Weg, wie er durch die Wirklichkeit hindurch, die er in sich erlebt, zu dem einmaligen Menschen werden kann, als den Gott ihn gewollt hat.

Verstehen, statt zu verurteilen bezieht sich aber nicht nur auf unsere Schattenseiten. Es geht auch darum, sich selbst in seiner Würde zu verstehen. Jesus hat uns immer wieder auf unsere unantastbare Würde verwiesen. Er hat uns aufgezeigt, dass wir Söhne und Töchter Gottes sind. Gerade in den Worten des Johannesevangeliums hören wir, dass wir nicht nur von der Erde, sondern auch von Gott sind. Diese Worte klingen manchmal sehr spirituell. Aber wir werden unserem Wesen nicht gerecht, wenn wir nicht zugleich verstehen, dass wir durch Jesus eine göttliche Würde erhalten haben.

Wer sich selbst versteht, statt sich zu verurteilen, wird auch andere versuchen zu verstehen, ohne sie zu bewerten. Wir sind häufig schnell damit, andere zu bewerten, uns über sie zu entrüsten, sie zu verurteilen. Doch damit stellen wir uns über sie. Und wir projizieren oft genug unsere eigenen Schattenseiten auf die anderen. Anstatt uns der eigenen Wahrheit zu stellen, schauen wir voller Schadenfreude auf die Fehler anderer. Das spaltet die Gesellschaft. Wir machen den anderen zum Sündenbock, auf den wir allen Dreck werfen. Solange wir aber den Schmutz im eigenen Herzen nicht anschauen und verwandeln lassen, werden wir immer neue Sündenböcke brauchen, auf die wir das Verdrängte in uns projizieren. Gegen diese spaltende Tendenz hat Jesus das berühmte Wort vom Splitter im Auge des Bruders und vom Balken im eigenen Auge gesetzt (vgl. Mt 7,3f). Jesus weist uns dagegen darauf hin, dass wir den anderen immer als Spiegel für uns selbst sehen sollen. Alles Negative, das wir im anderen entdecken, wirft ein Licht auf das Dunkle in uns selbst. Jesus fasst das in dem Wort, das Bernd Deininger ausgelegt hat: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie« (Joh 8,7). Wenn wir aufhören, einander zu verurteilen, wird ein neues Miteinander möglich.

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