Anselm Grün, Bernd Deininger
Verstehen statt verurteilen
Biblische Hilfestellungen für ein anderes Miteinander
Vier-Türme-Verlag
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Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2021
ISBN 978-3-7365-0351-9
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2021
ISBN 978-3-7365-0381-6
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr
Lektorat: Marlene Fritsch
Covergestaltung: Finken und Bumiller, Stuttgart
www.vier-tuerme-verlag.de
Inhalt
Vorwort
Anselm Grün
»Keiner kann dich verletzen, außer du selbst« • Matthäus 7,24–27 und Lukas 6,47–49
Bernd Deininger
Aufruf und Mut zum Leben • Matthäus 12,22–23
Bernd Deininger
Schwer zu verstehen • Matthäus 13,1–23
Anselm Grün
Bekenntnisse • Matthäus 16,13–20
Bernd Deininger
Das rechte Maß • Matthäus 13,24–30
Bernd Deininger
Die Mächtigen – als Täter und Opfer • Matthäus 14,1–12 und Markus 6,17–29
Bernd Deininger
Das Eigene und das Fremde verstehen • Matthäus 21,28–32
Bernd Deininger
Wer Sicherheit sucht, wird sie verlieren • Matthäus 25,14–30
Anselm Grün
Zum Reden erlöst • Markus 7,31–37
Anselm Grün
Versuche und Versuchungen • Lukas 4,1–13 und Matthäus 4,1ff
Anselm Grün
Auf dem Weg bleiben • Lukas 9,57–62
Bernd Deininger
In der Menschlichkeit des Menschen, dort finden wir die Wohnung Gottes • Lukas 10,25–37
Anselm Grün
Licht werden • Lukas 11,33–36
Anselm Grün
Zeichen der Zeit • Lukas 12,49–53
Bernd Deininger
Wir sind Geladene • Lukas 14,17–24
Anselm Grün
Denken hilft! • Lukas 14,28–32
Bernd Deininger
Vernunft und Glaube als Voraussetzung für den Zugang zum eigenen Ich • Lukas 15,1–10
Bernd Deininger
Von der Schwierigkeit, gütig zu sein • Lukas 15,11–32
Bernd Deininger
... wie wir vergeben unseren Schuldigern • Lukas 16,1–13
Bernd Deininger
Selbstvertrauen macht beziehungsfähig • Lukas 17,5–10
Anselm Grün
Ungewöhnlich gewöhnlich • Lukas 17,7–10
Anselm Grün
Den Himmel sehen • Lukas 19,1–10
Anselm Grün
Mensch werden – Selbst werden • Johannes 2,1–22
Anselm Grün
Wiedergeboren • Johannes 3,1–16
Bernd Deininger
Der Sündlose werfe den ersten Stein • Johannes 7,53–8,11
Anselm Grün
Von Schafen, Hirten, Räubern und Dieben • Johannes 10,1–21
Bernd Deininger
Beziehung schafft Leben • Johannes 11,17–41
Anselm Grün
Von der Schönheit des Kreuzes • Johannes 12,20–33
Bernd Deininger
Das ewige Licht • Johannes 12,44–46
Anselm Grün
Im Wein verwandelt • Johannes 15,1–8
Literatur
Vorwort
Eine der zentralen Haltungen Jesu ist: den Menschen zu verstehen, statt ihn zu verurteilen. Jesus lässt sich auf die Menschen ein, auf ihre Verletzungen und Wunden, auf ihre Leidenschaften und Sehnsüchte. Und er zeigt ihnen Wege auf, wie sie sich selbst verstehen können. Während seines Wirkens trifft er viele, die sich selbst verurteilen. Jesus urteilt nicht. Er nimmt den anderen an, wie er ist. Aber er zeigt auch Wege der Heilung und Verwandlung auf. Seine Wege der Heilung beziehen sich zunächst auf den Einzelnen, sie zielen aber letztlich immer auf ein neues Miteinander.
So haben in diesem Buch Bernd Deininger als evangelischer Arzt und Psychoanalytiker und Anselm Grün als katholischer Mönch und Seelsorger Texte aus den vier Evangelien ausgelegt, jeweils von ihrem spirituellen Hintergrund und von ihrer therapeutischen oder seelsorglichen Arbeit her. Sie haben dabei einen Dialog geführt zwischen den Texten und ihren Erfahrungen aus der Begleitung und so die Geschichten der Bibel neu verstanden. Umgekehrt haben die Texte ihnen geholfen zu verstehen, was in der Begleitung von Menschen geschieht. Sie haben ein neues Licht auf das geworfen, was geschieht, wenn Menschen sich in der Begleitung und in den Therapien der eigenen Wahrheit stellen und bereit sind, sich selbst und andere zu verstehen.
Verstehen ist der erste Schritt in der Begleitung, aber auch bei der Menschwerdung. Der zweite Schritt aber ist Verwandlung. Es geht darum, das, was ist, in die einmalige Gestalt zu verwandeln, die Gott jedem von uns zugedacht hat. Jesus lässt den Menschen nicht einfach dort stehen, wo er ist. Er bietet ihm einen Weg der Verwandlung und Heilung an. Die Voraussetzung dafür ist, genau hinzuschauen, was im Menschen ist. Schon die Kirchenväter kannten den theologischen Grundsatz: »Nur, was Jesus angenommen hat, kann erlöst werden«. Weil Jesus ganz Mensch geworden ist, hat er den Menschen so, wie er ist, erlöst. Diesen Grundsatz haben dann die christliche Spiritualität und auch die humanistische Psychologie übernommen: Nur das, was wir anschauen und verstehen, lässt sich verwandeln.
Das Verstehen richtet sich zunächst auf uns selbst. Wir sollen uns nicht verurteilen, wenn wir in uns masochistische oder sadistische Gedanken vorfinden, wenn wir voller Ängste und Zwänge sind, wenn Aggressionen uns beherrschen. Wir sollen verstehen, woher sie kommen und was sie uns sagen wollen. Wer sich selbst versteht, der kann zu sich stehen. Wer zu sich selbst steht, ist auch bereit, weiter zu wachsen. Jesus zeigt ihm den Weg, wie er durch die Wirklichkeit hindurch, die er in sich erlebt, zu dem einmaligen Menschen werden kann, als den Gott ihn gewollt hat.
Verstehen, statt zu verurteilen bezieht sich aber nicht nur auf unsere Schattenseiten. Es geht auch darum, sich selbst in seiner Würde zu verstehen. Jesus hat uns immer wieder auf unsere unantastbare Würde verwiesen. Er hat uns aufgezeigt, dass wir Söhne und Töchter Gottes sind. Gerade in den Worten des Johannesevangeliums hören wir, dass wir nicht nur von der Erde, sondern auch von Gott sind. Diese Worte klingen manchmal sehr spirituell. Aber wir werden unserem Wesen nicht gerecht, wenn wir nicht zugleich verstehen, dass wir durch Jesus eine göttliche Würde erhalten haben.
Wer sich selbst versteht, statt sich zu verurteilen, wird auch andere versuchen zu verstehen, ohne sie zu bewerten. Wir sind häufig schnell damit, andere zu bewerten, uns über sie zu entrüsten, sie zu verurteilen. Doch damit stellen wir uns über sie. Und wir projizieren oft genug unsere eigenen Schattenseiten auf die anderen. Anstatt uns der eigenen Wahrheit zu stellen, schauen wir voller Schadenfreude auf die Fehler anderer. Das spaltet die Gesellschaft. Wir machen den anderen zum Sündenbock, auf den wir allen Dreck werfen. Solange wir aber den Schmutz im eigenen Herzen nicht anschauen und verwandeln lassen, werden wir immer neue Sündenböcke brauchen, auf die wir das Verdrängte in uns projizieren. Gegen diese spaltende Tendenz hat Jesus das berühmte Wort vom Splitter im Auge des Bruders und vom Balken im eigenen Auge gesetzt (vgl. Mt 7,3f). Jesus weist uns dagegen darauf hin, dass wir den anderen immer als Spiegel für uns selbst sehen sollen. Alles Negative, das wir im anderen entdecken, wirft ein Licht auf das Dunkle in uns selbst. Jesus fasst das in dem Wort, das Bernd Deininger ausgelegt hat: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie« (Joh 8,7). Wenn wir aufhören, einander zu verurteilen, wird ein neues Miteinander möglich.
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