Besonders glücklich war ich, wenn ich im Bette lag, die Decke über mich gezogen hatte und ganz allein, in vollster Einsamkeit, ohne Menschen um mich zu sehen und ohne einen menschlichen Laut zu hören, das Leben nach meinen Träumen umzuschaffen begann. Glühendste Träumerei geleitete mich, bis zur Entdeckung meiner »Idee«, wo alle Träume, die dumm gewesen waren, auf einmal verständig wurden und aus der träumerischen Form des Romans in die kritisch denkende Form der Wirklichkeit übergingen.
Alles ergoß sich dem einen Ziel entgegen. Meine Gedanken waren übrigens auch früher nicht gar so dumm gewesen, trotz ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit und Zahl. Aber ich hatte immer Lieblingsgedanken unter ihnen gehabt . . . Übrigens ist hier nicht der Ort sie aufzuzählen.
Macht! Ich bin fest davon überzeugt, daß es sehr vielen Menschen sehr lächerlich erscheinen würde, wenn sie erführen, daß so ein »Dreck« wie ich nach Macht ringt. Aber ich kann ihnen etwas sagen, was sie noch mehr wundern wird: vielleicht schon in meinen allerersten Träumen, das heißt, fast von meiner frühesten Kindheit an, habe ich mir mich selbst nicht anders vorstellen können, als auf dem ersten Platze, überall und in allen Lebenslagen. Hier will ich ein seltsames Bekenntnis anschließen: vielleicht ist das auch noch heute der Fall. Ich bemerke dazu, daß ich nicht um Verzeihung zu bitten gedenke.
Und darin liegt auch meine »Idee«, darin liegt ihre Stärke, daß das Geld der einzige Weg ist, der sogar eine Null auf den ersten Platz führen kann. Ich bin ja vielleicht keine Null, aber ich weiß zum Beispiel aus dem Spiegel, daß mein Äußeres mir hinderlich ist, weil ich ein ordinäres Gesicht habe. Aber bin ich erst mal so reich wie Rothschild, – wer wird dann mit meinem Gesichte rechten, und werden dann nicht Tausende von Frauen, wenn ich nur pfeife, mir mit aller ihrer Schönheit an den Hals fliegen? Ich bin sogar überzeugt, daß sie mich selbst, und ganz aufrichtig, schließlich für einen schönen Mann halten würden. Ich bin vielleicht auch klug. Aber mag ich auch eine Stirn von sieben Spannen haben, sicherlich findet sich ein anderer, der eine Stirn von acht Spannen hat – und dann bin ich geliefert. Aber wenn ich ein Rothschild bin, – kann dieser kluge Kopf von acht Spannen irgend etwas neben mir bedeuten? Gar nicht zu Worte kommen lassen wird man ihn neben mir! Ich bin vielleicht geistreich; aber nehmen wir an, es stellt sich ein Talleyrand, ein Piron neben mich – und ich bin verdunkelt; aber sobald ich ein Rothschild bin – wo bleibt da ein Piron, und vielleicht auch ein Talleyrand? Das Geld ist natürlich eine despotische Macht, aber zu gleicher Zeit ist es der größte Gleichmacher, und darin liegt seine hauptsächlichste Kraft. Das Geld macht alle Ungleichheiten gleich. Zu diesen Schlüssen bin ich noch in Moskau gekommen.
Man wird in diesem Gedanken natürlich nichts als Unverschämtheit, Sucht nach Gewalt, Sucht der Nichtigkeit sehen, über die Talente zu triumphieren. Zugegeben, dieser Gedanke sei frech (und eben darum süß). Meinethalben! Man denkt, ich hätte mir damals Macht gewünscht, um andere zu erdrücken, um mich zu rächen? Das ist es eben, daß so unbedingt die ordinäre Gewöhnlichkeit handeln würde. Nein, mehr noch! Ich bin überzeugt, daß tausende von Talenten und klugen Köpfen, die sich so erhaben dünken, es nicht ertragen würden, wenn ihnen auf einmal die Rothschildschen Millionen in den Schoß fielen, und handeln würden wie die niedrigste ordinärste Gewöhnlichkeit und die anderen mehr als irgend jemand erdrücken. Meine Idee ist eine ganz andere. Ich habe keine Angst vor dem Geld; es wird mich nicht erdrücken, und mich auch nicht zwingen, andere zu erdrücken.
Ich habe das Geld nicht nötig, oder, besser gesagt, ich habe nicht das Geld nötig, auch nicht einmal die Macht; ich habe nur nötig, was man durch die Macht erlangt und was man ohne Macht auf keine Art erlangen kann: und das ist das einsame und ruhige Kraftbewußtsein! Das ist die erschöpfendste Umschreibung der Freiheit, um die die ganze Welt sich plagt! Freiheit! Endlich steht es hier auf dem Papier, das große Wort . . . Ja, das einsame Kraftbewußtsein – das ist verlockend und herrlich. Habe ich Kraft, so bin ich ruhig. Jupiter hat den Donnerkeil in seiner Hand, und er ist ruhig! Hört man ihn etwa oft donnern? Ein Narr könnte meinen, er schliefe. Aber man setze einmal irgendeinen Literaten an Jupiters Stelle, oder ein dummes Bauernweib – es wird donnern und donnern ohne Ende.
Wenn ich erst die Macht hätte – so überlegte ich – würde ich ihrer gar nicht mehr bedürfen; ich kann versichern, daß ich selbst, aus eigenem freien Willen, überall den letzten Platz einnehmen würde. Wenn ich ein Rothschild wäre, ich ginge in einem schäbigen Paletot und mit einem Regenschirme herum. Was machte es mir, wenn ich auf der Straße angerannt würde, wenn ich eilig durch den Straßenschmutz springen müßte, um nicht von Droschken überfahren zu werden? Das Bewußtsein, daß ich das wäre, ich, der Rothschild, würde mir in solchen Momenten sogar großes Vergnügen machen. Ich weiß, daß ich das beste Essen haben kann und den ersten Koch in der ganzen Welt, und ich habe genug daran, daß ich es weiß. Ich würde ein Stück Brot mit Schinken essen und mich an meinem Bewußtsein sättigen. Ich bin sogar heute noch derselben Ansicht.
Ich werde mich nicht an die Aristokratie herandrängen, sondern sie wird sich zu mir drängen, ich werde den Weibern nicht nachlaufen, sondern sie werden zu mir strömen, wie Wasser, und mir alles anbieten, was eine Frau anzubieten hat. Die »schlechten« werden des Geldes wegen kommen und die klugen wird die Neugier herführen, einen so sonderbaren, stolzen, verschlossenen Menschen zu ergründen, der alles mit solcher Gleichgültigkeit betrachtet. Ich werde zu den einen freundlich sein und zu den andern auch, und vielleicht werde ich ihnen Geld geben, ich selbst aber werde nichts von ihnen annehmen. Neugier gebiert Leidenschaft, vielleicht werde ich auch Leidenschaft entzünden. Aber ich kann versichern, sie werden nichts von mir mitnehmen, höchstens Geschenke. Und ich werde dadurch nur doppelt interessant für sie werden
. . . Denn am Bewußtsein
Find' ich Genügen.
Sonderbar ist es, daß ich mir dies Bild (das übrigens richtig ist), schon mit siebzehn Jahren wollüstig verlockend ausgemalt habe.
Bedrücken und quälen will ich niemand und werde ich niemand; aber ich würde wissen, daß keiner mich hindern könnte, wenn ich den und den Menschen, irgendeinen Feind von mir, ruinieren wollte, im Gegenteil, alle würden mir Beihilfe leisten, und an dem Bewußtsein hätte ich wieder genug. Ich würde mich sogar an niemand rächen. Ich habe mich immer darüber gewundert, daß James Rothschild darauf eingegangen ist, Baron zu werden! Warum, wozu, wenn er auch soviel größer war, als sonst irgend jemand auf Erden? Mag mich doch irgend so ein großschnauziger General auf einer Poststation beleidigen, wo wir beide auf frische Pferde warten; wenn er wüßte, wer ich bin, liefe er hinaus und spannte mir meine Pferde eigenhändig ein und spränge herzu, um mir in meinen bescheidenen Lastwagen zu helfen! Ich habe einmal gelesen, ein ausländischer Baron oder Graf hätte in einer Wiener Eisenbahn einem dortigen Bankier vor allen Leuten seine Pantoffeln angezogen; und der Mann war so ordinär, sich das gefallen zu lassen. – Oh, mag doch, mag diese schreckliche Schönheit (jawohl: schrecklich, es gibt solche Schönheiten!) – diese Tochter einer üppigen und vornehmen Aristokratin, wenn sie zufällig mit mir auf einem Dampfschiff zusammentrifft, mag sie mich nur scheel ansehen und die Nase rümpfen und sich von oben herab verwundern, wie dieser bescheidene, häßliche Mensch mit dem Buch oder der Zeitung in der Hand es wagen konnte, hierher auf den ersten Platz zu geraten, direkt neben sie. Wenn sie nur wüßte, wer neben ihr sitzt! Und sie wird es erfahren – sie wird es erfahren und sich selbst neben mich setzen, demütig, schüchtern, freundlich, sie wird meinen Blick suchen, sie wird froh sein über ein Lächeln von mir . . . Ich setze diese jugendlichen Phantasiebildchen absichtlich hierher, um meinen Gedanken klarer auszudrücken; aber diese Bilder sind blaß und vielleicht auch trivial. Nur die Wirklichkeit kann alles rechtfertigen.
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