Was die Kleidung betraf, so hatte ich beschlossen, immer zwei Anzüge zu haben: einen für alle Tage und einen guten. Wenn ich sie mir einmal angeschafft hätte, so würde ich sie lange tragen, davon war ich überzeugt; ich habe mich zweieinhalb Jahre extra im Hinblick hierauf geübt, meine Kleider lange zu tragen, und ich habe sogar das Geheimnis entdeckt: damit Kleider immer neu bleiben und sich nicht abtragen, muß man sie so oft wie möglich bürsten, fünf-, sechsmal am Tage. Vor der Bürste fürchtet das Tuch sich nicht, ich spreche aus Erfahrung, sondern es fürchtet sich vor Staub und Schmutz. Staub besteht eben ganz einfach aus Steinen, wenn man ihn unter dem Mikroskop ansieht, und eine Bürste mag noch so hart sein, sie besteht doch im Grunde beinah aus einer Art Wolle. In gleicher Weise hatte ich mich geübt, meine Stiefel sehr zu schonen: das Geheimnis besteht darin, daß man den Fuß behutsam mit der ganzen Sohle auf einmal auf den Boden setzt und sein Körpergewicht dabei so schnell wie möglich auf die betreffende Seite legt. Lernen kann man das in vierzehn Tagen, nachher tut man es schon ganz unwillkürlich. Auf diese Weise halten die Stiefel, durchschnittlich gerechnet, um ein Drittel der Zeit länger. Das ist eine Erfahrung zweier Jahre.
Und dann mußte also meine eigene Tätigkeit beginnen.
Ich ging von der Vorstellung aus: ich habe hundert Rubel. In Petersburg gibt es so viel Auktionen, Ausverkäufe, Trödelläden und bedürftige Menschen, daß es ganz unmöglich ist, eine Sache, die man für soundso viel gekauft hat, nicht etwas teuerer verkaufen zu können. Für das Album habe ich einen Gewinn von sieben Rubel fünfundneunzig Kopeken auf ein Anlagekapital von zwei Rubel und fünf Kopeken erzielt. Diesen ungeheuren Gewinn habe ich ohne das geringste Risiko erzielt: ich sah es dem Käufer an den Augen an, daß er nicht zurücktreten würde. Selbstverständlich verstehe ich nur zu gut, daß das nur ein Zufall war; aber solche Zufälle suche ich ja eben, deswegen habe ich ja beschlossen, auf der Straße zu leben. Nun, und mögen solche Zufälle auch sehr selten sein; ganz gleich, meine erste Regel wird sein: niemals etwas zu riskieren, und meine zweite: unbedingt jeden Tag wenigstens ein bißchen mehr als das Minimum zu verdienen, das ich für meinen Unterhalt ausgeben muß, so daß mein Kapital ununterbrochen wächst.
Man wird mir sagen: »das sind alles nur Träume, du kennst die Straße nicht und wirst beim ersten Schritt schon übervorteilt werden.« Aber ich besitze Willen und Charakter, und die Wissenschaft der Straße ist eine Wissenschaft wie jede andere, sie muß sich einem ergeben, wenn man sie mit Ausdauer und Aufmerksamkeit betreibt und Fähigkeiten mitbringt. Im Gymnasium war ich bis zur obersten Klasse immer unter den ersten, ich war ein ausgezeichneter Mathematiker. Wie kann man denn die Erfahrung und die Wissenschaft der Straße so götzendienerisch überschätzen, daß man mir den sicheren Mißerfolg prophezeit? So was sagen immer nur die Leute, die noch nie einen Versuch in irgendeiner Richtung gemacht haben, die keine Art von Leben angefangen , sondern immer nur im Fertigen vegetiert haben. » Einer hat sich die Nase gebrochen, also muß sie sich jeder andere unbedingt auch brechen!« Nein, ich breche mir meine nicht. Ich habe Charakter, und wenn ich gut aufpasse, lerne ich schon noch alles. Kann man sich denn überhaupt vorstellen, daß einer mit der ausdauerndsten Hartnäckigkeit, mit dem ausdauerndsten Scharfblick, mit der ausdauerndsten Überlegung und Berechnung, mit der größten ununterbrochenen Tätigkeit und Lauferei – daß es einer durch das alles nicht herausbringen sollte, wie man es machen muß, um täglich zwanzig Kopeken zu verdienen? Die Hauptsache ist, ich bin entschlossen, meinen Gewinn nie gewaltsam auf ein Maximum treiben zu wollen, nein, ich will immer ruhig bleiben. Nachher, später, wenn ich erst das erste Tausend habe und das zweite, dann werde ich natürlich ganz von selbst aufhören, den Vermittler und den Käufer und Wiederverkäufer auf der Straße zu spielen. Natürlich weiß ich noch zu wenig von Börse, Aktien, Bankiergeschäften und alledem. Aber dafür weiß ich so gut, wie ich fünf Finger an der Hand habe, daß ich alle diese Börsen- und Bankiergeschäfte zu ihrer Zeit so gut verstehen werde, wie kein anderer, und daß diese Wissenschaft mir sehr leicht fallen wird, einfach weil mich meine Sache dahin führen wird. Ist denn dazu wirklich so viel Verstand nötig? Was kann einem da alle salomonische Weisheit nützen: Charakter muß einer haben; Kenntnisse, Gewandtheit, Wissen kommen ganz von selbst. Man darf nur nicht aufhören zu »wollen«.
Die Hauptsache ist: nichts riskieren. Und das versteht nur einer, der Charakter hat. Erst kürzlich kam mir hier, in Petersburg, eine Subskriptionsliste auf Eisenbahnaktien in die Hand; die Leute, die damals subskribieren konnten, haben viel daran verdient. Eine Zeitlang stiegen die Aktien rapid! Und jetzt setzen wir einmal den Fall, irgend jemand, dem es nicht gelungen ist, zu subskribieren, und der sehr gern welche haben möchte, sieht solche Aktien in meinen Händen und schlägt mir vor, er will sie mir abkaufen und mir dafür eine Prämie von soundso viel Prozenten zahlen. Ich würde sie ihm unbedingt sofort verkaufen. Selbstverständlich würde man über mich lachen: »wenn du noch gewartet hättest, so hättest du vielleicht den zehnfachen Betrag verdient.« – Sehr richtig, aber meine Prämie ist schon deshalb sicherer, weil ich sie in der Tasche habe, während die Ihre noch in der Luft herumfliegt. – Man wird mir sagen, auf diese Weise verdiente man nicht viel; – pardon, das ist ja gerade der Fehler, der Fehler aller unserer großen Spekulanten. Die Wahrheit lautet: Ausdauer und Hartnäckigkeit im Verdienen und vor allem im Behalten bedeutet unendlich viel mehr als momentane Coups, mögen sie auch hundert und aberhundert Prozente einbringen.
Kurz vor der französischen Revolution trat in Paris ein gewisser Law auf und heckte ein im Prinzip geniales Projekt aus (das nachher bei der Ausführung jämmerlich verkrachte). Ganz Paris war in Aufregung; Laws Aktien gingen wie warme Semmeln ab, man riß sich um sie. In dem Hause, wo die Subskriptionsliste aufgelegt war, strömte das Geld von ganz Paris zusammen, wie aus einem Sack; aber endlich reichte auch das Haus nicht mehr: das Publikum drängte sich auf der Straße – alle Berufe, Stände, Lebensalter: Bourgeois, Edelleute und ihre Kinder, Gräfinnen, Marquisen, öffentliche Frauenzimmer – alles keilte sich zu einem erregten, halbverrückten Klumpen zusammen, es war, als wären sie alle von tollen Hunden gebissen; Rang, Vorurteile, Rassenunterschiede, Stolz, sogar die Ehre und der gute Name – alles wurde in einen Dreck gestampft; alles wurde geopfert (sogar von Frauen), um nur ein paar Aktien zu bekommen. Die Subskription wurde schließlich auf der Straße fortgesetzt, aber man hatte keine Unterlage zum schreiben. Da schlug man einem Buckligen vor, seinen Buckel für eine Zeitlang als Tisch herzuleihen. Der Bucklige willigte ein – man kann sich vorstellen, wie viel er sich dafür zahlen ließ. Kurze Zeit darauf (sehr kurze Zeit sogar) machten alle Bankerott, alles verkrachte, die ganze Idee ging zum Teufel und die Aktien hatten nicht mehr den geringsten Wert. Wer hatte dabei gewonnen? Nur der Bucklige, eben weil er keine Aktien genommen hatte, sondern bare Louisdors. Nun, ich bin eben jener Bucklige! Ich habe genug Kraft gehabt, zu fasten und mir Kopeke für Kopeke zweiundsiebzig Rubel zu ersparen; es wird auch dazu reichen, daß ich im Wirbelwind des Erwerbsfiebers, der alle ergriffen hat, auf meinen Füßen stehen bleibe und den sicheren Verdienst dem großen vorziehe. Ich bin nur in Kleinigkeiten kleinlich, in großen Sachen – nie. Zur Geduld in kleinen Dingen hat es mir oft an Charakter gemangelt; selbst nachdem meine »Idee« schon geboren war, aber für große Dinge werde ich immer genug Charakter haben. Wenn meine Mutter mir damals morgens, bevor ich zum alten Fürsten ging, kaltgewordenen Kaffee vorsetzte, wurde ich wütend und sagte ihr Grobheiten, und dabei war ich derselbe Mensch, der einen ganzen Monat nur von Brot und Wasser gelebt hatte.
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