Übrigens, bevor ich in meinen »Memoiren« diese »neue Person« auf die Bühne bringe (das heißt, ich spreche von Wersilow), will ich in Kürze seine »Dienstliste« hersetzen, die übrigens nichts zu bedeuten hat. Ich tue das, damit dem Leser alles verständlicher wird, und weil ich nicht absehe, wo ich diese »Liste« im weiteren Fluß meiner Erzählung würde anbringen können.
Er hatte studiert, war dann aber in ein Garde-Kavallerieregiment eingetreten. Er hatte die Fanariotowa geheiratet und seinen Abschied genommen. Er war ins Ausland gegangen und wieder zurückgekommen und lebte in Moskau allerlei geselligen Vergnügungen. Nach dem Tode seiner Frau ging er aufs Land; in die Zeit fällt die Episode mit meiner Mutter. Nachher lebte er lange irgendwo in Südrußland. Während des Krimkrieges trat er wieder in das Heer ein, kam aber überhaupt nicht in die Krim und nahm am ganzen Krieg keinen tätigen Anteil. Als der Krieg zu Ende war, nahm er wieder seinen Abschied, ging ins Ausland und nahm meine Mutter mit, die er übrigens in Königsberg sitzenließ. Die Ärmste hat mir manchmal mit einem gewissen Grausen und kopfschüttelnd davon erzählt, wie sie dort ein volles halbes Jahr gelebt hat, mutterseelenallein mit ihrer kleinen Tochter, ohne die Sprache zu kennen, wie im Urwalde, und zu guter Letzt auch ohne Geld. Dann war Tatjana Pawlowna gekommen und hatte sie nach Rußland zurückgeholt, irgendwohin ins Gouvernement Nishnij-Nowgorod. Späterhin wurde Wersilow dann Oberfriedensrichter und soll sein Amt ausgezeichnet ausgefüllt haben; aber bald gab er es wieder auf und begann sich in Petersburg mit dem Eintreiben von allerlei privaten Forderungen zu beschäftigen. Andronikow hat seine Fähigkeiten immer hoch eingeschätzt und großen Respekt vor ihm gehabt und nur gesagt, er verstünde seinen Charakter nicht. Nachher gab Wersilow auch das auf und reiste wieder ins Ausland, und diesmal für längere Zeit, gleich auf ein paar Jahre. Und dann begannen seine ganz besonders intimen Beziehungen zum alten Fürsten Sokolskij. Während dieser ganzen Zeit änderten sich seine Geldverhältnisse zwei-, dreimal: bald kam er beinah an den Bettelstab, bald wurde er auf einmal wieder reich und war wieder oben.
Übrigens habe ich mich entschlossen, jetzt, wo ich in, meinen Aufzeichnungen eben bis zu diesem Punkte gekommen bin, »meine Idee« auseinanderzusetzen. Ich will sie in Worte fassen, zum erstenmal seit ihrer Entstehung. Ich entschließe mich sozusagen, sie dem Leser mitzuteilen, und wieder nur deshalb, damit meine weiteren Darlegungen klar werden. Und nicht nur der Leser, nein, auch ich selbst, der Verfasser, beginne mich in der Schwierigkeit zu verheddern, die es macht, meine Schritte zu erklären, ohne vorher erklärt zu haben, was mich zu ihnen gebracht hat. Mit diesem »Trick des Verschweigens« bin ich, infolge meiner Unerfahrenheit, schon wieder einer jener literarischen »Schönheiten« der Romanciers verfallen, über die ich weiter oben selbst gespottet habe. Jetzt, wo ich die Tür zu meinem Petersburger Roman mit allen seinen schimpflichen Abenteuern öffnen will, erscheint mir diese Vorrede unumgänglich nötig. Aber nicht die »literarischen Schönheiten« allein haben mich verführt, hierüber bisher zu schweigen, sondern auch das Wesen der Sache, das heißt, die Schwierigkeit der Sache; sogar heute noch, wo schon alles Vergangene vergangen ist, fühle ich, wie unendlich schwer es ist, diesen »Gedanken« zu erklären. Außerdem kann es wohl nicht zweifelhaft sein, daß ich ihn unbedingt in seiner damaligen Gestalt erklären muß, das heißt, wie er sich damals geformt hatte und von mir gedacht wurde, und nicht, wie er heute besteht, und das ist eine neue Schwierigkeit. Manche Dinge zu erklären, ist fast unmöglich. Gerade die allereinfachsten, allerklarsten Ideen, gerade die versteht man am schwersten. Wenn Kolumbus vor der Entdeckung von Amerika seine Idee anderen Leuten mitgeteilt hätte, ich bin überzeugt, sie hätten ihn furchtbar lange gar nicht verstanden. Und sie haben ihn ja auch nicht verstanden. Wenn ich das sage, denke ich nicht entfernt daran, mich mit Kolumbus zu vergleichen, und wenn jemand das aus meinen Worten schließen sollte, so kann ich ihm nur sagen, er solle sich lieber schämen und weiter gar nichts.
Meine Idee ist – ein Rothschild zu werden! Ich fordere den Leser auf, ruhig und ernst zu bleiben.
Ich wiederhole es, meine Idee ist, ein Rothschild zu werden, ebenso reich zu werden wie Rothschild; nicht einfach reich, sondern gerade wie Rothschild. Weswegen, wozu, was ich damit eigentlich für Ziele verfolge – davon wird später die Rede sein. Zunächst will ich beweisen, daß die Erreichung meines Zieles mit mathematischer Sicherheit garantiert ist.
Es ist eine sehr einfache Sache, ihr ganzes Geheimnis liegt in diesen zwei Worten: Hartnäckigkeit und Ausdauer .
»Da erfahren wir nichts Neues,« wird man mir sagen, »jeder Familienvater in Deutschland predigt das seinen Kindern, aber dabei ist Ihr Rothschild (das heißt, der verstorbene James Rothschild, der Pariser, von dem ich spreche) der einzige in seiner Art geblieben, und die Familienväter zählen nach Millionen.«
Auf so einen Einwurf würde ich antworten:
»Sie behaupten, das wäre nichts Neues, das wüßten Sie schon lange, aber dabei wissen Sie gar nichts. Es ist ja richtig, in einem Punkt haben Sie recht; wenn ich gesagt habe, diese Sache wäre ›sehr einfach‹, so habe ich vergessen, hinzuzufügen, daß sie zu gleicher Zeit furchtbar schwer ist. Alle Religionen und Sittenlehren in der Welt laufen auf den einen Satz hinaus: ›Du sollst die Tugend lieben und das Laster meiden.‹ Was könnte anscheinend einfacher sein? Aber tun Sie doch eine tugendhafte Tat oder meiden Sie doch auch nur ein einziges von Ihren Lastern, versuchen Sie es mal – nun, und –? Und genau so ist es hiermit.«
Das ist der Grund, warum die unzähligen Familienväter im Laufe unzähliger Jahrhunderte diese beiden wunderbaren Wörter immer wiederholen konnten, in denen das ganze Geheimnis beschlossen liegt, und daß Rothschild dennoch der einzige in seiner Art blieb; Also: das ist durchaus nicht dasselbe, und die Familienväter predigen durchaus nicht meinen Gedanken.
Von Hartnäckigkeit und Ausdauer haben auch sie zweifellos gehört; aber zur Erreichung meines Zieles können Hartnäckigkeit und Ausdauer im Sinne der Familienväter nicht dienen.
Schon der eine Ausdruck »Familienväter« – ich spreche nicht von den deutschen allein – der Umstand, daß so ein Mensch Familie hat, daß er lebt, wie alle leben, daß er Ausgaben hat wie alle, Pflichten wie alle andern – schon das bedeutet für ihn, daß er kein Rothschild werden kann, sondern immer ein begrenzter, mittelmäßiger Mensch bleiben muß. Ich verstehe es nur zu gut, daß einer, der ein Rothschild wird oder auch nur einer werden will, aber nicht im Sinne der Familienväter, sondern ernsthaft – daß so einer schon mit diesem Entschluß ganz von selbst aus der Gesellschaft austritt.
Vor ein paar Jahren stand in den Zeitungen, auf einem Wolgadampfer wäre ein Bettler gestorben, der in Lumpen einhergegangen war und um Almosen gebeten hatte; jedermann dort kannte ihn. Nach seinem Tode fand man gegen dreitausend Rubel in Banknoten in seinen Bettelrock eingenäht. Und kürzlich habe ich wieder von einem Bettler gelesen, der von adliger Abkunft war, in den Wirtshäusern herumlief und um Almosen bat. Er wurde verhaftet, und es fanden sich bei ihm gegen fünftausend Rubel. Daraus ergeben sich ganz von selbst zwei Schlüsse: erstens, daß die Hartnäckigkeit im Sparen, wenn man auch nur Kopeke auf Kopeke legt, ganz kolossale Resultate erzielt (die Zeit hat hierbei gar nichts zu bedeuten), und zweitens, daß die primitivste, ungeklügeltste Form des Geldsammelns, wenn man sie nur mit Ausdauer und ohne jede Unterbrechung betreibt, mit mathematischer Sicherheit zum Erfolg führen muß.
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