Es wäre natürlich zu kurz gegriffen, in diese Richtung weiter zu diskutieren. Vielmehr bedarf es einer genaueren Betrachtung, warum der Gesetzgeber sein eigenes Abzugsverbot des § 12 EStG aufweicht und zulässt, dass Aufwendungen die steuerliche Bemessungsgrundlage mindern.
Oft sind es nicht reine steuerliche Gründe, die zu entsprechenden Regelungen führen. Vielmehr ergeben sich viele Grundlagen aus dem Grundgesetz selbst, z. B. das Gleichbehandlungsgebot oder der staatliche Auftrag zur Förderung der Ehe und Familie bzw. dass Sozialstaatsprinzip. Auch aus anderen politischen Bereichen wird Einfluss genommen, z. B. die Sicherstellung eines Existenzminimums, das in der Sozialgesetzgebung verankert ist.
Darüber hinaus nehmen auch reine gesellschaftspolitische Entscheidungen Einfluss auf Abzugsmöglichkeiten, z. B. der Versuch der Bekämpfung der Schwarzarbeit, die steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften oder auch Reformen zur Besteuerung von Alterseinkünften.
Es wird zunächst eine kurze verfassungsmäßige Betrachtung vorgenommen, bevor abschnittsweise Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen näher besprochen werden. Zum Ende wird das Thema mit einem Ex-Kurs zu den haushaltsnahen Dienstleistungen des § 35a EStG abgerundet, da auch diese Kosten private Kosten sind, die durch eine Entscheidung des Gesetzgebers zum Abzug zugelassen werden.
2. Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommensteuerrecht
2.1. Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Blickfeld der Verfassung
Ziel des Steuerrechtes und des Gesetzgebers ist es, dem Staat finanzielle Mittel auf möglichst faire Art und Weise zu sichern. Diesem Streben nach steuerlicher Gerechtigkeit wird mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprochen[1]. Trotz unterschiedlicher Sichtweise durch Ökonomen und Rechtswissenschaftlern ist es als das dem Steuerecht zugrunde liegende Prinzip anerkannt und gilt als besonderer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht, insbesondere im Rahmen der Einkommensteuer[2].
Durch das Leistungsfähigkeitsprinzip soll eine gerechte Besteuerung erfolgen und jeder nach seiner Zahlungsfähigkeit belastet werden. Dabei stellt die finanzielle Leistungsfähigkeit einen Maßstab für eine materiell gerechte Besteuerung dar[3].
Die Grundaussage des Prinzips ist, dass derjenige, der leistungsfähiger ist, auch mehr geben muss als derjenige, der weniger leistungsfähiger ist.
Übertragen auf das Steuerrecht bedeutet dies, dass gleich Leistungsfähige gleich zu besteuern sind (horizontale Steuergerechtigkeit) und ungleich Leistungsfähige, gemessen an ihrer ungleichen Leistungsfähigkeit, ungleich zu belasten sind (vertikale Steuergerechtigkeit)[4].
[1] Tipke, Steuergerechtigkeit, 57.; Lang, Joachim (Hrsg.): Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion. Festschrift für Klaus Tipke zum 70. Geburtstag, S. 16/17, Verlag Dr. Otto Schmidt Köln 1995. [2] Birk, Dieter: Steuerrecht, 7., neu bearbeitete Auflage, Rz 153 m. w. N, C. F. Müller Verlag Heidelberg 2004.; derselbe: Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen. Ein Beitrag zu den Grundfragen des Verhältnisses Steuerrecht und Verfassungsrecht, S. 20, Dr. Peter Deubner Verlag GmbH Köln 1983. [3] Wernsmann, Rainer: Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 2005. (Beiträge zum Öffentlichen Recht, Jus Publicum Band 135), S. 266, 287. [4] Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 286.; Birk, Steuerrecht, Rz. 33 f, S. 155.
2.1.1. Vertikale Steuergerechtigkeit
Die vertikale Steuergerechtigkeit beinhaltet im Kern, dass eine Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zur Besteuerung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot entsprechen muss[5]. Im Grunde wird zum Ausdruck gebracht, was eine einzelne Person, gemessen an der Gerechtigkeit, zur Sicherung der gemeinsamen Lasten beitragen kann. Geht man davon aus, dass die individuelle Leistungsfähigkeit der Maßstab ist, so ist die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Grund für eine unterschiedliche Besteuerung von natürlichen Personen[6].
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit selbst ist die Eigenschaft, Geld zahlen zu können und nicht die Möglichkeit, Geld zu verdienen.
Sie stellt nur die in Geldwert vorhandene Leistungsfähigkeit dar[7]. Sie beginnt, wenn der einzelne Steuerpflichtige in die Lage versetzt wird, mit seinen vorhandenen Werten zu wirtschaften. Ausreichend ist die bloße Möglichkeit dazu und nicht, ob der Steuerpflichtige auch real mit seinem Vermögen wirtschaftet. Niemand ist verpflichtet, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und sein Einkommen zu maximieren[8].
[5] Birk, Steuerrecht, Rz 155 m. w. N. [6] Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 165, 166.; Starck, in Mangoldt/Klein, zu Art. 3 Rz 84. [7] Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 167. [8] Wernsmann, Verhaltenslenkung, S. 289.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 168.
2.1.2. Horizontale Steuergerechtigkeit
Im Gegensatz zur vertikalen Steuergerechtigkeit bezieht sich die Horizontale darauf, gleich Leistungsfähige einer gleichen Steuerbelastung zu unterwerfen.
Dabei ist der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Kriterien, nach denen die Steuergerechtigkeit erreicht werden soll, relativ frei und darf diese nicht durchbrechen, da die Folge eine Ungleichbehandlung auf horizontaler Ebene wäre[9].
Im Gegensatz zur vertikalen Steuergerechtigkeit sind die Möglichkeiten, in dem sich der Gesetzgeber bewegen darf, stark eingeschränkt. Die Problematik, die sich nun ergibt, ist, dass vertikale und horizontale Steuergerechtigkeit miteinander harmonieren und ineinander greifen müssen. Birk hat diesen Zusammenhang an einem Beispiel über die Abschaffung von Kinderfreibeträgen zutreffend dargestellt. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass eine Abweichung vom Leistungsfähigkeitsprinzip auf horizontaler Ebene nur dann möglich ist, wenn verfassungsrechtliche Normen eingreifen, die die Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erlauben.
[9] Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 170 f.
2.2. Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Blickfeld des Steuerrechts
Dem Streben nach steuerlicher Gerechtigkeit, wird mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprochen. Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist eine spezielle Ausformung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG und deshalb ein normatives Gebot mit verfassungsrechtlichem Charakter[10].
Das Leistungsfähigkeitsprinzip verbietet u. a. den Zugriff auf das Einkommen i. R. d. Einkommensteuer, wenn keine finanzielle Leistungsfähigkeit besteht. Es stellt somit das steuerliche Existenzminimum sicher und bewahrt es vor einer Einkommensbesteuerung[11]. Das steuerliche Existenzminimum kommt durch den Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 EStG zum Ausdruck. Der Grundfreibetrag beträgt 2014 8.354 € und wird 2015 auf 8.472 € angehoben. Bis zu einem zu versteuernden Einkommen in dieser Höhe wird keine Einkommensteuer erhoben.
Neben der vertikalen Steuergerechtigkeit und der horizontalen Steuergerechtigkeit wird das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommensteuerrecht durch das objektive und das subjektive Nettoprinzip definiert[12].
Durchbrechungen sind möglich, wenn es gesetzliche Rechtfertigungsgründe dafür gibt.
[10] Arndt, Hans – Wolfgang: Steuerliche Leistungsfähigkeit und Verfassungsrecht, in: Damrau, Jürgen/Kraft, A./Fürst, W. (Hrsg.): Festschrift für Otto Mühl zum 70. Geburtstag 10. Oktober 1981, S. 19, Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln Mainz 1981. [11] Birk/Wernsmann, in: JZ 2001, S. 219. [12] Seiler, Christian: Das Steuerrecht als Ausgangspunkt aktueller Fortentwicklungen der Gleichheitsdogmatik, in: JZ 2004, S. 482.; Kirchhof, Besteuerung, S. 81.
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