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[1]
Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht aktuell offiziell von ca. 12.000 Salafisten allein in Deutschland und von ca. 1.060 deutschen Jihad-Reisenden aus. https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/zahlen-und-fakten-islamismus/zuf-is-reisebewegungen-in-richtung-syrien-irak; 2.1.2021.
[2]
Al Suri 2005; Maliach 2010; Azzam 1989.
1.2.2 Definition und Kurzzusammenfassung
Salafismus
ist eine besonders fundamentalistische islamistische Ausprägung, die einen stilisierten und idealisierten Ur-Islam des siebten und achten Jahrhunderts als Vorbild für eine Umgestaltung von Staat und Gesellschaft auf der Grundlage salafistischer Interpretationen islamischer Werte und Normen anstrebt.[1]
Salafismus
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ist eine besonders fundamentalistische Form des islamistischen Extremismus; |
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ist ein besonders heterogener Phänomenbereich, der ineinander übergehende salafistische Strömungen beinhaltet; |
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viele politische Salafisten lehnen Gewalt als Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele nicht grundsätzlich ab; |
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die salafistische Szene ist strukturell amorph, hybrid strukturiert; |
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jihadistische Salafisten befürworten eine offene, unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung gegen jeden, der vom „wahren Islam“ abgefallen ist; |
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besonders prägendes Merkmal der jihadistischen Salafisten in Europa ist ihre ideologische, organisatorische und strategisch-taktische Nähe zu internationalen jihadistischen Bewegungen wie dem Islamischen Staat und der Al Qaida; |
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Salafismus als eine islamistische Islaminterpretation strebt die Reinigung und die Wiederherstellung des Islam in seiner als „ursprünglich“ deklarierten Form an; |
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glorifiziert den Ur-Islam Mohammeds und seiner „Gefährten“ sowie inhaltlich den Koran und die Sunna als Vorbilder für das „richtige“ gesellschaftliche und politische Verhalten in der Gegenwart und Zukunft; |
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die salafistischen Islaminterpretationen richten sich an der religiösen Praxis und Lebensführung des Propheten Mohammed und seiner Gefährten (den „rechtschaffenen Altvorderen“) aus; |
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Salafisten wollen die Gesellschaft, in der sie leben, durch ein salafistisches Islamverständnis grundlegend verändern; |
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Salafismus ist wie Islamismus als extremistische Ideologie zu beurteilen, die außerhalb der fdGO steht; |
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die religiös-theologisch-ideologische Grundlage aller drei salafistischer Strömungen ist im Wesentlichen gleich, was höchst problematisch für die Sicherheitsbehörden ist; |
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politische Salafisten legen ihren taktischen Schwerpunkt auf die Verbreitung ihrer islamistisch-salafistischen Ideologie durch Dawa , also Missionierung und Rekrutierung neuer Anhänger durch Propagandaaktivitäten; (spätestens) hier beginnt der strafrechtlich relevante Bereich; |
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nach Einschätzung deutscher Verfassungsschutzbehörden sind ca. 10% bis 20% aller Salafisten jihadistische Terroristen, 80% bis 90% bleiben politische Salafisten, woraus sich die folgende Regel ergibt: „Nicht jeder Salafist wird Jihadist, aber quasi alle Jihadisten waren bzw. sind Salafisten“.[2] |
[1]
Goertz 2017d, S. 22.
[2]
Ebd., S. 22-23.
III Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus› 1. Der Phänomenbereich Islamismus› 1.3 Der Phänomenbereich Islamistischer Terrorismus (Jihadismus)
1.3 Der Phänomenbereich Islamistischer Terrorismus (Jihadismus)
Der Bundesnachrichtendienst als deutscher Auslandsnachrichtendienst definiert den islamistischen Terrorismus wie folgt:
Seine Gruppierungen agieren transnational und verfolgen häufig einen global-jihadistischen Ansatz, der westliche Ziele und damit auch die Bundesrepublik Deutschland ins Visier nimmt. Ideologische Grundlage islamistischer Terrorgruppierungen ist eine vorgebliche Rückbesinnung auf traditionelle islamische Werte in Anlehnung an das „Goldene Zeitalter“ zur Zeit des Propheten Muhammad. Als Ziel propagieren sie die Errichtung von islamischen Gemeinwesen nach den Grundsätzen der Sharia. Mittel zum Zweck ist für alle Gruppierungen der als heiliger Krieg („Jihad“) bezeichnete gewaltsame Kampf. [1]
Das Bundesamt für Verfassungsschutz, der deutsche Inlandsnachrichtendienst des Bundes, definiert den islamistischen Terrorismus wie folgt:
Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129 a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. [2]
In der internationalen, sicherheitspolitischen Forschung hat sich in den letzten Jahren weitgehend die Auffassung durchgesetzt, dass es „den“ Terrorismus nicht gibt, dass Terrorismus kein kohärentes, eindeutiges Phänomen ist, sondern als Strategie verstanden werden muss, die von sehr unterschiedlichen Akteuren in sehr unterschiedlichen politischen Situationen angewendet wird.[3]
Damit hängt eine weitere, für die Terrorismusforschung sehr zentrale Position zusammen, indem Terrorismus als strategische Wahl eines rational handelnden Akteurs verstanden wird: „Terrorism can be considered a reasonable way of pursuing extreme interests in the political arena. It is among the many alternatives open to radical organizations.“[4]
Neben im engeren Sinne sozialwissenschaftlicher Forschung sind es sozialpsychologische und rational choice -Ansätze, die besonders die strategische Wahl des Terrorismus als Ergebnis einer rationalen Abwägung betonen.
So zeigt die aktuelle Analyse der Strategie der internationalen jihadistischen Großorganisationen „Islamischer Staat“ und Al Qaida, dass diese Organisationen Terrorismus als ein taktisches Mittel von vielen nutzen.[5] Der IS als nichtstaatlicher Akteur (Terrororganisation) ist gegenüber den von ihm angegriffenen Staaten der westlichen Welt von einem eindeutigen Macht- und Ressourcen-Ungleichgewicht geprägt. Terroristische Gewalt ist für ihn ein Mittel in Form eines kommunikativen Aktes zur Erreichung religiös-politischer Ziele.[6]
Die Akteure des internationalen (auch transnationalen) Terrorismus operieren in zahlreichen Staaten auf unterschiedlichen Kontinenten, haben keine unveränderlichen lokalen Bezugspunke und die räumliche Wahl ihrer Ausbildungseinrichtungen und Basen beruhen auf strategischen und ökonomischen Erwägungen. Das Beispiel Al Qaida zeigt, dass sich sowohl Strategien als auch Taktiken wiederholt ändern können.
Als Charakteristika des internationalen Terrorismus sind zu nennen
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dezentrale Netzwerk-Struktur auf substaatlicher Ebene, |
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multiple private Finanzquellen und Logistik, |
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internationale Zielsetzung, |
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Multinationalität der Mitglieder, |
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hohe taktische Flexibilität. |
Internationale islamistisch-terroristische Organisationen verfügen sowohl in westlichen, demokratischen Staaten (wie z.B. in den USA, Kanada, Australien und in zahlreichen europäischen Staaten) über Zellen in ethnischen und religiösen Milieus ( Diaspora Communities ) und sind über solche Milieus auch in Konfliktregionen wie Afrika, den Nahen und Mittleren Osten und den Kaukasus vernetzt.
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