Die empirische Analyse des Islamischen Staates zeigt, dass der IS Terrorismus als eine taktische Methode, ein taktisches Mittel von vielen nutzt. Terroristische Gewalt ist für den IS ein Mittel in Form eines kommunikativen Aktes zur Erreichung religiös-politischer Ziele. Die Al Qaida im islamischen Maghreb beweist seit ca. vierzehn Jahren in Nord- und West-Afrika ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an sich verändernde, regionale Rahmenbedingungen. Verbunden ist dies auch mit ihrer Fähigkeit, sich mit Hilfe ihrer transnationalen jihadistischen Ideologie an praktisch jeden Konflikt der Welt, an dem Muslime beteiligt sind, anzugliedern und dort neue Anhänger zu mobilisieren.
[1]
BND 2017.
[2]
BfV 2017b.
[3]
Tilly 2004, S. 5-13.
[4]
Crenshaw 2010.
[5]
„Alte“ sozialwissenschaftliche Kriterien wie staatlich vs. nichtstaatlich, operativ-taktischer Terrorismus vs. Guerillakriegführung bzw. Insurgency erfassen nicht, dass der „Islamische Staat“ zur gleichen Zeit ein quasi-staatlicher (auf dem von ihm kontrollierten und regierten Territorium) und ein nichtstaatlicher Akteur ist, zur gleichen Zeit operativ-taktisch sowohl das Mittel des Terrorismus (z.B. durch Selbstmordattentate in Staaten der „islamischen Welt“, in denen der IS noch nicht quasi-staatliche Funktionen hat und in Staaten der westlichen Welt) als auch Mittel regulärer Gefechtsarten wie Angriff und Verteidigung durch militärische Verbände anwenden kann. Goertz 2017b, S. 3-4.
[6]
Goertz 2017e, S. 29-33.
1.3.1 Definition und Kurzzusammenfassung
Islamistischer Terrorismus
wendet Aufsehen erregende Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Stellen an, um Angst und Schrecken zu verbreiten und dadurch politische Entscheidungen von Staaten zu beeinflussen. Die politischen und gesellschaftlichen Ziele des islamistischen Terrorismus basieren auf einer extremistischen Interpretation der Religion Islam und ihrer Rechtsquellen.[1]
Islamistischer Terrorismus
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ist der strategisch und taktisch geführte Kampf für islamistische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum erreicht werden sollen; |
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Terrorismus ist kein kohärentes, stringentes Phänomen, sondern eine Strategie mit zahlreichen unterschiedlichen Taktiken, die von unterschiedlichen Akteuren in unterschiedlichen politischen Situationen angewendet werden; |
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Terrorismus ist die strategische und taktische Wahl eines rational handelnden Akteurs; |
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„Homegrown“-Terroristen sind radikalisierte Islamisten ab der zweiten Einwanderergeneration, in europäischen/westlichen Ländern geboren und/oder aufgewachsen und sie lehnen aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller und/oder psychologisch-biographischer Faktoren das westliche, demokratische Verfassungssystem ab; |
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Gewalt ist für den islamistischen Terrorismus ein Mittel in Form eines kommunikativen Aktes zur Erreichung religiös-politischer Ziele; |
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ist geprägt von einer dezentralen Netzwerk-Struktur auf substaatlicher Ebene; |
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basiert auf multiplen Finanzquellen und Logistik; |
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hat eine globale Zielsetzung, zunächst die Errichtung eines Kalifats in einzelnen Staaten bzw. Regionen, danach die Errichtung eines weltweiten Kalifats („Gottes Herrschaft auf Erden“), eine zeitgenössische Kalifatinterpretation ist diejenige der jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“; |
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geprägt von der Multinationalität seiner Kämpfer, Mitglieder und Unterstützer; |
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hohe taktische Flexibilität; |
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anders als der ethno-nationale Terrorismus (ETA, IRA etc.) ist er durch die globale Reichweite seiner religiös-ideologischen Ausrichtung in höchstem Maße international orientiert; |
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profitiert entscheidend von den Entwicklungen der Globalisierung, von geöffneten bzw. von schwach bis gar nicht kontrollierten Grenzen und modernen Kommunikationsmitteln (Internet, Mobiltelefone, soziale Netzwerke); |
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seine Gruppierungen und Akteure nutzen sowohl schwache und gescheiterte Staaten der sog. zweiten und dritten Welt (Syrien, Irak, Afghanistan, Somalia) als auch europäische und westliche Staaten; |
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internationale islamistisch-terroristische Organisationen verfügen in westlichen, demokratischen Staaten über organisatorische Strukturen wie Zellen und Schläfer in ethnischen und religiösen Milieus („Diaspora-Communities“) und sind über solche Milieus auch in Konfliktregionen wie Afrika, den Nahen und Mittleren Osten und den Kaukasus vernetzt; |
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die Akteure des (internationalen) islamistischen Terrorismus wenden völkerrechtlich illegale taktische Mittel wie Angriffe und Straftaten gegen die Zivilbevölkerung an; |
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die Akteure des internationalen islamistischen Terrorismus tragen keine Uniformen bzw. identifizierende Abzeichen, um sich nicht als Kombattanten erkennen zu geben.[2] |
[1]
Goertz 2017d, S. 29.
[2]
Goertz 2017d, S. 29.
III Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus› 2. Islamistische Radikalisierung: Wege in den Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus
2. Islamistische Radikalisierung: Wege in den Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus
III Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus› 2. Islamistische Radikalisierung: Wege in den Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus› 2.1 Islamistischer Radikalisierungsfaktor: Die Ideologie
2.1 Islamistischer Radikalisierungsfaktor: Die Ideologie
2.1.1 Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus (Jihadismus) als religiös-politische Ideologie
Jede Religion, damit auch der Islam, kann durch die folgenden fünf Funktionen Einfluss auf das Individuum, eine Gruppe und ganze Gesellschaften ausüben: Sie (1) wirkt identitätsbildend, (2) sie ist ein Glaubenssystem, das das Verhalten von Individuen und Gruppen beeinflusst, (3) sie produziert Doktrinen, allumfassende Sichtweisen und Regeln, (4) sie produziert Legitimität und (5) sie institutionalisiert sich.[1] Aus anthropologisch-kulturtheoretischer Perspektive kann argumentiert werden, dass religiöse Deutungsmuster, verstanden als kulturelle Vorgabe für das Verständnis der Legitimität von Gewalt, besonders dazu geeignet sind, Gewaltbereitschaft hervorzurufen bzw. zu steigern.[2]
Religionen können, sozialwissenschaftlich erklärt, Gewalt hervorrufen bzw. bestärken, weil sie die Fähigkeit besitzen, bei ihren Anhängern äußerste Verpflichtung zu erzeugen, indem sie eine spirituell-religiöse Sprache und Geschichte kreieren, die Gewalt einem höheren Zwecke dienlich erscheinen lässt, weil sie Gewalt in Form von religiösen Riten und Opfern kontrollieren, wodurch eine Art von Gewaltkontrolle entsteht, das dem Gewaltmonopol moderner Staaten ähnelt. Darüber hinaus können Religionen in besonderen psychologischen und gesellschaftlichen Krisen sowie in Kriegen im Rückgriff auf die (gewaltsame, kriegerische) Entstehungsgeschichte der eigenen Religion Gewalt als Impuls wecken.[3]
Religiöser Fundamentalismus erschafft zum einen Strategien zur Bewahrung einer Gruppenidentität durch die Betonung selektiver Dogmen, Glaubenssätze, Normen und Praktiken zur Abgrenzung nach außen. Darüber hinaus strebt religiöser Fundamentalismus zum anderen eine religiöse, spirituelle, gesellschaftliche Erneuerung an und ist dadurch innovativ. Indem religiöser Fundamentalismus seinen Anhängern absolute und exklusive Dichotomien und Wahrheiten präsentiert, erschafft er eine ontologische, psychische Sicherheit für seine Anhänger.[4]
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