Die Anwendung medizinischen Wissens im Dienst der Rechtspflege schließt Probleme der Forensischen Psychiatrie ein. Dieses Fach hat seine historischen Wurzeln in der Rechtswissenschaft und in der Rechtsmedizin. Nach heutigem Verständnis ist die Forensische Psychiatrie ein Spezialgebiet der Psychiatrie, das sich mit den fachspezifischen Begutachtungsfragen und mit der Behandlung psychisch kranker Rechtsbrecher befasst. In der Begutachtungspraxis wird das Fach teils durch Psychiater, teils durch speziell ausgebildete Rechtsmediziner vertreten.
Die Grundlage psychiatrischer Beurteilung und psychiatrischen Handelns bildet die Psychopathologie. Wesentliche Aufgaben der Psychopathologie sind die Erkennung und Beschreibung einzelner psychischer Auffälligkeiten und deren Ordnung zu immer wieder beobachtbaren Symptomenkomplexen. Psychopathologische Exploration und Verhaltensbeobachtung gehören zu den grundlegenden Untersuchungsmethoden des forensisch tätigen Psychiaters.
Den wichtigsten Beitrag zur Kriminalistik leistet der Rechtsmediziner durch seine Mitwirkung bei Todesermittlungssachen. Im Idealfall beginnt die Zusammenarbeit zwischen Ermittlungsbeamten und Rechtsmediziner mit der Ereignisortuntersuchung, setzt sich fort bei der gerichtlichen Leichenöffnung mit der gemeinsamen Erörterung von Ermittlungsergebnissen und Obduktionsbefunden und reicht bis zur Bestätigung oder Widerlegung von Aussagen. Bei Tötungsverbrechen ist es unerlässlich, dass der Rechtsmediziner bereits am Tat- oder Fundort mit seinen Untersuchungen beginnt. Von ihm erwarten die Kriminalisten gleich an Ort und Stelle erste Aussagen zur Todeszeit, zur Todesursache und zum Hergang der Tat. Weitere wesentliche Informationen erbringt die gerichtliche Leichenöffnung. Dabei ist die Anwesenheit eines verantwortlichen Ermittlungsbeamten erforderlich. Aus dem Ergebnis der Leichenöffnung können sich Anhaltspunkte für die Rekonstruktion des Tathergangs, für eine weitere Suche und Sicherung von Spuren und Vergleichsmaterial sowie für Vernehmungen ergeben. Die Kenntnis der Tatortsituation erleichtert die Interpretation der Untersuchungsergebnisse und ist durch noch so gute Fotografien nicht zu ersetzen.
Die Rechtsmediziner teilen ihre Auffassung zum untersuchten Todesfall den Ermittlungsbeamten in einem Vorläufigen Gutachten mit. Vorläufig deshalb, weil darin nur der erste Eindruck wiedergegeben werden kann. Ein zusammenfassendes Gutachten ist erst nach Abschluss aller Zusatzuntersuchungen, vor allem mikroskopischer und toxikologischer Untersuchungen, und der kriminalistischen Ermittlungen möglich.
Heute stellt die Mitwirkung des Rechtsmediziners bei der Aufklärung von Tötungsverbrechen eine Selbstverständlichkeit dar. Mindestens genauso wichtig ist es aber, ihn bei unerwarteten und unklaren Todesfällen möglichst frühzeitig hinzuzuziehen. Nach wie vor bildet eine sachkundig und sorgfältig durchgeführte Leichenschau die entscheidende Voraussetzung für die Aufdeckung latenter Tötungsdelikte wie auch anderer nichtnatürlicher Todesfälle.
Für die rechtsmedizinische Rekonstruktion tödlicher Verkehrsunfälle ist die gerichtliche Leichenöffnung die wichtigste Untersuchungsmethode, aber allein nicht ausreichend. Um ein verwertbares rekonstruktives Ergebnis zu erreichen, sollte auf eine Besichtigung des Unfallortes und der Unfallfahrzeuge durch den Rechtsmediziner sowie auf seine Mitwirkung bei der Spurensicherung nicht verzichtet werden.
Im Rahmen der Todesermittlung ist es notwendig, die Identität des Verstorbenen zweifelsfrei festzustellen. Die Identifizierung von Leichen und Leichenteilen erfordert unter bestimmten Umständen die Anwendung rechtsmedizinischer Untersuchungsmethoden. Dabei werden traditionell Erkenntnisse aus der Anatomie, Anthropologie, Zahnheilkunde und Röntgendiagnostik genutzt. Die Identifizierung unbekannter Toter durch den Rechtsmediziner beschränkt sich nicht auf Einzelfälle, sondern er kommt auch nach Katastrophen mit einer Vielzahl von Leichen zum Einsatz.
Die Fortschritte der Molekularbiologie haben das Methodenspektrum von Rechtsmedizin und Kriminalistik außerordentlich erweitert. Aus der DNS-Forschung resultierten nicht nur für die Identifizierung unbekannter Toter neue Möglichkeiten. Weitaus stärker wurde die forensische Spurenuntersuchung durch die Einführung molekularbiologischer Verfahren bereichert. Aufgrund der zunehmenden Verfeinerung der spurenkundlichen Untersuchungsmethoden sind Rechtsmediziner und Kriminaltechniker immer mehr auf eine Zusammenarbeit mit anderen Spezialisten angewiesen, so Biochemiker, Molekularbiologen, Humangenetiker, Biostatistiker, Biophysiker und Informatiker. Deshalb ist eine fachübergreifende Kooperation aller Beteiligten eine wesentliche Voraussetzung für den Untersuchungserfolg.
Gerade in der Spurenkunde bestehen vielfältige Berührungspunkte zwischen der Rechtsmedizin einerseits und der naturwissenschaftlichen Kriminalistik andererseits. Während die Suche und Sicherung von Spuren unstrittig als Aufgaben der Kriminaltechnik angesehen werden, gibt es für die Untersuchung und Begutachtung von Spurenmaterial kein solches Monopol. Bedingt durch die historische Entwicklung und abhängig von der Leistungsfähigkeit der beteiligten Institutionen, werden Spuren menschlicher Herkunft, hauptsächlich Blut, Sekrete, Haut und Haare, entweder in einer kriminaltechnischen Einrichtung oder in einem Institut für Rechtsmedizin ausgewertet. Für die Zuständigkeit in diesem Bereich bestehen nach wie vor kontroverse Ansprüche. Doch mehr denn je gilt, dass es die „Hauptsache ist, die Aufgabe gut zu erledigen, Nebensache, wem die Erledigung zukommt“.[3]
Wie das Beispiel DNS-Analytik zeigt, müssen neue Methoden und Erkenntnisse aus anderen Wissenschaftsgebieten stets auf ihre Anwendbarkeit in Rechtsmedizin und Kriminalistik geprüft werden. So hat sich die ursprünglich für die Erforschung von Erbkrankheiten entwickelte Technik schon bald als überaus wertvoll für die forensische Spurenuntersuchung erwiesen.
Nicht zuletzt ergeben sich aus der Rechtspraxis häufig Problemstellungen, die eine wissenschaftliche Bearbeitung in der Rechtsmedizin erfordern. Bei manchen Todesfällen muss eingeschätzt werden, wann der Tod eines Menschen eintrat. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gesetzmäßige Zusammenhänge zwischen der Abkühlung der Leiche und dem Zeitpunkt des Todeseintritts aufgezeigt, die eine Todeszeitschätzung erlauben. Solche rechtsmedizinischen Forschungen dienen ausschließlich einer kriminalistischen Zweckbestimmung. Die Forschungsergebnisse vergrößern den Fundus spezifischer Erkenntnisse und Methoden der Rechtsmedizin, über den in dieser Geschlossenheit kein anderes medizinisches Fachgebiet verfügt.
Die Rechtsmedizin ist Lehr- und Prüfungsfach im Medizinstudium. Somit erwirbt jeder Arzt rechtsmedizinische Grundkenntnisse, zumeist fehlen ihm aber Spezialwissen und praktische Erfahrungen. Für Studierende der Rechtswissenschaft gibt es an vielen Universitäten einen fakultativen rechtsmedizinischen Unterricht. Dem Kriminalbeamten wird vor allem in der Fortbildung rechtsmedizinisches Wissen vermittelt.
Wie dargestellt, leistet der Rechtsmediziner seinen fachspezifischen Beitrag zur Klärung unterschiedlicher rechtserheblicher Sachverhalte. Er kann jedoch durch seine Mitarbeit den Ermittlungsbeamten nur unterstützen. „Der Aufbau des Beweisgebäudes liegt allein in der Hand des Kriminalisten.“[4]
[1]
Schwerd, W . (1989): Gerichtliche Medizin und Kriminalistik. Z. Rechtsmed. 102: 423.
[2]
Forensisch bedeutet gerichtlich, abgeleitet von dem lateinischen Substantiv forum .
[3]
Kenyeres, B . (1940): Lokalaugenschein. In: Handwörterbuch der gerichtlichen Medizin und naturwissenschaftlichen Kriminalistik (Hrsg. F. v. Neureiter, F. Pietrusky u. E. Schütt), Berlin: Springer, S. 458.
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