Gelegentlich wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft die gerichtliche Leichenöffnung einer bereits andernorts obduzierten Leiche angeordnet. Eine solche Nachsektion soll die formalen Erfordernisse der Strafprozessordnung erfüllen. Trotz ihres oft verminderten Aussagewertes kann die Nachsektion zusammen mit den Ergebnissen der zuerst vorgenommenen Obduktion zu einer verfahrensgerechten Einführung der Befunde führen.
Für die beiden Spezialfälle der Leichenöffnung von Neugeborenen (§ 90 StPO) sowie bei Verdacht einer Vergiftung (§ 91 StPO) sind in der Strafprozessordnung selbstständige, von § 87 II StPO abgetrennte Regelungen enthalten.
Im Anschluss an die gerichtliche Leichenöffnung erteilt oder besorgt der Staatsanwalt die schriftliche Genehmigung zur Bestattung (§ 159 II StPO). Spätestens bei der Freigabe der Leiche zur Bestattung hat der Staatsanwalt regelmäßig dafür zu sorgen, dass ein Totensorgeberechtigter auf die Möglichkeit einer Nachbestattung entnommener Körpermaterialien hingewiesen wird (Nr. 35 III RiStBV).
Die rechtsmedizinischen Obduktionsprotokolle weichen kaum voneinander ab und sind an folgender Gliederung orientiert:
A. |
Äußere Besichtigung Geschlecht, Alter, Größe, Gewicht und Körperbau Bekleidung Sichere Zeichen des Todes Kopf Hals Brust Bauch Äußere Geschlechtsorgane Obere und untere Gliedmaßen Rücken und After |
B. |
Innere Besichtigung (Beschreibung der Körperhöhlen und der einzelnen Organe nach Farbe, Größe, Gewicht, Gestalt, Konsistenz und Blutgehalt sowie Feststellung von krankhaften Veränderungen und von Verletzungen) Kopfhöhle Hals Brusthöhle Bauchhöhle Skelettsystem |
C. |
Vorläufiges Gutachten I. Sektionsergebnis (zusammengefasste Obduktionsbefunde) II. Todesursache III. Beurteilung der Todesart IV. Vorgeschichte (meist aus der Akte; bei Kapitalsachen eigene Wahrnehmungen des Obduzenten vom Tat- oder Fundort und mündlich mitgeteilte, erste Ermittlungsergebnisse) V. Gutachtliche Beurteilung des Todesfalles (insbesondere zur Fremdeinwirkung, zum Geschehensablauf bzw. Tathergang, zur Todeszeit und zum Kausalzusammenhang) VI. Asservate VII. Hinweise auf mögliche Zusatzuntersuchungen (histologische, toxikologisch-chemische, bakteriologische, virologische, spurenkundliche Untersuchungen) VIII. Vorbehalt (Da das Vorläufige Gutachten nur den ersten Eindruck der Obduzenten wiedergeben kann, erfolgt der Hinweis auf ein endgültiges Gutachten nach Abschluss der Zusatzuntersuchungen und der Ermittlungen.) |
Unmittelbar nach der Leichenöffnung erläutern die Obduzenten den anwesenden Vertretern der Ermittlungsbehörde das Obduktionsergebnis. Dabei werden die Obduktionsbefunde und die Todesursache in Verbindung mit den ersten Ermittlungsergebnissen erörtert und gegebenenfalls weitere Ermittlungen angeregt.
Als Anlage werden den Obduktionsprotokollen Skizzen beigefügt, aus denen beispielsweise die Lokalisation der Verletzungen, der Verlauf von Stich- oder Schusskanälen und Knochenbruchlinien ersichtlich sind. Weiterhin dienen Lichtbildtafeln der Dokumentation wesentlicher Obduktionsbefunde.
Nicht immer gelingt es, bei der Leichenöffnung aus den Organveränderungen die Todesursache abzuleiten. In solchen Fällen werden Zusatzuntersuchungen vorgenommen, die eine gewisse Zeit erfordern. Häufig sind das toxikologisch-chemische Analysen und mikroskopische Gewebeuntersuchungen (= histologische Untersuchungen). Bei histologischen Untersuchungen werden von asservierten Gewebeproben nach einer Vorbehandlung ganz dünne Schnittpräparate angefertigt, gefärbt und unter dem Mikroskop betrachtet. Wenn die Ergebnisse aller Zusatzuntersuchungen vorliegen, wird eine Stellungnahme zur Todesursache nachgereicht.
Das rechtsmedizinische Gutachten kann gemäß § 256 I StPO in der Hauptverhandlung verlesen werden und geht als Urkundenbeweis (§ 249 StPO) in das Verfahren ein. Deshalb muss es allgemeinverständlich formuliert sein. Dazu gehört, dass medizinische Fachausdrücke ins Deutsche übertragen und erläutert werden.
Nachfolgend sind wesentliche Aufgaben und Ziele der gerichtlichen Leichenöffnung zusammengefasst:
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Sicherung von Spuren an der Bekleidung und am Körper der Leiche, |
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Entnahme von Körperflüssigkeiten und Organproben, |
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Sicherstellung von Sachbeweisen aus dem Körperinneren (Projektile, Werkzeugspuren an Knochen), |
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Erfassung äußerer und innerer Identitätsmerkmale, |
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Hinweise zur Todeszeitschätzung, |
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Feststellung von Todesursache und Todesart, häufig verbunden mit der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen einer Körperschädigung und dem Tod, |
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Fotodokumentation bzw. Videoaufzeichnung äußerer und innerer Befunde je nach Erforderlichkeit, |
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Tat- oder Unfallrekonstruktion, |
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Beurteilung einer Überlebenszeit, |
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Einschätzung einer Handlungsfähigkeit nach der Gewalteinwirkung, |
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Anregungen für die wissenschaftliche Untersuchung kriminalistisch und rechtsmedizinisch bedeutsamer Fragen. |
Obwohl an der Notwendigkeit von Leichenöffnungen kein Zweifel besteht, gibt es in Deutschland seit Jahren eine gleichbleibend niedrige Rate rechtsmedizinischer Obduktionen. Nur 2 % aller Verstorbenen werden gerichtlich seziert. Dabei sind erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern festzustellen, die sich um den Faktor fünf bewegen.
Neben der gerichtlichen Leichenöffnung gibt es weitere Möglichkeiten der Obduktion. Das sind:
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Sektion bei Seuchenverdacht (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen vom 20. Juli 2000 = Infektionsschutzgesetz), |
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klinische Sektion (Leichenöffnung im Institut für Pathologie von Kliniken zur Qualitätskontrolle und für wissenschaftliche Zwecke), |
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anatomische Sektion (Leichenöffnung in einem Anatomischen Institut zum Zweck der Lehre und Forschung über den Aufbau des menschlichen Körpers), |
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Sektion im Auftrag von Berufsgenossenschaften (Träger der gesetzlichen Unfallversicherung), gesetzlichen und privaten Versicherungen sowie Versorgungsämtern, |
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Sektion im Auftrag von Angehörigen (Privatsektion zur Feststellung der Todesursache), |
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außergerichtliche Obduktion (Landesrecht in einigen Bundesländern). |
Unabhängig vom Rechtsstatus der Leiche genießen Ansehen und Würde eines Verstorbenen rechtlichen Schutz. Durch § 189 StGB wird die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener unter Strafe gestellt. Die Vorschrift schützt das Pietätsempfinden der Angehörigen und die nach dem Tod fortbestehende Menschenwürde. Geschütztes Rechtsgut bleibt auch über den Tod hinaus der persönliche Lebens- und Geheimbereich (§ 203 StGB). Die Störung der Totenruhe ist gemäß § 168 StGB gesetzwidrig. Danach wird bestraft, „wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt […]. Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt.“ Auch bestimmte Rechte und Willenserklärungen des Verstorbenen (z. B. Urheber- und Erbrechte) gelten nach dem Tod weiter.
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AWMF-Leitlinien-Register, Nr. 054/001.
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