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Ebenfalls möglich ist, Ableitungenaus allgemein anerkannten Grundsätzen des Gewohnheitsrechts (gilt entsprechend für Ableitungen aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen) vorzunehmen: Man begründet den Ausgangsrechtssatz (weiß möglichst auch eine Gerichtsentscheidung, die diesen Satz stützt) und leitet aus ihm einen weiteren Rechtssatz her. Gewiss ist richtig, dass „die logische Ableitung von Völkerrechtssätzen eine Sache, die Anerkennung solcher Sätze in der Staatenpraxis eine andere ist“[30]; im Idealfall wird man den so gewonnenen Rechtssatz daher anhand von Staatenpraxis oder durch Gerichtsentscheidungen abzusichern versuchen, also eine Kombination aus Deduktion(= Argumentation vom Allgemeinen zum Besonderen) und Induktion(= Argumentation vom Besonderen zum Allgemeinen) anstreben.[31] Nicht immer wird dies gelingen. Letztlich geht es darum, Inhalt und Geltung eines Rechtssatzes jedenfalls plausibel und möglichst überzeugend darzulegen. Zudem geht es in Klausuren um den Nachweis, dass man den Lernstoff „drauf hat“.
c) Allgemeine Rechtsgrundsätze
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Allgemeine Rechtsgrundsätze werden in Klausuren bestenfalls in Form von Autoritätsargumenten auftauchen können – oft wird man sich sogar auf Behauptungen beschränken müssen. Der Nachweis, dass eine Regel „von den Kulturvölkern“ (und das sind nach allgemeiner Ansicht zumindest alle Mitglieder der Vereinten Nationen) anerkannt ist, würde umfangreiche rechtsvergleichende Darlegungen verlangen, die in einer Klausur unmöglich sind. Selbst die für einen „Plausibilitätstest“ immer noch notwendigen Kenntnisse verschiedener wichtiger nationaler Rechtsordnungen wird man nicht verlangen können. Allgemeine Rechtsgrundsätze wird man daher als solche benennen (damit der Leser weiß, mit welcher Art von Rechtsnorm er es zu tun hat), aber nicht begründen.
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Gewisse Irritationen mag auch der Umstand auslösen, dass bei einigen Rechtsgrundsätzen die tatbestandliche Abgrenzungschwer fallen kann. Die Differenzierung zwischen Treu und Glauben, venire contra factum proprium , estoppel und Vertrauensschutz z. B. ist alles andere als leicht und wohl auch müßig ( Fall 1): Es handelt sich um Grundsätze mit vielen Familienähnlichkeiten, die alle ihren eigenen Kontext im jeweiligen nationalen Recht besitzen. Der gemeinsame Kerngedanke kennt viele Namen, feinere Unterschiede tun sich erst in Randbereichen auf.
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Beschlüsse Internationaler Organisationen(z. B. Resolutionen des UN-Sicherheitsrates) bringen keine besonderen klausurrelevanten Probleme mit sich. Geltungstechnisch hat man, da es sich um völkerrechtliches „Sekundärrecht“handelt (also um Recht, das vermöge einer völkerrechtlich eingeräumten Befugnis geschaffen wird), zu prüfen, ob der Adressat des fraglichen Beschlusses Mitglied der betreffenden Internationalen Organisation ist, ob das Organ befugt ist, rechtsverbindliche Beschlüsse zu fassen und ob es sich im Rahmen dieser Befugnis gehalten hat. Insbesondere bei Resolutionen des UN-Sicherheitsrates können auch Auslegungsfragenauftauchen, die im Wesentlichen unter entsprechender Anwendung der in der WVK niedergelegten Grundregeln (die WVK betrifft ja nur Verträge zwischen Staaten, nicht Resolutionen von Organen Internationaler Organisationen) beantwortet werden können ( Fälle 14und 15).
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Auch einseitige Rechtsakteschließlich sind in gewissem Sinne „Sekundärrecht“ (der Begriff ist hier aber ungebräuchlich), da bereits die Möglichkeit, sich mittels einseitiger Akte selbst zu binden, teils über Gewohnheitsrecht, teils über allgemeine Rechtsgrundsätze begründet wird. Inhaltlich wird man die Erklärung zu interpretierenhaben. Was die Möglichkeit einer einseitigen Selbstverpflichtung und deren Voraussetzungenbetrifft, ist vor allem auf den Ostgrönland-Fall des StIGH und die Nukleartest-Fälle des IGH aus dem Jahre 1974 als klassische Leitentscheidungen zu verweisen (zu einseitigen Akten Fall 1).[32]
[1]
Hierzu sowie zur Suche nach dem Geltungsgrund des Völkerrechts m. w. N. v. Arnauld , Rn. 5 ff; Doehring , Völkerrecht, § 1 Rn. 1 ff, 31 ff; Ipsen , Ipsen, Völkerrecht, § 1 Rn. 18 ff; Schweisfurth , 630 ff.
[2]
Vgl. näher v. Arnauld , Rn. 38 ff im Anschluss an Berber , I, 16 ff.
[3]
Zum genossenschaftlichen Charakter des Völkerrechts v. Arnauld , Rn. 39 ff; Berber , I, 16 ff.
[4]
Vgl. die sog. Lotus-Regel nach dem Lotus-Fall des StIGH (Urteil v. 7.9.1927, PCIJ Series A, Nr. 10), wonach wegen der staatlichen Souveränität eine Vermutung dafür besteht, dass ein Verhalten erlaubt ist, solange nicht eine völkerrechtliche Regel nachgewiesen werden kann, die das betreffende Verhalten untersagt. Siehe v. Arnauld , Rn. 40 und Fall (Anhang) Nr. 3; näher A. v. Bogdandy/M. Rau , Lotus, The, MPEPIL (6/2006); Kunig/Uerpmann , Jura 1994, 186.
[5]
Die berühmte Wendung stammt von Georg Jellinek (Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, 333 ff, 338 ff).
[6]
Dazu v. Arnauld , Rn. 29 ff, 38 ff, 66 ff, 1304 ff; Herdegen , §§ 4–5; Hobe , 57 ff.
[7]
v. Arnauld , Rn. 307 ff.
[8]
Näher v. Arnauld , Rn. 287 ff.
[9]
Zum Verhältnis von ius cogens und Pflichten erga omnes v. Arnauld , Rn. 291 ff.
[10]
v. Arnauld , Rn. 1092 ff.
[11]
Zu der Abgrenzung von Völkerrecht und internationaler Politik und den damit verbundenen Schwierigkeiten Berber , I, 24 ff; Herdegen , Völkerrecht, § 6; Ipsen , Ipsen, § 3 Rn. 2 ff.
[12]
Dies berücksichtigt – bei aller Berechtigung seiner Kritik im Ansatz – Bodansky , IJGLS 3 (1995), 105, insbes. 112 ff, 116 ff, nicht hinreichend, der in Bezug auf das Gewohnheitsrecht von einem „deklarativen“ Recht spricht, das wohl dem entspreche, was Staaten sagten, aber oftmals nicht dem, was sie tatsächlich täten. Das Bild des Marsbewohners stammt von Franck , The Power and Legitimacy Among Nations, 1990, 41 ff.
[13]
Zur wichtigen Rolle innerstaatlicher Institutionen vgl. insbesondere die Guantánamo-Urteile des U.S. Supreme Court: Rasul v. Bush , Urteil v. 28.6.2004, 542 U.S. 466; Hamdi v. Rumsfeld , Urteil v. 28.6.2004, 542 U.S. 507; Hamdan v. Rumsfeld , Urteil v. 29.6.2006, 548 U.S. 557. Dazu auch v. Arnauld , Fall (Anhang) Nr. 50.
[14]
Vertiefend v. Arnauld , Rn. 407 ff.
[15]
v. Arnauld , Rn. 590 ff.
[16]
Hierzu eingehend Peters , Jenseits der Menschenrechte, 2014 sowie Beiträge in d’Aspremont (Hg.), Participants in the International Legal System, 2011; Bianchi (Hg.), Non-State Actors and International Law, 2009; Hofmann (Hg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, 1999; Marauhn (Hg.), Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003; Noortmann/Reinisch/Ryngaert (Hg.), Non-State Actors in International Law, 2015. Siehe auch ILA, Non State Actors, Draft Final Report (Veronika Bilkova), 2016.
[17]
Zur Praxis des UN-Sicherheitsrates v. Arnauld , Rn. 1047; de Wet/Wood , Peace, Threat to, MPEPIL (6/2009), jeweils m. w. N. Vertiefend und mit Beispielen aus der UN-Praxis Dicke , in: Delbrück (Hg.), New Trends in International Lawmaking, 1997, 145 (150 ff); Gading , Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität?, 1996, 91 ff; Schäfer , Der Begriff „Bedrohung des Friedens“ in Artikel 39 der Charta der Vereinten Nationen, 2006, insbes. 263 ff.
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