Der Anwendungsbereich der Theorie der Verfügungsrechte ist freilich noch sehr viel weiter[616]: Die zentralen Aussagen der Theorie der Verfügungsrechte (sog. Coase-Theorem) sind unter der Voraussetzung vollkommener Märkte erstens, dass die ex-ante Verteilung (Allokation) von Verfügungsrechten für deren spätere faktische Verteilung belanglos ist, da letztere stets effizient ist, und zweitens, dass sich durch eine geeignete Umverteilung von Verfügungsrechten externe Effekte stets internalisieren lassen[617]. Praktisch bedeutsam ist diese Aussage insofern, als sie nachweist, dass die ex-ante Allokation von Verfügungsrechten dann von Bedeutung ist, wenn eine effiziente faktische Allokation über den Markt zu scheitern droht, wenn der Markt also in erheblichem Maß unvollkommen ist. Als Analyseinstrument für eine angemessene Verantwortungszuschreibung ist die Theorie der Verfügungsrechte insofern von Bedeutung, als sie konsequent die Perspektive des methodologischen Individualismus aufnimmt[618]. Gerade komplexe Organisationen können daher bis auf die Funktion ihrer einzelnen Mitglieder analysiert werden[619]. Das Entstehen und der Fortbestand von Unternehmen sind dabei das Ergebnis des individuellen Nutzenstrebens der einzelnen Beteiligten.
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Aus den zentralen Aussagen der Theorie der Verfügungsrechte lassen sich wiederum verschiedene Prinzipien ableiten, die der Staat bei der Aufgabenwahrnehmung zu beachten hat: Als erstes wichtiges Prinzip wird zunächst die Durchsetzbarkeit der Verfügungsrechte betont. Dazu gehören etwa im Prozess eine angemessene Ausgestaltung des Beweisrechts[620], die Verfügbarkeit staatlicher Hilfe[621] oder der Schutz von Verfügungsrechten durch die Androhung von Strafen[622]. Als zweites wesentliches Prinzip für eine effiziente Verteilung von Verfügungsrechten ist sodann die Zurechnung der Handlungsfolgen zum Verfügenden, um so einen Gleichlauf von Verfügung und Haftung herzustellen[623]. Strafrechtstheoretisch lässt sich so allgemein und systemimmanent nochmals die grundlegende Bedeutung der Zurechnungslehre im Wirtschaftsstrafrecht begründen[624]. Wirtschaftsstrafrechtliche Haftung gründet demnach nicht im zurechenbaren Herbeiführen eines Erfolges, sondern ganz elementar in einer von der Rechtsordnung so nicht für zulässig erklärten Nutzung eines Gutes bzw. im Missbrauch von Verfügungsrechten.
d) Gewährleistung größtmöglicher Privatautonomie im Sinne der Lehre von den Transaktionskosten und indirekte Gewährleistung dieser Institution durch spezifische Einzelnormen
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Entscheidendes Mittel zur Gewährleistung des richtigen Einsatzes von Arbeit und Eigentum ist nach den Vorgaben des Grundgesetzes die individuelle Handlungsfreiheit in Form einer freien Entscheidungsfindung[625]. Diese freie Entscheidungsfindung in ihren wesentlichen Grundzügen gewährleistet der Staat durch das Institut der Privatautonomie.
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Der Theorienstrang innerhalb des neuen Institutionalismus, der die nähere Ausgestaltung der Voraussetzungen für die Ausübung des autonom gebildeten Willens zum Gegenstand hat, ist die sog. Transaktionskostentheorie. Sie untersucht die Kosten für die Anbahnung oder den Abschluss von Verträgen und ist damit das wirtschaftswissenschaftliche Pendant der allgemeinen Lehre von der Privatautonomie: Zwar hat jeder das Recht, Verträge abzuschließen; mit jedem Vertragsschluss sind aus ökonomischer Sicht aber Kosten verbunden. Die Transaktionskosten bestehen aus den Kosten der Definition, Übertragung und Messung wirtschaftlicher Ressourcen oder Rechtstitel sowie den Kosten der Ausübung und Durchsetzung dieser Rechte[626]. Bei der Übertragung von Verfügungsrechten bestehen die Transaktionskosten in der Information, Verhandlung und Rechtsdurchsetzung[627]. Im Extremfall können Transaktionskosten so hoch sein, dass sie jeden Tausch verhindern[628].
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Die Art. 2, 12, 9 GG garantieren dem Einzelnen die Grundvoraussetzungen für Markttransaktionen und jenseits der Individualebene ein grundsätzlich freies Wirtschaftssystem[629]. Diese Freiheiten wurden nie absolut, sondern immer in einem auf Ausgleich bedachten System konfligierender Individualinteressen gedacht. So wurden etwa dem Postulat einer absoluten Vertragsfreiheit schon relativ früh Einschränkungen durch die Gewerbefreiheit entgegen gehalten. Konkurrenzklauseln in Verträgen wurde demnach die Anwendung versagt, sofern sie in einem unzulässigen Maß den Wettbewerb beeinträchtigten[630].
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Solche Verbote können dann wirksam durchgesetzt werden, wenn sie mit Transaktionskosten verbunden werden. Die Kosten der regelverletzenden Handlung halten sich in Grenzen, wenn die Sanktion lediglich in einer zivilrechtlichen, durch den Schaden der Handlung in der Höhe begrenzten Ausgleichspflicht nach dem Recht der unerlaubten Handlung besteht. Die Kosten sind höher, wenn eine durch einen Bußgeldtatbestand belegte wichtige Ordnungsregel verletzt wird – z. B. Bußgelder in Millionenhöhe bei Verstößen gegen die Wettbewerbsordnung. Noch höhere Kosten – nämlich Freiheitsstrafen – müssen einkalkuliert werden, wenn die Handlung konkrete, individuelle Rechtsgüter verletzt und etwa die Tatbestände der §§ 240, 263 StGB erfüllt.
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Wird ein Verhalten mit Sanktionen belegt, steigen also die Transaktionskosten der den Regeln widersprechenden Handlung. Zugleich werden die Kosten (bzw. Nachteile) regelkonformen Verhaltens durch die mit der Sanktion verbundene Normbestätigung gesenkt[631]. Das Strafrecht sichert die Privatautonomie zwar nach der hier verfolgten Konzeption nicht durch eine Einzelnorm im Sinne eines Tatbestands zum Schutz speziell dieser Institution. Dies bedeutet aber nicht, dass die Privatautonomie überhaupt nicht durch das Strafrecht geschützt wäre. Das gesamte Bündel an Einzelsanktionen wirkt insgesamt freiheitserweiternd, indem je nach Einzelfall der Markteintritt des Einzelnen erleichtert wird, Informationen verlässlicher werden oder das Maß zulässigen Zwangs verringert wird und damit die gesamten individuellen Belastungen der eigenen Wirtschaftstätigkeit gesenkt werden.
e) Einrichtung und Sicherung von Institutionen zur Koordination von Individualhandeln
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Eigentum und Privatautonomie sind zwar zwei notwendige Bedingungen einer jeden liberalen Wirtschaftsordnung. Hinreichend sind die Institutionen einer Wirtschaftsordnung aber erst beschrieben, wenn dazu noch Institutionen zur Koordination des Individualhandelns hinzukommen. Auch hier zeigt sich – wie bei der strafrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie –, dass diese zwar indirekt, aber doch hinreichend durch die strafrechtliche Gewährleistung individueller Freiheiten geschützt werden[632].
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Das elementare[633] Koordinationsmodell jeder liberal orientierten Wirtschaftsordnung ist das eines freien und idealen Marktes: Dieses Modell basiert auf der Annahme der vollkommenen Konkurrenz, des freien Marktein- und -austritts und einer umfassenden Information der Marktakteure über die bestehenden Marktverhältnisse. Entscheidungsträger sind die im Markt handelnden Akteure. Kein Anbieter oder Nachfrager hat eine über sein Angebot bzw. seine Nachfrage hinausreichende Machtposition. Die Güterverteilung erfolgt allein über die durch das Effizienzprinzip gesicherte dezentrale Entscheidungsfindung. Angebot und Nachfrage wirken auf den Preis als dem adaptiven, sich selbst regulierenden System, das Adam Smith als die „unsichtbare Hand“ der Marktwirtschaft beschrieben hat[634]. Die neue Institutionenökonomik hat dieses Modell weiter ausdifferenziert und stärker an die Realität angepasst[635]. Der Markt wird danach zunehmend als Netzwerk sozialer Beziehungen zwischen Einzelpersonen, die potentielle Käufer und Verkäufer sind und die in vertikalen oder horizontalen Geschäftsbeziehungen stehen können, verstanden[636]. Der Markt ist dann in einer Weise zu organisieren, die für Wettbewerb sorgt und Transaktionen ermöglicht[637].
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