Aus dieser Zielsetzung folgt, dass sich die Ungewissheit(z.B. bzgl. des Bestehens einer Abgabenpflicht) unddas Nachgeben(z.B. Teilzahlung durch den Bürger, Teilerlass durch die Verwaltung) aufein und denselben Punkt beziehenmüssen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so vermag ein Vergleichsvertrag auch solche Leistungspflichten zu begründen, deren Inhalt der Gesetzeslage (teilweise) widersprechen („Privileg gesteigerter Unempfindlichkeit gegenüber Gesetzesverletzungen“[218]).
Hinweis
„Der Vergleichsvertrag […] wirft solange keine […] Probleme auf, wie die vertragliche Übereinkunft nur die wahre Rechtslage deklaratorisch wiedergibt. Schwieriger zu beurteilen sind die Fälle, in denen der Vertrag eine gesetzesinkongruente Rechtslage statuiert. Schlösse man solche konstitutiven Regelungsgehalte aus dem Anwendungsbereich des Vergleichsvertrags aus, so würde er viel von seiner Attraktivität als Mittel der gütlichen Streitbeilegung einbüßen. Ließe man Absprachen contra legem hingegen unbeschränkt zu, ergäben sich erheblich rechtsstaatliche Bedenken. Der (rechtmäßige) Vergleichsvertrag bewegt sich daher auf dem Grat zwischen rechtsstaatlicher Gesetzesbindung und einem der zivilrechtlichen Vertragsautonomie vergleichbaren Handlungsspielraum der Exekutive.“[219]
111
Verpflichtet sich der Vertragspartner der Behörde im subordinationsrechtlichen Vertrag ( Rn. 109) zu einer Gegenleistung, so kann dieser Austauschvertraggem. § 56 VwVfG dann geschlossen werden, wenn die Gegenleistung für einen bestimmten Zweck im Vertrag vereinbart wird und der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dient. Die Gegenleistung muss den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen ( Koppelungsverbot, z.B. Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Baugenehmigung unter Befreiung von der Pflicht zur Schaffung der erforderlichen Einstellplätze, wenn der Bürger 50 000 € für den Bau des nahegelegenen Parkhauses – nicht aber etwa: eines städtischen Seniorenzentrums – zahlt; siehe Übungsfall Nr. 2). Besteht auf die Leistung der Behörde ein Anspruch, so kann nur eine solche Gegenleistung vereinbart werden, die bei Erlass eines Verwaltungsakts Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG sein könnte ( Rn. 77 ff.; z.B. Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Betriebsgenehmigung bei gleichzeitiger Verpflichtung des Fabrikanten zur Einhaltung bestimmter Lärmschutzmaßnahmen). Mit diesen in § 56 VwVfG[220] verankerten Einschränkungen verfolgt der Gesetzgeber einerseits das Ziel, einen „Ausverkauf von Hoheitsrechten“ zu verhindern. Andererseits soll der Bürger vor behördlichen Forderungen nach ungerechtfertigten Gegenleistungen geschützt werden. Die synallagmatische Leistungspflicht der Behörde muss nicht ausdrücklich im Vertragstext erwähnt werden, sondern kann auch stillschweigend vereinbart werden ( hinkender Austauschvertrag, siehe Übungsfall Nr. 2).
JURIQ-Klausurtipp
Die materielle Rechtmäßigkeit eines Austauschvertragsist gem. § 56 Abs. 1 VwVfG wie folgt zu prüfen: Die Gegenleistung des Vertragspartners der Behörde muss
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im Vertrag für einen bestimmten Zweckvereinbart werden; |
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dieser zur Erfüllungihrer öffentlichen Aufgabendienen; |
3. |
den gesamten Umständen nach angemessensein und |
4. |
im sachlichen Zusammenhangmit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen (Koppelungsverbot). |
Sofern auf die Leistung der Behörde ein Anspruch besteht, kann gem. § 56 Abs. 2 VwVfG zudem
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nur eine solche Gegenleistung vereinbart werden, die bei Erlass eines Verwaltungsakts Inhalt einer Nebenbestimmung nach § 36 VwVfGsein kann. |
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Wird ein Verwaltungsvertrag trotz Verstoßes gegen eine Rechtsvorschrift abgeschlossen, so ist bzgl. der Fehlerfolgen – ebenso wie beim Verwaltungsakt (Rn. 251) – zwischen bloßer Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit zu unterscheiden.[221] Liegt einer der in § 59 VwVfG abschließend genannten Nichtigkeitsgründe vor, so ist der Verwaltungsvertrag unwirksam und keine der Parteien ist zur Leistung nach diesem verpflichtet. Ist diese bereits erbracht, so erfolgt die Rückabwicklung über den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch[222], auf den die §§ 812 ff. BGB nur z.T. analog anzuwenden sind. Insbesondere § 817 S. 2 BGB kann insoweit weder unmittelbar noch entsprechend – auch nicht über § 62 S. 2 VwVfG – herangezogen werden. Denn diese Bestimmung widerspricht dem das öffentliche Recht prägenden Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ( Rn. 8 ff.), da sie den durch gesetzeswidrige Vermögensverschiebung erreichten Zustand festschreibt. Aus diesem Grund hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zudem auch § 818 Abs. 3, 4 und § 819 Abs. 1 BGB für nicht anwendbar auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch erklärt; Entsprechendes gilt ferner im Hinblick auf § 814 BGB, auch in Bezug auf die Leistung des Bürgers an die Verwaltung.[223] Ein aufgrund eines nichtigen Verwaltungsvertrags erlassener Verwaltungsaktist rechtswidrig.
Beispiel
Sofern sich die Nebenabrede in dem in Rn. 98gebildeten Beispielsfall gem. § 59 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG als nichtig erweisen sollte, stünde A gegen L ein Erstattungsanspruch i.H.v. 7200 € zu, weil A diesen Betrag dann ohne Rechtsgrund (causa) an L geleistet hat. Dieser Erstattungsanspruch teilt als gleichsam umgekehrter Leistungsanspruch (Kehrseite) dessen Rechtsnatur. Da der in der Nebenabrede geregelte Leistungsanspruch von L gegenüber A auf Zahlung von monatlich 150 € als öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.v. § 54 VwVfG dem öffentlichen Recht angehört, ist demnach also auch der auf Erstattung eben dieser Zahlungen gerichtete Anspruch des A gegen L öffentlich-rechtlicher Natur und daher vorbehaltlich des Eingreifens einer aufdrängenden Sonderzuweisung wie derjenigen des § 126 Abs. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 1 BeamtStG gemäß der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vor dem Verwaltungsgericht geltend zu machen.
Hinweis
Sollte eine Rückabwicklung der von der Behörde erbrachten Leistung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich geworden sein, so steht der Grundsatz von Treu und Glauben(§ 242 BGB analog) dem auf die Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags gestützten Erstattungsanspruch des Bürgers grundsätzlich nicht entgegen. „Müsste der […] auf eine Geldleistung gerichtete Erstattungsanspruch des Bürgers [nämlich] bereits daran scheitern, dass die Behörde […] die ihr obliegende Leistung unwiederbringlich und unwiderrufbar erbracht hat, würde die gesetzlich angeordnete Sanktion der Nichtigkeit des Vertrages in einer Vielzahl von Fällen rechtlich wirkungslos bleiben. Der Grundsatz von Treu und Glauben erhielte damit eine rechtliche Tragweite, die mit dem Regelungsanspruch des § 59 […] VwVfG nicht vereinbar wäre […]. Es müssen vielmehr besondere, in der Person oder im Verhalten des Erstattung begehrenden Bürgers liegende Umstände hinzutreten, die das Rückforderungsbegehren als treuwidrig erscheinen lassen.“[224]
113
Unterfällt der Rechtsverstoß dagegen keiner der in § 59 VwVfG erwähnten Fälle, so ist der Verwaltungsvertrag zwar weiterhin rechtswidrig, abergleichwohl wirksam– und bleibt dies auch. Insoweit unterscheiden sich die Fehlerfolgen des schlicht rechtswidrigen Verwaltungsakts einerseits und des schlicht rechtswidrigen Verwaltungsvertrags andererseits dramatisch. Während Ersterer aufgrund seiner (schlichten) Rechtswidrigkeit aufhebbar ist (Rn. 251), ist Letzterer trotz seiner (schlichten) Rechtswidrigkeit grundsätzlich dauerhaft wirksam. Er bildet den Rechtsgrund (causa) für die Verpflichtung zur Erbringung der jeweiligen Leistung, welche trotz ihrer Gesetzesinkongruenz rechtmäßig ist (vgl. Rn. 104). Verpflichtet sich die Behörde vertraglich etwa zum Erlass eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und ist der zugrundeliegende Verwaltungsvertrag mangels Einschlägigkeit eines Nichtigkeitsgrundes ( Rn. 112) nicht nichtig, d.h. wirksam, so muss die Behörde den rechtswidrigen Verwaltungsakt in Erfüllung des (schlicht) rechtswidrigen, aber dennoch gültigen Verwaltungsvertrags erlassen. In Anbetracht der in § 59 VwVfG getroffenen Regelung sowie des dem Gesetzgeber im Rahmen von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zustehenden Spielraums, wie er den gebotenen effektiven Rechtsschutz gewährleistet, wird dieses strikte Wirksamkeitsmodell überwiegend[225] für verfassungskonform gehalten. Bedeutung hat die schlichte Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsvertrags daher nur für die Geltendmachung von Sekundäransprüchen (auf Schadensersatz), nicht aber im Hinblick auf die hiervon unberührt bleibende Primärleistungspflicht (Vertragserfüllung).
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