Nein. Als Rechtsgrundlage für das Herausgabeverlangen kommt allein der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Zwar hat eine Vermögensverschiebung durch Leistung von P im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses stattgefunden. Für diese Vermögensverschiebung besteht aber in Form des – wirksamen – öffentlich-rechtlichen Durchführungsvertrags i.S.v. § 54 S. 1 VwVfG NRW ein Rechtsgrund. Die insoweit streitige Frage lautet dahin, ob tatsächlich noch eine zu besichernde Forderung von G gegenüber P besteht oder ob der Sicherungszweck mittlerweile entfallen und deshalb die Bürgschaft herauszugeben ist. Für die Annahme, die Parteien hätten die Kostenerstattungspflicht von P auf einen Betrag von 400 000 € begrenzen wollen, so dass G von P nicht die Zahlung der vollen tatsächlichen Kosten i.H.v. 600 000 € verlangen kann, finden sich in dem Durchführungsvertrag keine Anhaltspunkte. Insbesondere kommt eine Auslegung (§§ 133, 157 BGB analog) von dessen § 3 Abs. 1 lit. c) S. 2 dahingehend, dass mit ihm eine Beschränkung des Umfangs der nach § 3 Abs. 1 lit. c) S. 1 des Vertrags zu erstattenden Aufwendungen auf rd. 400 000 € erreicht werden sollte, nicht in Betracht. Schon die Einleitung von § 3 Abs. 1 lit. c) S. 2 des Vertrags („vorbehaltlich der endgültigen Abrechnung“) verdeutlicht, dass der von P endgültig zu erstattende Betrag offen bleiben und erst durch eine spätere Abrechnung festgelegt werden sollte. Auch der weitere Inhalt der Regelung von § 3 Abs. 1 lit. c) S. 2 des Vertrags, wonach „die Baukosten mit rd. 400 000 € angegeben“ werden, zwingt nicht etwa zu dem Schluss, dass mit diesem Betrag eine Obergrenze der Kostenerstattungspflicht festgelegt werden sollte. Die genannten Baukosten sind nicht etwa vorläufig „veranschlagt“ oder „vereinbart“, sondern nur „angegeben“ worden. Daraus folgt, dass der genannte Betrag nur Grundlage für sonstige Berechnungen sein soll. So mag die Angabe der Baukosten mit rd. 400 000 € vorliegend den Sinn gehabt haben, den Vertragsparteien zu verdeutlichen, welcher Anteil der Gesamtbürgschaft von 700 000 € (vgl. § 12 des Vertrags) auf die in § 3 Abs. 1 lit. c) S. 1 des Vertrags geregelte Kostenerstattungsverpflichtung von P entfallen sollte. Ein dem widersprechendes Verständnis des Vertragsinhalts durch einen Bediensteten von G – wie es etwa in dem Aktenvermerk zum Ausdruck gekommen sein könnte – ist für die Vertragsauslegung irrelevant. Wenn – wie hier gem. § 57 VwVfG NRW – Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages vorgeschrieben ist, muss sich aus dem Inhalt der Vertragsurkunde selbst ein zureichender Anhaltspunkt für die Auslegung ergeben. Der Vertragsinhalt darf nicht ausschließlich anhand von Umständen ermittelt werden, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen. Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie für die Auslegung von privatrechtlichen Willenserklärungen, die der Schriftform gemäß § 126 BGB bedürfen. Etwaige Nebenabreden, die nicht zum Inhalt des Durchführungsvertrags gemacht worden sind, sind daher irrelevant. Bei formbedürftigen Erklärungen ist nur der Wille beachtlich, der unter Wahrung der vorgeschriebenen Form erklärt worden ist. Formunwirksame Nebenabreden können mithin nicht im Wege der Auslegung zum Inhalt der Erklärung gemacht werde. Hätte P die Regelung einer verbindlichen Obergrenze für ihre Kostenerstattungsverpflichtung gewollt, so wäre es vielmehr an ihr gewesen, eine entsprechend klare und eindeutige Regelung in den Vertrag aufzunehmen.
5. Materielle Rechtmäßigkeit
107
Über die Wahrung der formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen ( Rn. 103 ff.) hinaus muss der Verwaltungsvertrag ebenfalls seinem Inhaltnach mit der Rechtsordnung in Einklang stehen.[210] Die im Zivilrecht bestehende Vertragsfreiheit gibt es im öffentlichen Recht nicht. Dass der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes ( Rn. 18 ff.) auch insoweit gilt, ergibt sich einfachgesetzlich wiederum aus § 54 S. 1 VwVfG a.E., der allgemein von „entgegenstehenden Rechtsvorschriften“ spricht und sich damit nicht nur auf die Handlungsform „Verwaltungsvertrag“ bezieht (vgl. Rn. 102).
108
I.S.v. § 54 S. 1 VwVfG a.E. dem Vertragsinhalt „ entgegenstehende Rechtsvorschriften“ sind zum einen im Hinblick auf bestimmte Arten von Verwaltungsverträgen in den §§ 55 und 56 VwVfG enthalten ( Rn. 109 f.). Zum anderen können sich auch aus dem jeweils einschlägigen Fachrecht, aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (v.a. Ermessen, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) sowie den Grundrechten und dem Europarecht Einschränkungen im Hinblick auf den zulässigen Inhalt des Verwaltungsvertrags ergeben. Ob die derart begrenzte Gestaltungsfreiheit der Verwaltung dadurch erweitert werden kann, dass der Bürger im Vertrag behördlichen Eingriffen in seine subjektiv-öffentlichen Rechte zustimmt, die ansonsten nicht zulässig wären, wird unterschiedlich beurteilt. Nach Maurer /Waldhoff [211] sei ein derartiger Verzicht von (Grund-)Rechten des Bürgers (z.B. aus Art. 13 GG) auch in verwaltungsvertraglicher Form jedenfalls insoweit möglich, als der Bürger befugt ist, über die fragliche Rechtsposition zu disponieren (was dann der Fall ist, wenn diese ausschließlich seinen Interessen zu dienen bestimmt ist) und der freiwillig erklärte Rechtsverzicht im konkreten Fall nicht gegen das Koppelungsverbot des § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG verstößt (so aber z.B. die Verknüpfung der Erteilung eines Baudispenses nach § 31 Abs. 2 BauGB mit der Begleichung von noch ausstehenden Steuerschulden).
109
Spezielle Anforderungen an den Inhalt von bestimmten Arten von Verwaltungsverträgen enthalten die §§ 55 und 56 VwVfG. Gemeinsam ist beiden Vorschriften, dass sie tatbestandlich an das Vorliegen eines Vertrags i.S.v. § 54 S. 2 VwVfG anknüpfen. Gemeint sind damit solche Verwaltungsverträge, die die Behörde mit demjenigen schließt, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde, d.h. zu dem sie in einem Über-/Unterordnungsverhältnis steht (daher auch sog. subordinationsrechtlicher[212] Vertrag; z.B. Vertrag zwischen der Polizei und dem Pflichtigen über die Beseitigung eines ordnungswidrigen Zustands). Erfüllt ist diese Voraussetzung nach h.M.[213] allerdings nicht erst dann, wenn der Behörde bei konkreter Betrachtungsweise eine Verwaltungsaktbefugnis zustünde, d.h. sie die Regelung mit genau demselben Inhalt durch Verwaltungsakt treffen dürfte; vielmehr reicht es aus, wenn bei abstrakter Sichtweise der Gegenstand der vertraglichen Regelung so oder ähnlich auch einer Regelung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Vertragspartner zugänglich wäre (siehe Übungsfall Nr. 2). Demnach gilt § 54 S. 2 VwVfG für alle Verträge zwischen einer Privatperson und einem Träger der öffentlichen Verwaltung auf einem Gebiet, auf dem ein hoheitliches Verhältnis der Über-/Unterordnung besteht (vgl. Rn. 25).
110
Soll mit dem subordinationsrechtlichen Vertrag ( Rn. 109) eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts[214] oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werden, so „kann“ ein solcher Vergleichsvertraggem. § 55 VwVfG geschlossen werden, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält.[215]
Eine Ungewissheit über den Sachverhalti.S.v. § 55 VwVfG liegt vor, wenn ein unverhältnismäßiger Klärungsaufwand zu betreiben wäre und es im Hinblick auf die objektive Bedeutung für die Sache und ihre subjektive Bewertung durch die Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen vertretbar und zweckmäßig ist, auf eine Klärung zu verzichten.[216] Eine Ungewissheit über die Rechtslagei.S.v. § 55 VwVfG ist gegeben, wenn die Anwendbarkeit oder die Auslegung der entscheidungserheblichen Normen zweifelhaft ist, etwa wenn eine eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt oder der Aufwand für die Klärung der Rechtsfrage außer Verhältnis zu ihrer Bedeutung stünde.[217]
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