105
Da auch der Zusammenschluss von Betrieben und Betriebsteilen, der in Form der Eingliederung oder Neugründung (auch als gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen [vgl. § 1 Abs. 2 BetrVG]) erfolgen kann, eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG bedeutet,[29] sofern er nicht nur fiktiv kraft einer Vereinbarung nach § 3 BetrVG erfolgt (vgl. oben Rn. 54), kommen hier ebenfalls die Mitbestimmungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG in Bezug auf den zuständigen Unternehmer zum Tragen. Auf die Rechtsfolgen des § 613a BGB erstrecken sie sich wiederum nicht (vgl. oben Rn. 96 ff.).
106
Beispiel:
In der Praxis kommt dies sowohl im Zusammenhang mit der Etablierung von Spartenorganisationen (vgl. oben Rn. 50 ff.) oder beim Insourcing vor. Letzteres ist z.B. dann denkbar, wenn ein Automobilhersteller den Betrieb eines Zulieferers für Elektronikbausteine erwirbt und diesen Betrieb organisatorisch in seinen – deutlich größeren – Produktionsbetrieb eingliedert. Für die Mitarbeiter des Subunternehmers bestehen dann die oben skizzierten Einflussnahmemöglichkeiten.
4. Shop-in-Shop-Modelle/Leiharbeit
107
Nicht jede Form der Zusammenarbeit ist aber mit einer Betriebsänderung verbunden. Von der Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs (die eine Betriebsänderung wäre) sind z.B. sog. „ Shop in Shop“-Produktionen zu unterscheiden, bei denen einzelne Verarbeitungsschritte – in der Regel aus logistischen Gründen – durch rechtlich und organisatorisch selbstständige Einheiten eines Drittunternehmens unmittelbar beim Hersteller des Endprodukts verrichtet werden.[30] Da insoweit keine Veränderung der Leitungsstrukturen in Bezug auf die jeweilige Organisationseinheit und auch kein Rechtsträgerwechsel erfolgen, scheiden sowohl eine Betriebsänderung[31] als auch ein Betriebsübergang aus.
108
Praxistipp:
Dieselben Grundsätze gelten auch für „Store-in-Store“-Modelle in Einkaufszentren.[32]
109
Dass nicht einmal eine Eingliederung in die fachliche Leitungsstruktur beim Hersteller des Endprodukts erfolgt, unterscheidet derartige Modelle von der Leiharbeit.[33] Der Einsatz von Leiharbeitnehmern ist allerdings für sich genommen ebenfalls keine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG.[34]
5. Betriebsveräußerung mit Personalabbau
110
Da eine Betriebsänderung auch in einem reinen Personalabbau liegen kann (vgl. § 112a BetrVG), der anlässlich eines Rechtsträgerwechsels aufgrund eines Veräußerer-[35] oder Erwerberkonzepts[36] geplant wird, sind auch insoweit Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG denkbar,[37] während für die Arbeitnehmer selbst erneut nur, aber immerhin, die vorstehend skizzierten Einflussnahmemöglichkeiten bestehen (vgl Rn. 99).
111
Die für sich genommen mitbestimmungsfreie Übertragung eines Betriebs auf einen anderen Rechtsträger kann – gerade mit Blick auf die Einflussnahmemöglichkeiten der Arbeitnehmern selbst – allerdings unfreiwillig in eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG münden, wenn eine relevante Zahl an Arbeitnehmern die Angebote zum Arbeitgeberwechsel nicht annimmt oder dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 6 BGB mit der Folge widerspricht, dass im entsprechenden Umfang betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden müssen.[38]
1. Kapitel Unternehmensumstrukturierungen und ihre Erscheinungsformen› C. Arbeitsrechtliche Maßnahmen› IV. Gegenstrategien der Unternehmensseite
IV. Gegenstrategien der Unternehmensseite
112
An Gegenstrategien zur Verhinderung etwaiger Störmaßnahmen des Betriebsrates bzw. der Belegschaft fehlt es nicht unbedingt.
1. Vorübergehender Gemeinschaftsbetrieb
113
So kann der im Zusammenhang mit der geplanten Übertragung von als Betriebsteilen zu qualifizierenden Unternehmensteilen durch Verzögerung betriebsratsseitig bewirkte zeitliche Druck ggf. dadurch von der Transaktion genommen werden, dass sich die beteiligten Rechtsträger entschließen, den in Rede stehenden Betrieb zwar eigentumsrechtlich aufzuteilen und auf den Erwerber den geplanten Betriebsteil zu übertragen, ihn aber bis zum Abschluss der Verhandlungen mit dem Betriebsrat hierüber als gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen (§ 1 Abs. 2 BetrVG) fortzuführen. Da die Veränderung der Eigentumsstruktur die Organisationsstrukturen, die den Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn kennzeichnen, unberührt lässt und ihrerseits nicht als Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG zu qualifizieren ist, ist dem Betriebsrat durch eine derartige Übereinkunft der beteiligten Rechtsträger das zeitliche Druckmittel aus der Hand genommen.
2. Vermeidung von Zustimmungsverweigerungen oder Massenwidersprüchen durch gesellschaftsrechtliche Gestaltungsformen
114
Etwaige Zustimmungsverweigerungen bzw. Massenwidersprüche können, wenn sie erwartbar sind, dazu führen, dass statt eines Asset Deals eine umwandlungsrechtliche Umstrukturierung oder Anwachsung gewählt wird, die mit dem Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers verbunden ist, da in derartigen Fällen weder ein Zustimmungserfordernis (str.)[39] noch ein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB besteht.[40]
115
Praxistipp:
Natürlich können derart „erzwungene“ Übergänge nicht verhindern, dass Arbeitnehmer von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch machen. Sie führen auch nicht notwendig zu Betriebsfrieden und Harmonie, sodass der Einsatz dieser Gestaltungsform mit dem Ziel, eine Übertragung von Arbeitsverhältnissen zu erzwingen, wohl bedacht und geprüft sein sollte. Psychologisch ist es aber häufig einfacher, Arbeitnehmer davon zu überzeugen, sich nach einem ohne ihre aktive Zustimmung erfolgten Arbeitgeberwechsel nun auch nicht aktiv zu trennen,[41] als sie davon zu überzeugen, einen Arbeitgeberwechsel durch aktives Handeln (Zustimmung) erst herbeizuführen. In der betrieblichen Praxis können durch gesellschaftsrechtliche Mittel also Hemmschwellen ggf. leichter überwunden werden. Hinzu kommt, dass sich viele Arbeitgeberwechsel im Nachhinein als weit weniger „schlimm“ herausstellen, als dies in der Belegschaft ggf. zuvor (bisweilen völlig ohne Tatsachengrundlage und lediglich politisch initiiert) vermutet wurde.
3. Erleichterungen in der Insolvenz
116
Kraft Gesetzes bestehen bei Betriebsänderungen und -übergängen in geringem Umfang Erleichterungen, sofern ein insolventes Unternehmen betroffen ist.
117
In der Insolvenz sind Sanierungsinstrumente nicht nur die erleichterte Kündbarkeit von Kollektivvereinbarungen nach § 120 InsO,[42] sondern auch deren Anfechtbarkeit nach §§ 129 ff. InsO.[43]
118
Vor allem die in § 123 InsO normierte Beschränkung des zulässigen Sozialplanvolumens[44] nimmt in der Regel den Druck aus den – dennoch vollumfänglich erforderlichen – Verhandlungen. Erforderlich sind sie in der betrieblichen Praxis dennoch, denn die gesetzgeberischen Erleichterungen in §§ 121 f. InsO für die Durchführung einer Betriebsänderung[45] sind in der Praxis irrelevant, wie schon die geringe Zahl an gerichtlichen Entscheidungen zu diesen Normen deutlich macht.[46]
119
Häufiger als außerhalb insolvenzbedingter Betriebsänderungen genutzt wird in der Insolvenz allerdings die Möglichkeit des Abschlusses eines Interessenausgleichs mit Namensliste (§ 125 InsO), durch welche der Kündigungsschutz der von Entlassung betroffenen Arbeitnehmer erheblich eingeschränkt wird. Ein Interessenausgleich mit Namensliste ist nach § 1 Abs. 5 KSchG zwar auch außerhalb der Insolvenz möglich, kommt dort aber seltener zum Tragen, weil die Motivation für die geplanten Entlassungen dort weniger evident und daher weniger leicht zu vermitteln ist.
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