1. Kapitel Unternehmensumstrukturierungen und ihre Erscheinungsformen› C. Arbeitsrechtliche Maßnahmen› II. Betriebsübergang
II. Betriebsübergang
1. Bloßer Rechtsträgerwechsel
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Ein Betriebsübergangi.S.d. § 613a BGB ist nach zutreffender h.M.[14] keine Betriebsänderung (und zwar auch dann nicht, wenn er sich umwandlungsrechtlich vollzieht[15]). Daran ändert angesichts des klaren Wortlauts von § 111 BetrVG auch Art. 4 Abs. 2c RL 2002/14/EG nichts.[16] Auch eine analoge Anwendung umwandlungsrechtlicher Beteiligungsvorgaben kommt nicht in Betracht.[17] Einflussnahmemöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter bestehen daher nicht in rechtlicher, sondern allein in tatsächlicher Hinsicht (kommunikative Begleitung der vom Arbeitgeber geplanten Übertragung). § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG erfasst auch Betriebsübergänge, sodass eine Information des Wirtschaftsausschusses zu erfolgen hat. Unterschätzt werden darf diese kommunikative (politische) Einflussnahme allerdings unter keinen Umständen.
2. Große Einflussnahmemöglichkeit der Belegschaft
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Im Rahmen von Asset Deals besteht nämlich eine große Einflussnahmemöglichkeit der Arbeitnehmer auf den Umstrukturierungserfolg jedenfalls dann, wenn die Übertragung der Mehrheit der Arbeitsverhältnisse bzw. zumindest einer bestimmten Zahl und/oder Qualität von Arbeitsverhältnissen Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der Transaktion ist.
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Beispiel:
Das kann z.B. der Fall sein, wenn in der Belegschaft ein in bestimmten Arbeitnehmern verkörpertes Spezialwissen vorhanden ist, das notwendige Voraussetzung für die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs durch den Erwerber ist.
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Soll ein Betriebs(teil)übergang i.S.d. § 613a BGB im Wege eines Asset Deals ausgelöst werden, ist bei betriebsmittelarmer Tätigkeit die Zustimmung des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals sogar tatbestandliche Voraussetzung für die Auslösung einer Übertragung gemäß § 613a BGB.[18]
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Aber auch bei betriebsmittelintensiver Tätigkeit kann der Transaktionserfolg ggf. durch – nach der Rechtsprechung des BAG bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs zulässige – Massenwidersprüche i.S.d. § 613a Abs. 6 BGB[19] gefährdet werden, wenn dies Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner verschreckt, zu erheblichen Produktionsausfällen führt oder erhebliche Sozialplankosten bewirkt, die der Veräußerer oder (je nach Risikoverteilung im Kaufvertrag (Asset Purchase Agreement) der Erwerber nicht wirtschaftlich sinnvoll leisten oder finanzieren kann.
1. Kapitel Unternehmensumstrukturierungen und ihre Erscheinungsformen› C. Arbeitsrechtliche Maßnahmen› III. Mischformen (Betriebsänderung anlässlich eines Inhaberwechsels)
III. Mischformen (Betriebsänderung anlässlich eines Inhaberwechsels)
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Kombinierte Einflussnahmemöglichkeiten für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen bestehen, wenn die Umstrukturierung sowohl eine Betriebsänderung als auch einen Übertragungsvorgang i.S. eines Betriebs(teil)übergangs beinhaltet. Denkbar sind unterschiedliche Erscheinungsformen, von denen hier lediglich beispielhaft die folgenden genannt werden:
1. Übertragung eines Betriebsteils und separate Fortführung beim Erwerber (Outsourcing)
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Denkbar ist zunächst, dass ein Betriebsteil aus dem bestehenden Betrieb herausgelöst und auf einen Erwerber übertragen werden soll, der ihn als separaten eigenständigen Betrieb fortführt.
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Beispiel:
In der Praxis geschieht dies z.B. häufig bei Outsourcing-Projekten, in denen Betriebsteile, die sich mit Funktionen oder Produkten beschäftigen, die günstiger eingekauft werden können oder nicht zum Kerngeschäft gehören, auf Dritte übertragen werden. Ebenfalls denkbar ist dies im Zusammenhang mit der Einführung einer Spartenorganisation (vgl. bereits Rn. 50 ff.).
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In diesem Fall (separate Führung beim Erwerber) liegt sowohl eine Betriebsänderung in Form der Betriebsspaltung nach § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG vor[20] als auch ein Betriebsteilübergang i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 324 UmwG).
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Dem Betriebsrat stehen dann die Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG in Bezug auf die geplante Betriebsspaltung und deren Rechtsfolgen zu. Auf den Betriebsteilübergang i.S.d. § 613a BGB beziehen sich seine Beteiligungsrechte aber nicht.[21]
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Beispiel:
So kann der Betriebsrat in der vorliegenden Fallkonstellation insbesondere nicht auf dem Umweg über einen Sozialplan gemäß § 112 BetrVG erzwingen, dass die Rechtsfolgen des Betriebsteilübergangs i.S.d. § 613a BGB beseitigt werden, z.B. ein infolge des Betriebsteilübergangs eingetretener Tarifwechsel. Sein Beteiligungsrecht besteht insoweit lediglich in Bezug auf die Folgen der Betriebsänderung und nicht in Bezug auf die des Betriebsteilübergangs.[22] Die bloße Betriebsspaltung hat aber nicht zum Tarifwechsel geführt, sondern ausschließlich der Rechtsträgerwechsel. Seine Rechtsfolgen sind kein zulässiger Gegenstand eines erzwingbaren Sozialplans. In Betracht kommt allenfalls ein freiwilliger Sozialplan.
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Praxistipp:
Das Beteiligungsrecht steht dem Betriebsrat nur gegenüber dem Unternehmer zu, der die Betriebsänderung plant.[23] Dies gilt auch dann, wenn sich der planende Betriebsveräußerer nach einem Konzept des geplanten Betriebserwerbers richtet.[24] Plant umgekehrt nur der Betriebserwerber eine Betriebsänderung nach dem Erwerb, stehen dem Betriebsrat die Beteiligungsrechte nur ihm gegenüber – und zwar erst nach dem Erwerb – zu.[25]
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Einflussnahmemöglichkeiten der Arbeitnehmer selbst bestehen in derartigen Fällen – wie vorstehend skizziert – vor allem in Form der Ablehnung von Vertragsangeboten bzw. einer (konzertierten) Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB (soweit es besteht, vgl. Rn. 28 ff.).
2. Spaltung in Anlage- und Betriebsgesellschaft
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Eine Betriebsänderung liegt – entgegen einer verbreiteten Assoziation – nicht notwendig im Zusammenhang mit einer Spaltung eines Unternehmens in eine Anlage- und eine Betriebsgesellschaft i.S.d. § 134 UmwG vor. Sie scheidet vielmehr dann aus, wenn die Spaltung des Rechtsträgers nicht mit einer Betriebsspaltung i.S.d. § 111 BetrVG verbunden wird.
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Beispiel:
Dies ist z.B. dann nicht der Fall, wenn die Anlagegesellschaft lediglich das Eigentum am Betriebsvermögen erhält, aber keinen Betriebsteil zurückbehält, weil der arbeitsrechtliche Betrieb im Zusammenhang mit der Spaltung nach § 123 UmwG auf die Betriebsgesellschaft übertragen wird, welche die Betriebsmittel z.B. pachtet.
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Gleiches gilt bei der „Aufspaltung“ eines Unternehmens in Besitz- und Produktionsgesellschaft im Wege der Einzelrechtsnachfolge, sofern sie nicht mit einer Betriebsspaltung kombiniert wird.[26] Der damit möglicherweise verbundenen Gefährdung von Arbeitnehmeransprüchen kann nicht mit den Mitteln des BetrVG begegnet werden.[27] Auch eine analoge Anwendung von § 134 UmwG kommt nicht in Betracht.[28]
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Erst dann, wenn laut Planung des zuständigen Unternehmers auch eine Betriebsspaltung erfolgen soll, greifen ihm gegenüber die Mitbestimmungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG ein.
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Einflussnahmemöglichkeiten der Arbeitnehmer selbst bestehen in derartigen Fällen wiederum – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – vor allem in Form der Ablehnung von Vertragsangeboten bzw. einer (konzertierten) Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB (soweit es besteht, vgl. Rn. 28 ff.).
3. Neugründung/Eingliederung von Betrieb(steil)en beim Erwerber (Insourcing)
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