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II. Zielsetzung: Minimierung gesellschaftsrechtlicher Einflussnahme auf die Umstrukturierung/sonstiger Risiken
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Risiken können sich bei dieser Gestaltung trotz zahlreicher arbeitsrechtlicher Vorteile allerdings aus sonstigen zu beachtenden rechtlichen Gesichtspunkten ergeben.
1. Beachtung steuerlicher, kartellrechtlicher und regulatorischer Vorgaben
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Dies sind klassischerweise in erster Linie steuerrechtliche Folgen entsprechender Maßnahmen (hier vor allem negative Auswirkungen auf Verlustvorträge), die unbedingt von vorneherein als ökonomische Grenzen beachtet und in die Planung einbezogen werden müssen.[88] Denn eine arbeitsrechtliche Maßnahme kann sich steuerrechtlich als „Geldvernichtung“[89] darstellen, wenn sie sich als steuerschädliches Modell erweist. Gleiches gilt, wenn der Maßnahme kartellrechtliche oder regulatorische Vorgaben entgegenstehen.[90]
2. Vermeidung gesellschaftsrechtlicher Einflussnahme
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Einer arbeitsrechtlich neutralen oder zumindest weniger aufwändigen Lösung durch die Wahl gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsformen kann zudem vor allem in Unternehmen mit einem größeren, nicht homogenen Gesellschafterkreis eine Grenze gesetzt sein.[91]
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Beispiel:
Denkbar sind insbesondere (aus sachfremden Motiven) nicht verkaufsbereite Minderheitsgesellschafter, deren gesetzliche oder satzungsrechtliche Sperrminorität die Maßnahme verhindert.[92]
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Hier muss umgekehrt überlegt werden, ob arbeitsrechtlich aufwendigere, aber gesellschaftsrechtlich nicht zu verhindernde Maßnahmen vorzugswürdig sind. Die Nutzung derartiger, ggf. durch konzernrechtliche Weisungsverhältnisse gestützter Maßnahmen in der Form von Asset Deals[93] setzen selbstverständlich eine Vertrautheit mit den entsprechenden konzern- und gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen voraus (um sicherzustellen, dass mit Blick auf erforderliche Gesellschafterbeschlüsse keine Sperrminoritäten, Stimmbindungsvereinbarungen o.Ä. eingreifen).[94]
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Praxistipp:
Als Gestaltungsoption ohne Eigentumsübertragung kann sich in diesem Kontext z.B. der Abschluss von Betriebsführungsverträgen anbieten. Differenziert werden muss dabei zwischen echten und unechten Betriebsführungsverträgen.[95] Zum bloßen Austausch von Führungspositionen kann es im Rahmen des Abschlusses eines echten Betriebsführungsvertrags kommen, der arbeitsrechtlich insofern neutral ist, als mit ihm kein Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB verbunden ist. Ein solcher tritt – ähnlich wie bei einer Betriebsverpachtung – allerdings beim Abschluss eines sog. unechten Betriebsführungsvertrags ein, da der Betriebsführer in diesem Fall die betriebliche Leitungsmacht im eigenen Namen ausübt und somit Betriebsinhaber wird.[96] Über den Abschluss eines Betriebsführungsvertrags gleich welcher Art, ist der Wirtschaftsausschuss gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG zu unterrichten. Mitbestimmungsrechte im Sinne der §§ 111 ff. BetrVG werden für den Betriebsrat durch den Abschluss entsprechender Verträge allerdings nicht ausgelöst, soweit mit dem unechten Betriebsführungsvertrag über den Betriebsübergang hinaus nicht auch eine Betriebsspaltung verbunden ist, weil der vom Betriebsführer im eigenen Namen zu führende Betrieb lediglich einen Betriebsteil des Ursprungsbetriebs ist.[97]
3. Hoher gesellschaftsrechtlicher Aufwand für „geringen“ angestrebten arbeitsrechtlichen Effekt
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Neben „widerspenstigen“ Gesellschaftern kann auch die relativ geringe Größe der Maßnahme für einen Asset Deal streiten. Dies gilt insbesondere bei kleineren Ausgliederungsvorhaben.[98]
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Beispiel:
In der Praxis kommt dies z.B. im Zusammenhang mit Outsourcing-Maßnahmen, die durch eine Konzentration auf das Kerngeschäft oder steuerliche Vorteile motiviert sind, vor.
4. Negative Auswirkungen auf wirtschaftliche Belastung durch Pensionsverbindlichkeiten bei der Wahl umwandlungsrechtlicher Lösungen
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Als außerordentlich belastend erweisen sich – vor allem im aktuellen Niedrigzinsumfeld – für viele Unternehmen zudem Versorgungsverbindlichkeiten, deren belastende Wirkung – vor allem mit Blick auf die Anpassungsverpflichtungen nach § 16 BetrAVG – falsch eingeschätzt wurde oder die durch nachträgliche Entwicklungen in der Rechtsprechung (die dann gesetzgeberischer Korrektur bedürfen, vgl. § 16 BetrAVG n.F.) belastender wirken, als ursprünglich angenommen wurde. Das Erreichen des Ziels, diese Belastung durch eine Umstrukturierung zu verringern oder jedenfalls eine Ausweitung zu verhindern, wird maßgeblich dadurch beeinflusst, ob als Gestaltungsform eine umwandlungsrechtliche Lösung oder eine Einzelrechtsnachfolge (Asset Deal) gewählt wird:[99]
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In seinem Urteil vom 11.3.2008[100] hat das BAG für die umwandlungsrechtliche Schaffung einer Rentnergesellschaft angenommen, dass den versorgungspflichtigen Arbeitgeber grundsätzlich die arbeitsvertragliche Nebenpflicht treffe, eine Gesellschaft, auf die Versorgungsverbindlichkeiten ausgegliedert würden, so auszustatten, dass sie nicht nur die laufenden Versorgungsleistungen zahlen könne, sondern auch zu den gesetzlich vorgesehenen Anpassungen in der Lage sei. Vermittelt über die vertragliche Nebenpflicht ist die Entlastungswirkung mit Blick auf Rentenanpassungen (§ 16 BetrAVG) also gering. |
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In seinem Urteil vom 17.6.2014[101] hat der 3. Senat des BAG aber klargestellt, dass seine Feststellungen im Urteil vom 11.3.2008 zur Betriebsrentenanpassung in einer Rentnergesellschaft nach dem Wirksamwerden einer Ausgliederung gemäß § 123 UmwG nicht verallgemeinerungsfähig sind. Die vom BAG im Urteil vom 11.3.2008 entwickelten Grundsätze gelten nur für die besondere Situation einer durch Spaltung zur Neugründung gemäß § 123 UmwG geschaffenen Rentnergesellschaft. Damit besteht ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum, der nicht nur in Krisensituationen genutzt, sondern allgemein bei der Gestaltung von Umstrukturierungslösungen bedacht werden muss.[102] |
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Beispiel:
Wenn der frühere Arbeitgeber und – spätere – Versorgungsschuldner sein operatives Geschäft z.B. im Wege des Betriebsübergangs an einen Betriebserwerber veräußert, greift die vertragliche Nebenpflicht zur Ausstattung der Rentnergesellschaft nach der Bewertung des BAG nicht ein.[103] Denn die Versorgungsverpflichtungen bleiben bei dem ursprünglichen Versorgungsschuldner. § 613a BGB erfasst schließlich nur bestehende Arbeitsverhältnisse.[104]
[1]
Zu den rechtlichen und ökonomischen Implikationen vgl. im Überblick Beck/Klar DB 2007, 2819 ff.
[2]
Vgl. dazu unter Kap. 2 Rn. 327 ff.
[3]
Bauer/Haußmann/Krieger Teil 1 A Rn. 8; Arens/Düwell/Wichert/ Düwell § 5 Rn. 13.
[4]
HWK/ Willemsen/Lembke BetrVG § 106 Rn. 83; WHSS/ Willemsen Rn. B 22.
[5]
Zu den Risiken aus der Gesellschaftersphäre, zu denen auch Mitarbeiter als Gesellschafter zählen können, vgl. unter Rn. 64 ff.
[6]
WHSS/ Willemsen Rn. B 7a, H 161; Arens/Düwell/Wichert/ Düwell § 5 Rn. 28 (für Organe).
[7]
Vgl. hierzu allgemein z.B. WHSS/ Hohenstatt/Seibt Rn. K 20 ff.; spezifisch zu Change-of-Control-Klauseln: WHSS/ Hohenstatt/Seibt Rn. K 13 ff.
[8]
Vgl. BAG NZA 1992, 70; BAG NZA 1990, 357; BAG NZA 1986, 783.
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