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Unerheblich ist, ob der Täter bei der Gewaltanwendung noch weitere Zwecke verfolgt,[374] also ein „ Motivbündel“ vorliegt. Allerdings wird zu Recht gefordert, dass dem Wegnahmemotiv neben anderen Motiven noch eine eigenständige Bedeutung zukommen muss.[375] Problematisch sind diejenigen Fälle, bei denen es zu einem „ Motivwechsel“ kommt, der Täter also zunächst unter anderer Motivation (beispielsweise sexueller) eine Gewaltanwendung vornimmt und anschließend eine Wegnahmehandlung (mit dann erst gefasster Zueignungsabsicht) durchführt. Folgt die Wegnahme der Anwendung von Gewalt zu anderen Zwecken nur zeitlich nach, ohne dass eine finale Verknüpfung besteht, so scheidet ein Schuldspruch wegen Raubes aus.[376] Es genügt jedoch für das Vorliegen des Finalzusammenhangs, wenn die zunächst zu anderen (z.B. sexuellen) Zwecken begonnene Gewaltanwendung beim Fassen des Wegnahmevorsatzes noch fortgesetzt wird.[377] Ob ein Raub zu bejahen ist, ist demnach danach zu bestimmen, ob die Nötigungshandlung nur ausgenutzt wurde oder fortgesetzt wird, also bei Wegnahme noch andauert.[378]
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Nach ständiger Rspr. fehlt es an der finalen Verknüpfung zwischen Raubmittelanwendung und Wegnahme, wenn der Täter die Wirkung einer ohne Wegnahmevorsatz erfolgten (aber nicht mehr fortgesetzten) Nötigungshandlung nur ausnutzt und aufgrund eines neuen Entschlusses Sachen wegnimmt.[379] Die Rspr. ist aber hier nicht immer einheitlich:[380] In den Fällen der Fortwirkung einer körperlichen Misshandlung als körperliche Wehrlosigkeit, in denen der Täter z.B. nach dem Niederschlagen oder der Verletzung des Opfers aufgrund eines Motivwechsels erst den Wegnahmeentschluss fasst, verneint der BGH in einer Vielzahl von Fällen das Vorliegen eines Finalzusammenhangs.[381] Dies ist zutreffend, da der Täter zum Zeitpunkt, in dem er die Gewalt ausübte, keinen Wegnahmeentschluss hatte und zum Zeitpunkt, in dem er die Sache wegnahm, die Gewalt schon abgeschlossen war und der Täter lediglich den durch sie geschaffenen Zustand körperlicher Wehrlosigkeit ausnutzte.[382]
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Dagegen hat der BGH für die Fälle einer Fortwirkung einer gewaltsam herbeigeführten Freiheitsberaubung(etwa einer Fesselung oder Einsperrung) oder sonstiger Zwangslagen die Fortdauer eines vom Täter geschaffenen rechtswidrigen Zustandes körperlicher Zwangswirkung als andauernde Gewalthandlung angesehen.[383] Nur wegen des Dauerdeliktscharakters etwa der Freiheitsberaubung auf ein aktives Tun abzustellen, ist jedoch verfehlt, da nicht die Gewalthandlung andauert, sondern der Gewalterfolg.[384] Insofern kommt allenfalls eine Gewalt durch Unterlassen in Betracht,[385] die nach hier vertretener Ansicht grundsätzlich anzuerkennen ist, sofern eine Möglichkeit zur Beseitigung der Zwangslage besteht ( Rn. 58 ff.).
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Die Rspr. nimmt außerdem einen Raub in dem Fall an, in dem eine bereits vollendete (ohne Wegnahmevorsatz begangene) Gewalteinwirkung als aktuelle konkludente Drohung mit neuer Gewalteinwirkungzu verstehen ist.[386] Dafür muss der Täter durch sein Verhalten eine Gefahr für Leib und Leben durch die Gewaltausübung deutlich in Aussicht stellen.[387] Ein Raub ist jedoch abzulehnen, wenn der Täter lediglich nach einer Nötigungshandlung die Angst und Einschüchterung des Opfers ausnutzt, ohne diese durch eine ausdrückliche oder konkludente Drohung zu aktualisieren, um eine Wegnahme vorzunehmen.[388] Deshalb ist von einem Fortwirken der Gewalt als Drohung nur dann auszugehen, wenn einer neuen mit Wegnahmevorsatz ausgeführten Handlung des Täters ein Erklärungswert zukommt, der sich auf eine frühere Gewaltanwendung bezieht und deren Wiederholung ggf. konkludent androht.[389] Ansonsten wird die Konstruktion einer fortdauernden konkludenten Drohung zum bloßen Ausnutzen einer durch ein Raubmittel geschaffenen Zwangslage verwischt.[390]
e) Vorsatzerweiterung/-wechsel
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Der Finalzusammenhang ist auch problematisch, wenn der Täter die Gewalt zunächst eingesetzt hat, um einen bestimmten Gegenstand wegzunehmen oder auch das Opfer zu erpressen, dann aber entweder auch oder nur einen anderen Gegenstand in Zueignungsabsicht wegnimmt. Sofern der Täter nach dem qualifizierten Nötigungsmittel bei Aufrechterhaltung des generellen Wegnahmewillens mehr als ursprünglich geplant wegnimmt, liegt nach h.M. der erforderliche Finalzusammenhang (und ein einheitlicher Raub) vor.[391] Dagegen ist § 249 StGB nicht erfüllt, wenn der Täter bei Raubmittelanwendung (nur) einen bestimmten Gegenstand wegnehmen oder das Opfer erpressen will und danach (ohne dass die bereits ausgeübte Gewalt als aktuelle Drohung fortwirkt) einen anderen Gegenstand, auf den sich der ursprüngliche Wegnahmewille nicht bezog, in Zueignungsabsicht wegnimmt ( Fälle des Objektwechsels).[392]
f) Systematische Verortung im Tatbestand
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Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Verortung des raubspezifischen Zusammenhangsim Tatbestand. Wer einen Kausalzusammenhang fordert, wird die raubspezifische Verknüpfung im objektiven Tatbestand prüfen. Auch das Erfordernis eines zeitlich-räumlichen Zusammenhangs spricht für eine Verortung im objektiven Tatbestand. Selbst wenn man – wie hier – einen Finalzusammenhang sowie einen subjektiven Zurechnungszusammenhang verlangt, ist die raubspezifische Verknüpfung bereits im objektiven Tatbestand zu prüfen.[393] Es handelt sich um die Ausfüllung eines objektiven Tatbestandsmerkmals („mit“, „unter“) anhand subjektiver Kriterien. Dies ist der Strafrechtsdogmatik nicht fremd, man denke z.B. an das Erfordernis der Manifestation eines Zueignungswillens bei dem Tatbestandsmerkmal Zueignung in § 246 StGB oder dem Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit in feindlicher Willensrichtung bei dem Heimtückemerkmal in § 211 StGB.
4. Subjektiver Tatbestand
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Der subjektive Tatbestanderfordert zum einen (zumindest bedingten) Vorsatz bzgl. der qualifizierten Nötigung und der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, zum anderen die Absicht rechtswidriger Zueignung. Die Komponenten des raubspezifischen Zusammenhangs, nämlich Finalzusammenhang und (vorgestellter) Zurechnungszusammenhang, sind nach hier vertretener Ansicht kein Merkmal des subjektiven Tatbestandes, sondern im objektiven Tatbestand zu prüfen ( Rn. 87) und spielen deshalb im subjektiven Tatbestand praktisch keine Rolle mehr. Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignungist ebenfalls ein objektives Tatbestandsmerkmal,[394] auf das sich der Vorsatz beziehen muss, wegen des engen Zusammenhangs mit der Zueignungsabsicht wird es aber im subjektiven Tatbestand erörtert.
a) Vorsatz hinsichtlich der Raubmittelanwendung
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Der Täter muss vorsätzlichRaubmittel anwenden, d.h. zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, dass er Gewalt gegen eine Person ausübt oder mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht. Bei der Drohungsalternative muss der Täter wissen oder zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, dass sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben wahrgenommen wird. In jedem Fall bedarf es dazu der Feststellung, dass der Täter weiß oder zumindest billigend in Kauf nimmt, die Drohung sei geeignet, bei dem Bedrohten Furcht vor ihrer Verwirklichung hervorzurufen; hierfür reicht es allerdings aus, wenn das Opfer die Ausführung der Drohung nur für möglich halten soll.[395]
b) Vorsatz hinsichtlich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
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