182
Zwar folgt aus der Geringwertigkeit der gestohlenen Sache nicht zwingend eine Unverhältnismäßigkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe,[552] jedoch ist es unzulässig eine über die Mindeststrafe von einem Monat hinausgehende Strafe zu verhängen,[553] wenn der Wert der Beute unter einem Drittel der Geringwertigkeitsgrenze liegt. Auch wird keine Regelvermutung hinsichtlich der charakterlichen Unzuverlässigkeit i.S.v. § 69 Abs. 2 StGB allein dadurch begründet, dass beim Diebstahl ein KfZ benutzt wurde.[554]
183
Im Ergebnis ist also zu sagen, dass die Praxis unter weitgehendem Verzicht auf vollzogene Freiheitsstrafen und weitgehender Vermeidung gerichtlicher Verfahren, entweder mittels Einstellung von Verfahrengegen Unbekannt gemäß § 170 Abs. 2 StPO oder wegen Geringfügigkeit gemäß § 153 StPO den Diebstahl ähnlich wie eine Ordnungswidrigkeit behandelt.[555] Im Falle einer Opportunitätseinstellung nach den §§ 153 ff. StPO besteht auch keine Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens nach § 172 StPO, denn dieses ist nur bei einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO möglich, weshalb auch der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 S. 3 StPO unzulässig ist.
184
Die Regelbeispiele sind nach Auffassung der Rechtsprechung grundsätzlich nicht Teil des Tenors (auch wenn der BGH keinen Rechtsverstoß in der Aufnahme sehen würde[556]),[557] während in der Literatur die Aufnahme aus Klarstellungsgründen verlangt wird.[558] Ein rechtlicher Hinweis nach § 265 StPO ist nur dann erforderlich, wenn sich erst im Laufe der Hauptverhandlung herausstellt, dass ein Regelbeispiel erfüllt sein könnte und der Angeklagte bzw. sein Verteidiger hierauf nicht vorbereitet waren.[559] Ebenso wird von einer Hinweispflicht ausgegangen, wenn sich nicht ohne Weiteres aus dem äußeren Sachverhalt ergibt, dass ein Regelbeispiel erfüllt ist. Umgekehrt besteht aber dann keine Hinweispflicht, wenn das Gericht einen unbenannten besonders schweren Fall annimmt.[560]
185
Der Gesetzgeber sieht insbesondere beim Bandendiebstahl eine Nähe zur organisierten Kriminalität. Um gegen diese vorzugehen sind für § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB besonders weitgehende Ermittlungsmöglichkeiten gegeben wie z.B. die Rasterfahndung nach § 98a Abs. 1 Nr. 6 StPO, die Telefonüberwachung nach § 100a Abs. 2 Nr. 1j StPO, der sog. „große Lauschangriff“ nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 100b Abs. 2 Nr. 1h StPO und der Einsatz von verdeckten Ermittlern nach § 110a Abs. 1 Nr. 4 StPO.
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens› § 29 Diebstahl und Unterschlagung› Ausgewählte Literatur
Brazel, Caroline |
Der Diebstahl nach section 1 (1) des Theft Act 1968 im Rechtsvergleich mit § 242 Abs. 1 StGB, 2012. |
Chung, Hao-Feng |
„Der bestohlene Dieb“ – Diskussion über die Schutzgüter beim Diebstahl, Diss. Regensburg. |
Hauck, Pierre |
Drittzueignung und Beteiligung, 2007. |
Högel, Bernadette |
Die Abgrenzung zwischen Trickdiebstahl und Betrug, 2015. |
Kindhäuser, Urs |
Gegenstand und Kriterien der Zueignung beim Diebstahl, FS Geerds, 1995, S. 655 ff. |
Kottnik, Sonja |
Der Diebstahl „verbotener“ Sachen, 1996. |
Nugel, Michael |
Ladendiebstahl und Bagatellprinzip, 2004. |
Prinz, Felix |
Diebstahl – §§ 242 ff. StGB: Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870, 2002. |
Schmitz, Roland/Goeckenjan, Ingke/Ischebeck, Lars |
Das (zivilrechtliche) Mysterium des Flaschenpfandes – strafrechtlich betrachtet, Jura 2006, 821 ff. |
Sendzik , Björn |
Der „Datendiebstahl“, 2014. |
Timmermann, Petra |
Diebstahl und Betrug im Selbstbedienungsladen, 2014. |
[1]
Ähnliches gilt zwar z.B. auch für den Sach-, aber nicht notwendig für den Forderungsbetrug.
[2]
Hier auch in Abgrenzung zu der großen Vielzahl von Delikten, welche zumindest unmittelbar gar nicht dem Täter nutzen, sondern das Opfer schädigen, wie etwa Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte. Wenn diese Gewaltakte teilweise dennoch auch eingesetzt werden, um an Beute zu kommen, bestätigt das nur die besondere Bedeutung des Typus „Diebstahl“, da etwa beim Raub die Gewaltanwendung gerade (sogar tatbestandlich) einen Diebstahl ermöglichen soll.
[3]
Vgl. auch BeckOK- Wittig , § 242 vor Rn. 1: „Diebstahl (…) ist das bedeutendste Eigentumsdelikt.“.
[4]
BGHSt 10, 400; NK- Kindhäuser, Vor § 242 Rn. 1 f.; Sch/Sch- Bosch, § 242 Rn. 1/2 m.w.N.
[5]
BGHSt 10, 400, 401; 29, 319, 323; Hohmann , NStZ 2000, 258; a.A. NK- Kindhäuser, Vor § 242 Rn. 3; Sch/Sch- Bosch, § 242 Rn. 1/2; Fischer, § 242 Rn. 2.
[6]
Vgl. hierzu → BT Bd. 5: Elisa Hoven , Der Schutz des Vermögens im deutschen Strafrecht, § 28 Rn. 30 f., sowie in diesem Kapitel Rn. 55.
[7]
AnwK- Kretschmer, § 242 Rn. 1
[8]
RGSt 53, 180, 181; MK- Schmitz, § 242 Rn. 15.
[9]
BGHSt 20, 235, 237.
[10]
Vgl. BGH NStZ 1986, 218; OLG Koblenz StV 2008, 474; NK- Kindhäuser , § 249 Rn. 14.
[11]
RGSt 29, 111; 32, 165.
[12]
Vgl. LK- Schünemann , § 289 Rn. 1; MK- Maier, § 289 Rn. 1.
[13]
BGBl. I, S. 164 ff.
[14]
RGBl. S. 127.
[15]
Zur Reformdiskussion beim Diebstahl seitdem vgl. Prinz Diebstahl – §§ 242 ff.
[16]
Freilich gilt: Bei Sachverhaltsunsicherheit über einen etwaigen Gewahrsamsbruch ist unter Anwendung des Zweifelssatzes eine Verurteilung wegen § 246 StGB vorzunehmen, weil der Täter diesen in jeder denkbaren Sachverhaltsalternative jedenfalls (mit)verwirklicht hat, vgl. BGH NStZ-RR 2019, 310.
[17]
Vgl. etwa Murmann , NStZ 1999, 14 ff.; Kudlich , JuS 2001, 767.
[18]
PKS Jahrbuch 2018, Bd. I, S. 12, 19.
[19]
So betrug der Anteil im Jahr 1993 noch 63 %, vgl. PKS Jahrbuch 2018, Bd. I, S. 19.
[20]
So etwa einerseits verbesserte technische Sicherungen gegen die Wegnahme, andererseits das Internet als verbreitetes Instrument der Betrugsbegehung.
[21]
S. hierzu näher unten Rn. 11sowie LK- Vogel, § 242 Rn. 4 ff.
[22]
PKS Jahrbuch 2018, Bd. I, S. 19 – verglichen etwa mit den im Bereich einer halben Promille liegenden Tötungsdelikte, vgl. PKS Jahrbuch 2018, Bd. I, S. 12.
[23]
PKS Jahrbuch 2018, Bd. I, S. 12, 17.
[24]
PKS Jahrbuch 2018, Bd. I, S. 46.
[25]
PKS Jahrbuch 2018, Bd. I, S. 12.
[26]
PKS Jahrbuch 2018, Bd. I, S. 12.
[27]
PKS Jahrbuch 2018, Bd. III, S. 33 und 35.
[28]
Vgl. zu den nachfolgenden Überlegungen auch bereits eing. SSW- Kudlich , § 242 Rn. 4 ff.
[29]
MK- Schmitz, § 242 Rn. 20; SSW- Kudlich , § 242 Rn. 5; Beispiele bei HK-GS- Duttge, § 242 Rn. 6.
[30]
RGSt 32, 165, 179; Fischer, § 242 Rn. 3; BeckOK- Wittig , § 242 Rn. 4; a.A. SK- Hoyer, § 242 Rn. 3.
[31]
Braun, JuS 1992, 758, 761; AnwK- Kretschmer, § 242 Rn. 6; SSW- Kudlich, § 242 Rn. 7; a.A. aber MK- Schmitz, § 242 Rn. 21; SK- Hoyer , § 242 Rn. 6.
[32]
LK- Vogel, § 242 Rn. 5; MK- Schmitz, § 242 Rn. 20; PWW- Völzmann-Stickelbrock, BGB, 14. Aufl. 2019, § 90 Rn. 2; a.A. Sch/Sch- Bosch, § 242 Rn. 9.
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