B wollte sich bei den Berliner Verkehrsbetrieben beschweren. Er suchte hierzu das auf dem Gelände des Bahnsteigs befindliche Aufsichtshäuschen auf. In dem Häuschen hielten sich zwei S-Bahn-Mitarbeiter auf. B versuchte sich gegen deren Willen Zugang zu verschaffen, was ihm teilweise gelang. Der alarmierte Sicherheitsdienst konnte B aus dem Aufsichtshäuschen herausziehen. Der Leiter des Bahnhofsmanagements der DB Station & Service AG , die das Aufsichtsgebäude der S-Bahn Berlin GmbH vermietet hatte, stellte gegen den Angeklagten form- und fristgerecht Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs.
Ist der Strafantrag wirksam?
KG(a.a.O.): „ Gemäß § 123 Abs. 2 StGB wird die Tat des Hausfriedensbruchs nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist gemäß § 77 Abs. 1 StGB der Verletzte der Straftat, im Falle des § 123 Abs. 1 StGB der Inhaber des durch den Hausfriedensbruch verletzten Hausrechts (…). Die DB Station & Service AG war im Tatzeitpunkt nicht Inhaberin des Hausrechts. Mit Abschluss des Mietvertrages hat sie das Hausrecht an die Mieterin – die S-Bahn Berlin GmbH – übertragen. Letztere hat keinen Strafantrag gestellt. Bei privaten Räumen ist Inhaber des Hausrechts stets der unmittelbare Besitzer, der nicht der Eigentümer zu sein braucht, solange er die Sachherrschaft rechtmäßig begründet hat (…). Bei vermieteten Räumen steht das Hausrecht grundsätzlich allein dem Mieter zu, und zwar auch gegenüber dem Vermieter (…). Er und nicht der Vermieter ist es, der andere vom Betreten der genannten Räumlichkeiten ausschließen kann. Der Vermieter darf ohne Erlaubnis des Mieters die vermieteten Räume grundsätzlich weder selbst betreten noch ist er befugt, anderen wirksam den Zutritt zu gestatten oder zu versagen. Umgekehrt steht es dem Mieter zu, einer anderen Person den Zutritt zu den gemieteten Räumen zu erlauben, und zwar auch gegen den Willen des Vermieters. Einschränkungen hinsichtlich der Alleinzuständigkeit des Mieters sind nur in Ausnahmefällen denkbar. So soll der Vermieter bei größeren Mietshäusern hinsichtlich der Gemeinschaftseinrichtungen (Treppenhaus, Aufzüge und Flure) in der Regel jedenfalls eine Mitberechtigung behalten (…). Nach diesen Grundsätzen stand das Hausrecht an den gemieteten Räumen des Aufsichtsgebäudes allein der S-Bahn Berlin GmbH zu.“
Der Strafantrag kann gem. § 158 Abs. 2 StPO schriftlich oder – bei Gericht oder der Staatsanwaltschaft (diese müssen nicht sachlich zuständig sein) – zu Protokoll angebracht werden, der Verletzte muss im Fall der Schriftlichkeit den Antrag also eigenhändig unterschreiben . Daraus folgt, dass der polizeiliche Vermerk über einen nur telefonischgestellten Strafantrag mangels eigenhändiger Unterschrift formunwirksam ist.
Leicht zu übersehen ist es, wenn der Verletzte auf das Stellen eines Strafantrages z.B. gegenüber der Polizei verzichtethat. Liegt ein solcher Verzicht vor, kann dieser nicht mehr zurückgenommen werden,[20] wenn er – wichtig! – gegenüber dem Gericht oder den in § 158 Abs. 1 StPO genannten Stellen (z.B. Staatsanwaltschaft oder Polizei) erklärt wurde. Gleiches gilt, wenn der Verletzte einen bereits eingelegten Strafantrag zurücknimmt. Gem. § 77d Abs. 1 S. 3 StGB kann kein neuer Strafantrag gestellt werden.
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Schließlich sollten Sie wissen, dass der Verletzte (beachte im Fall seines Todes § 77b Abs. 4 StGB) den Strafantrag innerhalb einer Dreimonatsfriststellen muss (§ 77b StGB). Auch hier lauern Problemstellungen. Beispielsweise ist die Berechnung der absoluten Ausschluss fristgem. § 77b StGB klausurrelevant. Ausschlussfrist bedeutet, dass die Frist (fernab der Regelung des § 77c StGB) weder verkürzt noch verlängert werden kann; auch ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 f. StPO) ausgeschlossen.[21] In § 77b Abs. 2 StGB wird der Beginn der Frist von der Kenntnis des Berechtigten von der Tat und der Person des Täters abhängig gemacht. In einem Examensfall war das deshalb problematisch, weil der Verletzte erst fünf Monate nach der Tat Kenntnis vom Namen des Beschuldigten erhielt und dann Strafantrag stellte. Für die Kenntnis gem. § 77b StGB ist es aber gerade nicht erforderlich, dass der Berechtigte den Namen des Täters kennt. Es ist ausreichend, dass er Angaben zur Person des Täters tätigen kann, die ihn individualisierbarmachen.[22] Im Examensfall hätte der Verletzte den Täter direkt nach der Tat individualisieren können, sodass die Frist mit Ablauf des Tattages begann; sein erst fünf Monate später gestellter Strafantrag war verfristet.
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Hat der Verletzte bzw. sonstige Berechtigte eines absoluten Strafantragsdelikts keinen Strafantrag gestellt, liegt ein Strafverfolgungshindernis vor. Der hinreichende Tatverdacht ist aus Rechtsgründen zu verneinen. Für die Klausur bedeutet das, dass Sie nur einen Satz zu schreiben brauchen.
Formulierungsbeispiel:
„Mangels eines durch den Verletzten Johannes Oesterling wirksam gestellten, gem. § 194 Abs. 1 S. 1 StGB aber erforderlichen Strafantrags, besteht kein hinreichender Tatverdacht gem. § 185 StGB.“
Sofern dies in Ihrem Bundesland zulässig ist, markieren Sie sich im Gesetz die absoluten Strafantragsdelikte. Klausurrelevant sind z.B.:
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Hausfriedensbruch, § 123 Abs. 2 StGB |
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Beleidigungsdelikte, §§ 185, 186, 187 StGB (dort § 194 Abs. 1 S. 1 StGB) |
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Haus- und Familiendiebstahl, § 247 StGB (gilt auch bei Betrug, § 263 Abs. 4 StGB!) |
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Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248b Abs. 3 StGB |
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Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 Abs. 2 StGB |
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Pfandkehr, § 289 Abs. 3 StGB |
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Vollrausch, § 323a Abs. 3 StGB |
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Jagdwilderei, § 294 StGB |
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Für Nutzer des Onlinekurses:Das Thema wird im Kursfall „Verjährung“ behandelt.
Aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Herstellung von Rechtsfrieden können Straftaten – mit Ausnahme von Mord (§ 78 Abs. 2 StGB) – verjähren, sog. Verfolgungs verjährunggem. §§ 78 f. StGB. Davon zu unterscheiden ist die Vollstreckungs verjährunggem. § 79 StGB, die nicht klausurrelevant ist. Abhängig vom Unrechtsgehalt der Straftat sind die Verjährungsfristen unterschiedlich lang ausgestaltet und richten sich nach der Strafandrohung der betreffenden Strafvorschrift, § 78 Abs. 3 StGB. Strafschärfungen oder Strafmilderungen sind dabei (wie übrigens auch bei der Kategorisierung von Vergehen und Verbrechen, § 12 Abs. 3 StGB) ohne Bedeutung, § 78 Abs. 4 StGB.
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Für das fragliche Delikt prüfen Sie zunächst die Dauer der Verjährungsfristgem. § 78 Abs. 3 StGB. Im Anschluss müssen Sie den Beginn der Verjährungfeststellen Gem. § 78a StGB beginnt sie mit der Beendigung der Tat. Schließlich prüfen Sie, ob die Verjährungsfrist gem. § 78b StGB ruhteoder gem. § 78c StGB unterbrochenwar.
Beispiel:
Der Beschuldigte hat am 1. März 2015 gegenüber seiner Versicherung wahrheitswidrig behauptet, dass sein versichertes Fahrrad gestohlen worden sei. Am 1. April 2015 überweist die Versicherung daraufhin die Schadenssumme. Erst am 1. April 2020 wird der Sachverhalt ausermittelt. Verjährung?
Lösung:
Gem. § 263 Abs. 1 StGB wird für Betrug eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe angedroht. Deshalb beträgt die Verjährungsfristgem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB 5 Jahre. Die Verjährungsfrist beginnt gem. § 78a StGB mit Beendigung der Tat. Der Betrug ist beendet mit der letzten Erlangung eines vom Vorsatz erfassten Vermögensvorteils,[23] das ist hier der 1. April 2015. Bei der Berechnung des Verjährungsbeginns ist der Tag, auf den das fristauslösende Ereignis fällt, miteinzubeziehen.[24] Dies bedeutet, dass die Verjährungsfrist mit dem Ablauf des Tages endet, der nach seiner Bezeichnung dem Anfangstag vorangeht.[25] In unserem Beispiel ist das der 31. März 2020. Der Betrug kann ab dem 1. April 2020 wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr verfolgt werden.
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