1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 [3]
So Hofmann/Thorn § 1 Rn. 98.
[4]
Einführend hierzu Schmidt-Ahrendts/Schmitt JURA 2010, 520 ff.; Bechte ZJS 2011, 307 ff.; Rudkowski JuS 2013, 398 ff.; zu Entwicklungen in der Rechtsprechung Kröll NJW 2011, 1265 ff.; zu Vor- und Nachteilen der Schiedsgerichtsbarkeit Markgraf JuS 2013, 1090 ff. sowie Hamann/Lennarz JA 2012, 801 ff.
[5]
Zu Grenzen dieser Möglichkeit unter der Rom I-VO Mankowski RIW 2018, 1 ff.
[6]
Dazu hier ab Rn. 225.
2. Teil Allgemeiner Teil des IPR
Inhaltsverzeichnis
A. Kollisionsnormen
B. Qualifikationsprobleme
C. Rück- und Weiterverweisung
D. Vorfrage
E. Ordre public
2. Teil Allgemeiner Teil des IPR› A. Kollisionsnormen
2. Teil Allgemeiner Teil des IPR› A. Kollisionsnormen› I. Unterschied zu Sachnormen
I. Unterschied zu Sachnormen
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Sachnormen als materiell-rechtliche Regelungen betreffen die Rechtslage unmittelbar. Demgegenüber bestimmen Kollisionsnormen als Verweisungsregeln die Rechtsordnung, die auf den Sachverhalt Anwendung findet. Im Unterschied zu Sachnormen beeinflussen die Rechtsfolgen von Kollisionsnormen die Rechtslage allenfalls mittelbar (vgl. Beispiel Rn. 3).
2. Teil Allgemeiner Teil des IPR› A. Kollisionsnormen› II. Struktur von Kollisionsnormen
II. Struktur von Kollisionsnormen
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Die Struktur von Kollisionsnormen gliedert sich in einen Tatbestand und eine Rechtsfolge.
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Der Tatbestand wird durch den sog. Anknüpfungsgegenstandgeprägt (z.B. die Rechtsfähigkeit in Art. 7, die Eheschließung in Art. 13, die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Art. 21 EuErbVO, die Beförderung von Gütern in Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO).
JURIQ-Klausurtipp
Dieser Anknüpfungsgegenstand ist bei der Klausurbearbeitung für das Auffinden der einschlägigen Kollisionsnorm entscheidend. Geht es im Fall um eine Eheschließung, so schauen Sie vorrangig in Art. 13, geht es um Rechte an einer Sache, blicken Sie zunächst in Art. 43. Dieser an sich selbstverständliche Subsumtionsvorgang wird im IPR als Qualifikationbezeichnet.[1]
Denken Sie beim Qualifizieren stets an vorrangige Staatsverträge und Europarecht! Wenn es etwa um unerlaubte Handlungen geht, bleiben Sie gedanklich nicht bei Art. 40 stehen, sondern prüfen zunächst Art. 1 ff. Rom II-VO. Wenn Sie eine offenbar passende Norm gefunden haben, prüfen Sie die davor- und darauffolgenden Vorschriften auf ihre Einschlägigkeit, indem Sie zumindest ihre Überschriften lesen.
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Auslegungsbedürftige Anknüpfungsgegenstände im nationalen Recht werden mit nationalem Rechtsverständnis begriffen und ausgelegt. Dieser internationalprivatrechtliche Grundsatz wird als „Qualifikation nach der lex fori “ bezeichnet.[2] Das bedeutet, dass der Tatbestand der Kollisionsnorm nach dem Recht des Gerichtsstandes (= lex fori ) verstanden wird.[3]
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Bei Anknüpfungsgegenständen im europäischen Kollisionsrecht ist das anders. Hier ist die europäische Sichtweise maßgebend. Was also etwa ein Dienstleistungsvertrag i.S.d. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO oder eine unerlaubte Handlung i.S.d. Art. 4 Rom II-VO ist, darüber entscheidet nach der sog. europäisch autonomen Auslegungnicht das nationale, sondern das europäische Rechtsverständnis. Dies kann aus nationaler Perspektive zu überraschenden Abweichungen vom deutschen Recht führen: So fallen etwa unter Dienstleistungsverträge i.S.d. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO nicht nur Verträge i.S.d. § 611 BGB, sondern auch Werkverträge i.S.d. § 631 BGB[4] und andere Vertragstypen.[5] Ein gemeinschaftliches Testament nach den §§ 2265 ff. BGB ist regelmäßig nicht als ein gemeinschaftliches Testament i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. c der neuen europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) anzusehen; vielmehr ist ein gemeinschaftliches Testament nach den §§ 2265 ff. BGB regelmäßig als Erbvertrag i.S.d. EuErbVO zu verstehen![6]
Zusammenfassend lässt sich deshalb festhalten, dass sich im Anwendungsbereich des Unionsrechts eine Auslegung nach dem nationalen Rechtsverständnis verbietet.
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In der Rechtsfolge verweisen die meisten IPR-Normen auf die anzuwendende Rechtsordnung unter Verwendung sog. Anknüpfungsmomente(gleichbedeutend: Anknüpfungspunkte[7]),[8] wie die Staatsangehörigkeit, der Wohnsitz, der Handlungsort, der Belegenheitsort oder der gewöhnliche Aufenthalt. Wie diese Anknüpfungsmomente zu verstehen sind, ist nicht immer offensichtlich und bedarf daher der Erläuterung. Das zeigt folgendes
Beispiel
Der tschechische Lebensmittelhändler L beauftragt den belgischen Handwerker H mit der Dachsanierung seines im deutschen Breisach gelegenen Einkaufsmarktes. Bevor der H vor vier Wochen vorübergehend ins französische Mulhouse zog, hatte er jahrelang in Salzburg gelebt und gearbeitet. Zwei Monate nach Abschluss der Arbeiten tropft es im Einkaufsmarkt von der Decke. Daraufhin verklagt L den H auf Nachbesserung. Nach welchem Sachrecht würden deutsche bzw. französische Gerichte das Bestehen eines solchen Anspruchs beurteilen?
Der Fall spielt im Internationalen Vertragsrecht. Das Kollisionsrecht dafür ist europäisch einheitlich durch die Rom I-VO geregelt, die dem nationalen IPR Frankreichs und Deutschlands vorgeht. Sowohl deutsche wie auch französische Gerichte würden daher Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO heranziehen. Danach unterliegen Dienstleistungsverträge (= Anknüpfungsgegenstand) dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt (= Anknüpfungsmoment) hat. Der Vertrag über die Dachsanierung ist zwar nach deutschem Recht ein Werk- und kein Dienstvertrag, doch ist der Begriff des Dienstleistungsvertrages wegen seines europarechtlichen Ursprungs europäisch autonom und in diesem Sinne – Art. 57 AEUV entsprechend – weit auszulegen. Auch die Erbringung von Werkleistungen wird davon erfasst.[9]
Auf Rechtsfolgenseite kommt es bei Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO weder auf die tschechische Staatsangehörigkeit des L noch auf die belgische des H an (lassen Sie sich in der Klausur von solchen Angaben nicht verwirren). Allein der gewöhnliche Aufenthalt des H entscheidet über das anwendbare Recht. Als gewöhnlicher Aufenthalt des H kommt hier entweder das österreichische Salzburg oder das französische Mulhouse, wo der H seit vier Wochen lebt, in Frage. Doch wann kann von einem gewöhnlichen Aufenthalt gesprochen werden? Nach zwei Tagen? Nach zwei Jahren? Für Fragen dieser Art ist Wissen um die Auslegung der Anknüpfungsmomente erforderlich.
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Das häufigste Anknüpfungsmoment im EGBGB ist die Staatsangehörigkeit (vgl. z.B. Art. 7, 9, 13 Abs. 1, 24).[10] Zu den zahlreichen Vorteilen[11] dieser Anknüpfung gehören insbesondere die einfache Feststellbarkeit der Staatsangehörigkeit (steht in jedem Personalausweis) und ihre relative Kontinuität (die Staatsangehörigkeit wechselt eher selten). Vermittelt wird die Staatsangehörigkeit grundsätzlich entweder nach dem sog. ius soli (lat.: Recht des Bodens) durch Geburt innerhalb des jeweiligen Landes oder nach dem sog. ius sanguinis (lat.: Recht des Blutes) durch Geburt von einem Elternteil, der die jeweilige Staatsangehörigkeit besitzt. Welchem dieser beiden Grundprinzipien gefolgt wird, entscheidet jeder Staat grundsätzlich selbst.[12] Deutschland folgt in § 4 Abs. 1 S. 1 StAG im Grundsatz dem Abstammungsprinzip ( ius sanguinis ), sieht aber innerhalb der engen Grenzen des § 4 Abs. 3 StAG auch den Staatsangehörigkeitserwerb nach dem ius soli vor.
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