Der IGH hat im sog. Bernadotte-Fall den Vereinten Nationen objektive Völkerrechtssubjektivität zugesprochen (Gutachten „Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations“ von 1949). Vom Standpunkt der h.M. handelt es sich hierbei um einen Sonderfall, der mit der Quasi-Universalität der UN begründet wird.
A› Auslandswirkung von Hoheitsakten (Marten Breuer)
Auslandswirkung von Hoheitsakten (Marten Breuer)
I. Allgemeines
II. Jurisdiction to enforce
III. Jurisdiction to prescribe
1. Regelungsintention
2. Reichweite
IV. Abgrenzungen
1. Kollisionsrecht
2. Anerkennung fremder Hoheitsakte
3. Vollstreckung ausländischer Hoheitsakte
Lit.:
J. Bertele , Souveränität und Verfahrensrecht, 1998; C. Kreß , Völkerstrafrecht und Weltrechtspflegeprinzip im Blickfeld des Internationalen Gerichtshofs, ZStW 114 (2002), 818; W. Meng , Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994; J. Menzel , Internationales Öffentliches Recht, 2011; C. Ohler , Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 2005.
Dass die innerstaatliche Rechtsordnung Wirkungen nicht mehr nur auf dem jeweils eigenen → Staatsgebietentfaltet, erscheint in Zeiten der Globalisierung mit ihrer enormen Zunahme an Waren-, Personen- und Finanzverkehr als geradezu selbstverständlich. Mit der damit angesprochenen Frage nach möglichen Auslandswirkungen von Hoheitsakten verbindet sich indes eine kaum zu überschauende Vielzahl von Rechtsproblemen. Zu Systematisierungszwecken erscheint es zunächst hilfreich, zwischen der Regelungshoheit ( jurisdiction to prescribe ) und der Durchsetzungshoheit ( jurisdiction to enforce ) zu unterscheiden. Eine bisweilen anzutreffende dritte Kategorie der jurisdiction to adjudicate erscheint demgegenüber verzichtbar. Auch wenn es aus Gründen der Logik geboten erscheinen mag, die Regelungs- vor der Durchsetzungshoheit zu behandeln, wird hier der besseren Darstellung halber der umgekehrte Weg gewählt.
II. Jurisdiction to enforce
Nach allgemeinem Völkerrecht darf ein → StaatHoheitsakte grds. nur auf seinem eigenen Territorium vornehmen. Dieser Grundsatz ist Ausfluss der → Gebietshoheitund steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der territorialen → Souveränitätund dem Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Die Personalhoheit allein bietet keine hinreichende Grundlage, um ohne Zustimmung des betroffenen Territorialstaates hoheitlich im Ausland tätig zu werden. In diesem Sinne kann die → humanitäre Interventionzur Rettung eigener Staatsangehöriger nicht als völkerrechtskonform gelten, auch wenn sie vielfach praktiziert wird (Beispiel: Befreiung israelischer Geiseln in Entebbe 1976).
Als Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot des Erlasses von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet kommen Regeln des Völkergewohnheitsrechts, völkerrechtliche Verträge oder die einseitige Einwilligung des Territorialstaates in Betracht. Ein Beispiel für Ersteres sind die Regeln der kriegerischen Besetzung ( occupatio bellica ), ein Beispiel für die zweite Fallgruppe bilden etwa Verträge über Zollanschlüsse bzw. -ausschlüsse (z. B. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Einbeziehung der Gemeinde Büsingen am Hochrhein in das schweizerische Zollgebiet, BGBl. 1967 II S. 2030), die Verpachtung von Guantánamo Bay durch Kuba an die USA (Treaty of Relations between the United States of America and the Republic of Cuba, 150 UNTS 96), Stationierungsverträge (z. B. NATO-Truppenstatut; Sart . II, Nr. 66b) usw. Völkergewohnheitsrechtlicher Natur, mittlerweile aber völkervertraglich geregelt ist der Status diplomatischer und konsularischer Missionen, die nach heutigem Verständnis keine Exklaven auf dem Territorium des Empfangsstaates mehr darstellen, sondern dessen territorialer Souveränität unterliegen; gleichwohl ist der Entsendestaat in gewissem Umfang zum Setzen von Hoheitsakten berechtigt.
Umfang und Grenzen des Verbotes, Hoheitsakte auf fremdem Territorium zu erlassen, sind nicht immer klar definiert. So wird teilweise vertreten, dass Hoheitsakte, die zwar im Ausland erlassen werden, deren Wirkungen aber allein im Inland eintreten (z. B. die Ernennung eines Ministers durch das Staatsoberhaupt während eines Staatsbesuchs im Ausland), nicht unter das genannte Verbot fallen. Ebenso wird bisweilen angenommen, nur die zwangsweise Durchsetzung von Normen auf fremdem Territorium sei verboten. Mit diesem Argument wurde etwa begründet, dass die Teilnahme an den Parlamentswahlen des Heimatstaates per Briefwahl vom Ausland aus kein verbotener Hoheitsakt auf fremdem Territorium sei. Gleichwohl unterband die Schweiz nach der Einführung des Wahlrechts für Auslandsdeutsche in den 1980er Jahren zunächst die Beförderung von Wahlbriefen unter Berufung auf Souveränitätsvorbehalte.
Ein jüngstes Beispiel für verbotenes Staatshandeln auf fremdem Territorium stellt etwa die Ermordung Osama Bin Ladens durch Spezialeinheiten der US-Navy am 2.5.2011 im pakistanischen Abbotabad dar, auf die die pakistanische Regierung mit einem scharfen Protest reagierte.
III. Jurisdiction to prescribe
Bei der jurisdiction to prescribe geht es um die vorgelagerte Frage, ob ein Sachverhalt mit Auslandsbezug überhaupt von der innerstaatlichen Rechtsordnung geregelt wird (werden darf). Das setzt nicht notwendigerweise die Möglichkeit der anschließenden Rechtsdurchsetzung im Ausland voraus: So gilt etwa gem. § 7 StGB für im Ausland begangene Straftaten in gewissem Umfang das deutsche Strafrecht, obwohl eine Strafvollstreckung nur bei Anwesenheit des Straftäters im Inland in Frage kommt. Bereits die bloße Aussicht einer möglichen Bestrafung nach einer etwaigen Auslieferung oder einer freiwilligen Rückkehr in die Bundesrepublik kann aber bereits verhaltenslenkend wirken.
Grundvoraussetzung für das Vorliegen der jurisdiction to prescribe ist, dass der betreffende innerstaatliche Rechtssatz den Auslandssachverhalt überhaupt regeln will. Art. 23 GG a. F., nach dem das Grundgesetz zunächst nur in den dort aufgeführten Bundesländern „galt“, war nicht so zu verstehen, dass bei Handeln deutscher Staatsorgane im Ausland die Verfassung nicht zu beachten gewesen wäre. Vielmehr ergab (und ergibt) sich aus Art. 1 Abs. 3 GG, dass auch Auslandssachverhalte grds. vom Grundgesetz erfasst sind. Gegenwärtig werden solche Fragen insbesondere bei Auslandseinsätzen deutscher Soldaten virulent.
Eine hierzu parallele Fragestellung ergibt sich im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes. So hatte der → EGMRim Fall Banković zu entscheiden, ob die Konventionsstaaten beim Handeln ihrer Soldaten im Ausland an die Garantien der → EMRK(Sart. II, 130 ff.) gebunden sind. Er verneinte dies im konkreten Fall mit dem Argument, der in Art. 1 EMRKverwendete Begriff der „ jurisdiction “ habe eine „ essentially territorial notion “ (EuGRZ 2002, S. 133, Rn. 61). Damit stellte der Gerichtshof indes fälschlicherweise auf die jurisdiction to enforce ab, die – wie oben gesehen – tatsächlich im Grundsatz territorialitätsgebunden ist. Für die jurisdiction to prescribe lässt sich dagegen, wie sogleich zu zeigen sein wird, eine vergleichbar enge Inlandsbindung gerade nicht nachweisen.
Steht fest, dass ein nationaler Rechtssatz einen Sachverhalt mit Auslandsbezug regeln will, stellt sich die weitere Frage, wie weit ein Staat die Reichweite seiner Rechtsordnung erstrecken darf. So klar einerseits ist, dass ein Staat nicht von vornherein auf die Regelung reiner Inlandssachverhalte beschränkt ist, indem er z. B. den Staatsangehörigkeitserwerb und -verlust auch für seine im Ausland lebenden Angehörigen regeln darf, so kann doch andererseits nicht bezweifelt werden, dass es gewisse Regelungsgrenzen gibt und geben muss. Beispielsweise stellte ein Gesetz über den Erwerb oder Verlust nicht der eigenen, sondern einer fremden Staatsangehörigkeit grds. eine verbotene Einmischung in die inneren Angelegenheiten des betreffenden Heimatstaates dar.
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