2. Anträge auf Reststrafaussetzung
IV.Haftentschädigung und Schadensersatz
1. Entschädigungsansprüche nach dem StrEG
a) Verteidigung im Hinblick auf spätere Haftentschädigung
b) Verteidigertätigkeit im Entschädigungsverfahren
c) Verteidiger- und Anwaltsgebühren für Entschädigungsverfahren
2. Schadensersatz wegen amtspflichtwidriger Inhaftierung (§ 839 BGB, Art. 34 GG)
3. Schadensersatzanspruch wegen konventionswidriger Inhaftierung (Art. 5 Abs. 5 EMRK)
a) Allgemeines
b) Voraussetzungen
c) Anspruchsumfang
Teil 12 Anhang Anlagen und Muster von Verteidigeranträgen bzw. sonstigen Erklärungen
Literaturverzeichnis (Auswahl)
Stichwortverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
I. Konsequenzen der Untersuchungshaft für den Beschuldigten
II. Rechtswirklichkeit und kriminalpolitische Instrumentalisierung der Untersuchungshaft
III. Konsequenzen der Untersuchungshaft für die Verteidigung
IV. Überlegungen zur Mandatsübernahme
Teil 1 Einleitung› I. Konsequenzen der Untersuchungshaft für den Beschuldigten
I. Konsequenzen der Untersuchungshaft für den Beschuldigten
1
Die Anordnung der Untersuchungshaft ist der massivste Eingriff des Staatesin das Leben eines Beschuldigten. Ihre Wirkung geht häufig weit über den mit dem Vollzug der Haft verbundenen Freiheitsverlust und seinen Belastungen hinaus.[1]
2
In aller Regel trifft die Untersuchungshaft den davon betroffenen Beschuldigten völlig unvorbereitet. Dies gilt selbst dann, wenn ihm bekannt ist, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig ist. Im Gegensatz zum Strafvollzug kann er sich nicht auf die Freiheitsentziehung vorbereiten und im Rahmen des Möglichen seine persönlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Belange für die Zeit seiner Inhaftierung ordnen. Vielmehr wird er durch seine Verhaftung aus allen privaten und sozialen Bezügen herausgerissen. Von einem Augenblick auf den anderen wird er fast aller Möglichkeiten autonomer und aktiver Lebensgestaltung beraubt. Er muss erleben, wie über seine Person verfügt wird. Weggeschlossen in teilweise menschenunwürdige Arrest- und Durchgangszellen, transportiert und verschubt von einem Verwahrort zum anderen, häufig ohne Erklärung der Gründe für die einzelnen Maßnahmen und ohne Kenntnis dessen, was weiter auf ihn zukommt, wird insbes. die erste Zeit der Inhaftierung für einen Beschuldigten zum traumatischen Erlebnis.
3
Verbleibt er länger als wenige Stunden oder Tage in Haft, kommt es schnell zu krisenhaften Entwicklungen in allen Lebensbereichen. Ohnmächtig muss er erleben, wie das bisher in seinem Leben Erreichte und seine weitere Lebensplanung nachhaltig gefährdet und häufig genug zerstört werden. In beruflicher Hinsicht geraten Arbeiter, Angestellte und Selbständige in kürzester Zeit in eine Situation, in der der Verlust des Arbeitsplatzes und der wirtschaftlichen Existenzgrundlagezu befürchten ist. Durch das Ausbleiben von Lohn und Gehalt, durch die Nichterzielung von Einkünften und Gewinnen können laufende Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllt werden. Miet- und Hypothekenschulden, Ratenkauf- und Kreditverpflichtungen können nicht mehr befriedigt werden. Je länger die Untersuchungshaft dauert, desto schwerwiegender werden ihre wirtschaftlichen Konsequenzen.
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Nicht minder gravierend sind die Auswirkungen der Untersuchungshaft im privaten und sozialen Bereich. Distanzierung, Irritation und Ansehensverlust bei Freunden, Bekannten, Nachbarn, Arbeitskollegen und Geschäftspartnern sind häufig die Folge, wenn die Tatsache der Inhaftierung bekannt wird. Auch im familiären Bereich führt die Abwesenheit des inhaftierten Angehörigen zu erheblichen Belastungen. Das gilt nicht nur dann, wenn dadurch der wirtschaftliche Unterhalt der Familie in Gefahr gerät oder völlig wegfällt. Die Abwesenheit des Partners, des Erziehers, eines Elternteils oder des Kindes können häufig genug nicht verkraftet werden und führen zu nachhaltigen emotionalen Störungen.
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All dies erlebt der inhaftierte Beschuldigte, ohne die Möglichkeit zu haben, auf den Gang der Geschehnisse größeren Einfluss nehmen zu können. Zusätzlich ist er den Belastungen des Strafverfahrens und der Vollzugssituation ausgesetzt. Besonders bedrückend wird dabei der Umstand empfunden, dass die Dauer des Untersuchungshaftvollzuges nicht absehbarist. Hinzu kommt, dass in der Regel auch der Ausgang des Strafverfahrens völlig ungewiss ist. Selbst wenn der Beschuldigte damit rechnen muss, verurteilt zu werden, geht es doch immer noch um die Länge einer etwaigen Freiheitsstrafe und ggf. um die Frage, ob diese zur Bewährung ausgesetzt werden wird. Da der Beschuldigte in der Untersuchungshaft kaum einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen kann und es nur begrenzte Möglichkeiten gibt, sich durch Besuche, „Freizeitangebote“ der Haftanstalt oder Kontakte zu Mitgefangenen Ablenkung zu verschaffen, besteht die Gefahr, dass er sich den größten Teil des Tages selbstgrüblerisch mit seiner Situation und seinem künftigen Schicksal beschäftigt.[2] Dieser seelische Zustand ist sicherlich ein wesentlicher Grund für die große Zahl von Suiziden und Selbstmordversuchengerade in der ersten Zeit der Inhaftierung.[3] Die Suizidrate in Justizvollzugsanstalten liegt nach verschiedenen Studien bis zu 12-mal höher als in Freiheit. Dies gilt in besonderem Maße für die Untersuchungshaft. Obwohl lediglich rund ein Viertel aller in der BRD Inhaftierten Untersuchungshäftlinge sind, entfallen ca. 58 % aller Suizide von Gefangenen auf solche in Untersuchungshaft.[4]
Zusätzlich ist der seelische Ausnahmezustand ein idealer Nährboden für Überlegungen aller Art, wie die Inhaftierung beendet werden könnte. Dass die Hoffnung, durch Aussagen und ein kooperatives Verfahrensverhalten gegenüber der Strafjustiz aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden, nicht nur zu Geständnissen führt, die in Freiheit nicht abgelegt worden wären,[5] sondern auch immer wieder zu Falschgeständnissen[6] und zu Falschbelastungen dritter Personen, gehört zu den gesicherten Erkenntnissen über die Auswirkungen der Untersuchungshaft auf die davon betroffenen Beschuldigten.
[1]
Seebode S. 3 m.w.N.
[2]
Vgl. dazu etwa BVerfG StV 2009, 255, 258.
[3]
Nachw. bei Seebode S. 39 ff.
[4]
Bennefeld-Kersten Suizide in Justizvollzugsanstalten der Bundesländer in den Jahren 2000-2004, Studie des kriminologischen Dienstes im Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzuges, 2005, S. 2.
[5]
Seebode S. 66.
[6]
Seebode S. 70 u. S. 189; Peters, K. Bd. II, 1972, S. 21; Lange, R. S. 90; Dauner Falsche Selbstbezichtigungen Jugendlicher aus der Sicht des Kinder- und Jugendpsychiaters, FS H. Stutte, 1979, S. 3.
Teil 1 Einleitung› II. Rechtswirklichkeit und kriminalpolitische Instrumentalisierung der Untersuchungshaft
II. Rechtswirklichkeit und kriminalpolitische Instrumentalisierung der Untersuchungshaft
6
Untersuchungshaft ist Freiheitsberaubung an einem Unschuldigen.[1] Diese pointierte Feststellung Hassemers unterstreicht die Bedeutung der Unschuldsvermutung auch bei der Anordnung und dem Vollzug der Untersuchungshaft. Die Entwicklung der Zahl der Untersuchungsgefangenen in den letzten Jahrzehnten zeigt, dass der Unschuldsvermutung und dem ultima ratio Charakter der Haft[2] zur Verfahrenssicherung in sehr unterschiedlichem Maße Rechnung getragen wurde und von einem steten Auf und Ab der Untersuchungshaftzahlen gekennzeichnet ist. Während sich vor mehr als 20 Jahren am 1.1.1987 in den alten Bundesländern noch 11.373 Menschen in Untersuchungshaft befanden, war nach einem bis dato steten Anstieg zum 30.11. des Jahres 1993 der bisherige Rekordstand von 20.440 Untersuchungshäftlingen zu verzeichnen. Seit dem Jahr 1998 bis zur Talsohle im Jahr 2010 war die Zahl der Häftlinge dann längere Zeit kontinuierlich und deutlich auf 10.781 Personen zum Stichtag 30.11.2010 zurückgegangen.[3] Seither ist allerdings wieder eine Trendwende mit einem Anstieg um ca. 7 % zu beobachten auf zuletzt 11.528 U-Häftlinge am 30.11.2014.[4] Aussagekräftige Untersuchungen über die Gründe des erheblichen Rückgangs von 1992 bis 2010 gibt es – soweit ersichtlich – ebenso wenig, wie für den jetzt abermals zu verzeichnenden Anstieg[5]. Von daher verbieten sich Spekulationen über mögliche Ursachen. Festhalten lässt sich indes zumindest, dass das geschriebene Gesetz eine einigermaßen homogene Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Anordnung und den Vollzug der Untersuchungshaft nicht gewährleistet, sondern trotz gleichbleibender Gesetzeslage signifikante Änderungen der Haftzahlen mal in die eine, mal in die andere Richtung zulässt. Die weiten Interpretationsspielräume bei der Auslegung z.B. der Tatbestandsmerkmale des „dringenden Tatverdachts“ oder der „Fluchtgefahr“ eröffnenden kriminalpolitischen Bedürfnissen angepasste Entscheidungen.[6] Dabei besagt die Statistik zunächst einmal nur etwas über die Zahl der tatsächlich Inhaftierten, bei denen also die Untersuchungshaft tatsächlich vollzogen wurde. Die Zahl der Außervollzugsetzungen, die ebenfalls im Hinblick auf die Auflagen erhebliche Belastungen (Kaution, Meldepflichten etc.) mit sich bringen können, sind insoweit noch nicht einmal erfasst.
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