[11]
Vgl. Bussman / England / Hienzsch MschrKrim 2004, 244 (255–258).
[12]
Vgl. Bussman / England / Hienzsch MschrKrim 2004, 244 (258), die zudem folgern, dass die Wirtschaft „insoweit ihrem systemspezifischen Programm folgen und konsequent dem Wettbewerb und der Gewinnmaximierung nachgehen kann“.
[13]
Bussman / England / Hienzsch MschrKrim 2004, 244 (256 ff.).
[14]
Vgl. zu Merton Rn. 127ff.
[15]
Bussman / England / Hienzsch MschrKrim 2004, 244 (253).
[16]
Bussman / England / Hienzsch MschrKrim 2004, 244 (258).
[17]
Bussman / England / Hienzsch MschrKrim 2004, 244 (258).
[18]
So explizit Bussman / England / Hienzsch MschrKrim 2004, 244 (257).
143
Durch den wirtschaftskriminologischen Bezugsrahmen konnten die empirischen Befunde plausiblen theoretischen Erklärungen zugeführt werden; eine Basis für weitere Überlegungen. Zentrale Eckpunkte sind die Rolle des Zugangs zum illegalen Weg – mithin die Tatgelegenheit –, der „Lernkontext“ hinsichtlich der Rezeption illegaler Möglichkeiten und schließlich die Neutralisierungsmechanismen, um in der von Merton beschriebenen Drucksituation die Wahl für die kriminelle Verhaltensalternative zu treffen. Von einem pauschalen kriminogenen Einfluss der Wirtschaft ist nicht auszugehen, gleichwohl scheint die moralische Bindung bei Steigerung des Selbstinteresses der Akteure im Wirtschaftskontext mit gewissen Einschränkungen festgestellt.
144
Die empirischen und theoretischen Erkenntnisse zur Wirtschaftskriminalität legen nahe, dass der Unternehmenskontext bestimmte Charakteristika der Wirtschaftskriminalität verstärkt: Zum einen stellt er Kapazitäten an Macht und/oder Wissen zur Verfügung, die sowohl einen Rechtsbruch ermöglichen als auch seine Folgen verwischen können. Auch im Rahmen der Ermittlungen werden Schwierigkeiten aufgeworfen, denn selbst wenn ein Unternehmen zweifelsfrei als „Schädiger“ bestimmter Rechtsgüter identifiziert wurde, steht die Suche nach dem persönlich Verantwortlichen an ihrem Anfang. Agieren mehrere Mitarbeiter arbeitsteilig derart zusammen, dass jeder einzelne ein geringes Maß an Verantwortung innerhalb des gesamten kriminellen Vorgangs hat, kann er strafrechtlich nicht oder schwer zur Verantwortung gezogen werden. Die dahinter stehende Organisation kann so aufgebaut sein, dass allenfalls die tatsächlich handelnden, „unteren“[1] Ebenen strafrechtlich fassbar sind, deren Schuld wiederum überwiegend gering sein wird. Desweiteren liegt nahe, dass die Erschütterung „gesellschaftlich notwendigen Vertrauens“, wenn man sie als ein Merkmal der Wirtschaftskriminalität auffassen will,[2] in einem stärkeren Maße durch kriminelle Unternehmenstätigkeit erfolgen kann, als durch ein individuelles wirtschaftskriminelles Verhalten. Letztere kann man durchaus als Verhaltensweisen beschreiben, die – mittelbar oder unmittelbar – eine Verletzung gesellschaftlich notwendigen Vertrauens, welches Funktionsvoraussetzung für die sehr komplexen Wirtschaftsabläufe der heutigen Zeit ist, bedeuten. Des Weiteren scheinen Unternehmen als arbeitsteilig organisierte Einheiten ohne den individuell Verantwortlichen und grundverschiedenen internen Arbeitsabläufen von außen schwer einsehbar. Es handelt sich also um einen Wirtschaftsakteur, dem die Gesellschaft – mangels Einblick- und Kontrollmöglichkeit – Vertrauen entgegenbringen muss : Sowohl Verbraucher müssen sich hinsichtlich der Produktionstätigkeit auf Qualität und Fairness verlassen, als auch andere Marktteilnehmer müssen sich beispielsweise hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Wettbewerbsregeln auf Unternehmen „einlassen“, ohne sie selbst betreffende Prozesse kontrollieren zu können. Insofern ist anzunehmen, dass ein möglicher Vertrauensbruch weitreichendere Konsequenzen hat, weil er in diesem Kontext weniger mit „individuellem Versagen“ gerechtfertigt werden kann und der Bezug zum „Systemvertrauen“[3] insofern deutlicher ist. Schließlich scheint das Unternehmen als „Lernkontext“ prädestiniert zu sein, weil hier Mitarbeiter miteinander auf Produktionsziele hinarbeiten und zudem Vorgaben durch höhere Hierarchieebenen eine Rolle spielen.
145
Die leicht zu vermutende Verstärkungswirkung der Unternehmen für Wirtschaftskriminalität entbindet gleichwohl nicht von einer genaueren Beschäftigung mit dem „Kriminalitätspotential Unternehmen“ und der Herausarbeitung von Differenzierungsmerkmalen. Unternehmenskriminalität könnte als Teilmenge der Wirtschaftskriminalität zwar einen Großteil ihrer Merkmale wie die fehlende Affektivität der Tathandlung, den vergleichsweise hohen Schaden in Bezug auf die Anzahl der Straftaten, das Täterprofil oder die typischen Aufklärungsprobleme aufweisen, allerdings charakteristische, eigene Merkmale wie die Bedingungen des „Begehungsortes[4] Unternehmen“ bzw. des „Tatmittels Unternehmen“ im Sinne einer strafwürdigen Nutzung der Unternehmensstruktur beinhalten. Ob es aus diesen Gründen als unmittelbarer krimineller Akteur in Betracht gezogen werden muss, es lediglich als „Umfeld“, das der Entwicklung individueller Kriminalität zuträglich ist, eingeordnet werden muss oder unmittelbar kriminogen auf Individuen wirkt, wird im Folgenden herauszufinden sein.
[1]
Also in der Hierarchie des Unternehmens unten angesiedelten Angestellten, die gleichzeitig am meisten Weisungen unterworfen sind.
[2]
Bejahend: Schwind Kriminologie, § 21 Rn. 17 m. w. N.; Boers / Nelles / Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 27; verneinend: Eisenberg Kriminologie, § 47 Rn. 5 m. w. N.
[3]
Vgl. zu diesem Begriff Otto MschrKrim 1980, 397 (399 ff.).
[4]
So der Fokus von Hefendehl MschrKrim 2003, 27 (27).
Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität› C› IV. Unternehmenskriminalität – ein „täter“orientierter Versuch der Begriffsbildung
IV. Unternehmenskriminalität – ein „täter“orientierter Versuch der Begriffsbildung
146
Das Credo der Chicago School , der Sutherland angehörte, war „get inside the actor's perspective“, womit in erster Linie zu konsequenter Empirie und Feldforschung – „Leave your textbook behind! [...] Go into the district and get your feet wet!“[1] – aufgerufen wurde. In Anbetracht der dürftigen empirischen Befunde ist die Aufforderung „get inside “ schwer zu realisieren, weil vor allem die Unternehmen kooperativ sind, aus denen keine oder wenig Wirtschaftsstraftaten hervorgegangen sind.
147
Die täterorientierte Herangehensweise Sutherlands war jedoch – wie gesehen – mehr als der Aufruf nach konsequenter, qualitativ-empirischer Forschung: Sie bestand in der Einbeziehung eines bisher tabuisierten Bereichs – der gesellschaftlichen Elite – in die kriminologische Forschung. Aufgrund seiner Fokussierung auf die „Herren im weißen Kragen“ tragen seine Thesen für den weiteren Verlauf der Untersuchung nur noch bedingt; er bleibt jedoch gewissermaßen Gewährsmann, denn seine grundsätzliche Herangehensweise wird zum Vorbild genommen. Statt prozessualtaktischen oder schadensbezogenen Definitionsvorschlägen den Vorzug zu geben und dabei entweder zu unterstellen , dass Unternehmen – weil sie die essentialia der Marktwirtschaft sind – die Hauptakteure der so definierten Wirtschaftskriminalität sind oder sie als Opfer schützen zu wollen, wird der Aktionsradius dieser vermeintlichen Akteure beleuchtet. Die täterorientierte Herangehensweise hat damit den großen Vorzug, zwei implizite Feststellungen in der dogmatischen Diskussion um die Unternehmensstrafe gründlich untersuchen zu wollen: Zum einen, dass Unternehmen Täter im herkömmlichen bzw. in einem neu zu definierenden Sinne sind. Zum zweiten, inwiefern diese kriminell agieren. Damit wird ein Forschungsansatz, der grundsätzlich auf der Einsicht beruht, dass Kriminalitätsentwicklung mit Persönlichkeitsfaktoren des Menschen zusammenhängt und dessen Verhalten beeinflussbar ist, auf ein neues Gebilde angewandt. Bisher war es nur der Mensch, dessen Handeln, Motivation und Schuldfähigkeit untersucht wurde; auch wenn es um Handlungen ging, die in Gemeinschaft mit anderen erfolgten.[2] Da jedoch die erste Hypothese – das Unternehmen als Opfer – in den empirischen Befunden nicht bestätigt wurde, wird im Folgenden die zweite Hypothese des Unternehmens als Kriminalitätsverursacher sui generis weiter verfolgt. Hierbei wird es in einigen Definitionsansätzen als Kriminalitäts kontext nahegelegt[3] und in strafrechtsdogmatischen Überlegungen als Täter erwogen.
Читать дальше