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Ausgehend von der Prämisse, dass Wirtschaftssubjekte in ihrer Entscheidungsfindung eingeschränkt sind, bedeuten Unternehmen als Bündelung der Ressource Information einen weiteren Vorteil: Die geistigen Fähigkeiten der Individuen reichen in komplexen Situationen nicht aus, um alle für eine Entscheidung (z. B. für einen Vertrag) relevanten Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.[11] Aufgrund dieser Situation „beschränkter Rationalität“[12] sei es beispielsweise unmöglich, ex ante in einem Vertrag Regelungen für alle Eventualitäten zu treffen und daher seien nur unvollständige Verträge („soft contracts“) denkbar.[13]
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Einer der entscheidenden Vorteile[14] des Unternehmens ist, dass es eine prognostizierbare Zukunft kreiert. Der geradezu immense Möglichkeitenüberschuss wird durch Entscheidungen des Unternehmens reduziert. Das Unternehmen fungiert als Entscheidungsstelle, die Informationen bündelt und entsprechend besser verarbeiten kann, Schlüsse zieht und das Risiko unvollständiger Information (in einem unvollständigen Markt) auffangen kann. Es wird für die weitere Unternehmensentwicklung nur noch das jeweilige Ergebnis dieser „Entscheidung“ und nicht mehr die angestellten oder nicht angestellten Erwägungen herangezogen, die dann das weitere Verhalten auf dem Markt wiederum verlangsamen und verkomplizieren würden.[15]
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Diese Unsicherheitsabsorbtion findet auch nach innen statt, denn das Unternehmen übernimmt die Einkommensunsicherheit des Individuums und schafft für den Einzelnen die Voraussetzungen eines planbaren Einkommenserwerbs. Eine solche bilaterale Vereinbarung ist in beiderseitigem Interesse: für die Institution, weil die Beteiligten eine begrenzte Menge an Verfügungsrechten an die Unternehmensleitung übertragen und für den Mitarbeiter, der im Gegenzug eine bestimmte Sicherheit in Form von garantierten Löhnen erhält. Dies hat nach außen die Rückwirkung, dass die Arbeitsverträge eine Weisungsbefugnis der Unternehmensleitung gegenüber den Arbeitnehmern enthalten, die dem Unternehmen ermöglicht, einen einheitlichen Willen zu bilden.
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Festzuhalten ist: das Unternehmen stellt aus institutionenökonomischer Sicht eine Möglichkeit dar, entscheidende, der Marktwirtschaft immanente, Risiken für bestimmte Akteure zu minimieren und von denen tragen zu lassen, die es tragen und den damit verbundenen Profit erlangen wollen.
[1]
Siehe hierzu Coase in: The Nature of the Firm: Origins, Evolution and Development S. 34 und Homann / Suchanek Ökonomik: Eine Einführung, S. 285.
[2]
Robertson spricht von Inseln der bewussten Macht in diesem Ozean unbewusster Kooperation, die wie Butterklumpen in einem Eimer Buttermilch zusammenhängen („[Aren't firms like] islands of conscious power in the ocean of unconscious co-operation like lumps of butter coagulating in a pail of butter-milk?“ Robertson The Control of Industry, S. 85.
[3]
Siehe hierzu auch Homann in Waldkirch Unternehmen und Gesellschaft, S. VIII und Schneider in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 1 (5 f.).
[4]
Zu diesem Kriterium siehe Rn. 34ff.
[5]
Es sind v. a. die Vertreter der Neuen Institutionenökonomik , die sich in verschiedenen Ansätzen wie der Transaktionskosten-Theorie, dem Property Rights-Ansatz (vgl. Picot / Dietl in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 306 (308) m. w. N.) und der Prinzipal-Agent-Theorie (vgl. Rn. 242ff.) mit der ökonomischen Analyse von Organisationen auseinandergesetzt haben und dem in der neoklassischen Ökonomik verwurzelten Prinzip, Organisationen seien nur als produktionstechnologische Gebilde zu betrachten, deren gesellschaftliche Aufgabe in der kostengünstigen Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen auf kompetitiven Märkten zu Dienstkostenpreisen anzusiedeln sei, entgegentreten. Im Gegensatz beispielsweise zur Konstitutionen-Ökonomik von J. M. Buchanan , in der die Organisationen kaum eine Rolle spielen. Vgl. die Darstellung bei Waldkirch Unternehmen und Gesellschaft, S. 23 ff.
[6]
Siehe auch Coase Journal of Law and Economics 1960, 1 (1 ff.) und Coase in: The Nature of the Firm: Origins, Evolution and Development S. 34.
[7]
Hierzu auch Köndgen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 128 (136).
[8]
Zu dem „Stecknadelbeispiel“ von Smith Der Wohlstand der Nationen, S. 9 f.: Ein einzelner ungelernter Arbeiter kann an einem Tag nur wenige Stecknadeln herstellen. Wird die Arbeit aufgeteilt in mehrere Handgriffe (Draht ziehen, abzwicken, zuspitzen, Kopf oben drauf, verpacken…), so können beispielsweise fünf Arbeiter tausende von Stecknadeln an einem Tag herstellen. Siehe hierzu Demmler Einführung in die Volkswirtschaftslehre, S. 153.
[9]
Coase spricht in diesem Zusammenhang von vertikaler Integration der Produktionsstufen, deren Organisationskosten höchstens äquivalent zu den eingesparten „marketing costs“ sein darf. Letztere seien im Grunde Kosten für „die Benutzung des Preismechanismus“, die dadurch entstehen, dass die relevanten – zufällig am Markt entstandenen Preise – mit einem bestimmten Aufwand zu ermitteln seien. Schneider in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 1 (6) m. w. N.
[10]
Schneider in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 1 (7 f.).
[11]
Schmidtchen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 31 (35). Vgl. Simon bezeichnete das Verhalten der Individuen als „intendly rational, but only limitedly so“ Simon Administrative Behavior, S. XXIV.
[12]
Beschränkte Rationalität beschreibt den Umstand, dass ein außerhalb der beobachteten Welt Stehender objektive Situationselemente erkennt, die ein Entscheidender nicht sieht. Vgl. Schneider in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 1 (7) und die Ausführungen ab Rn. 195.
[13]
Schmidtchen in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 31 (35).
[14]
Dies ist aus systemtheoretischer Sicht eine der wichtigsten gesellschaftlichen Funktionen ; vgl. Luhmann Organisation und Entscheidung, S. 185 ff.
[15]
Ein weiterer Gedanke, den die „Theorie der Unternehmung bei ungleicher Wissensverteilung“ in den Vordergrund ihres Erklärungsmodells stellt, ist die Einkommensunsicherheit und Ungleichverteilung von Wissen, die durch Bildung von Institutionen zu verringern ist. Unter „Institutionen“ werden allerdings sowohl Regelsysteme als auch Handlungssysteme verstanden. Institutionen im Sinne von Regelsystemen sind beispielsweise das Privateigentum an Produktionsmitteln. Als Handlungssysteme werden die durch Regelsysteme geordneten Handlungsabläufe verstanden, z. B. das Unternehmen. Das Unterscheidungsmerkmal beider Institutionen ist, dass nur die Handlungssysteme – im Sinne von Organisationen – Mitglieder haben. Siehe hierzu ausführlich Schneider in: Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, S. 1 (10, 14 ff.).
b) Das Unternehmen als „Nexus of contracts“
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Das Unternehmen ist nicht nur als bewusste – weil vorteilhafte – Ausnahme des Marktprinzips, sondern auch seiner inneren Struktur wegen Gegenstand institutionenökonomischer Forschung gewesen. Coases gedanklicher Ausgangspunkt der – von ihm als v. a. hierarchisch beschriebenen – Struktur des Unternehmens ist der Vertrag . Unternehmen sind hiernach Vertragsbündel, die einzelne Personen unter dem Ziel ihrer Nutzenmaximierung anbieten oder nachfragen.[1]
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