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Gegenstand der Verkürzung sind nach dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 AO nur Steuern, die in § 3 Abs. 1 S. 1 AO legal definiertsind. Danach sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz eine Leistungspflicht knüpft. Dazu zählt z.B. auch der Solidaritätszuschlag. Abs. 3 nennt auch Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i.S.d. Zollkodex der Union.
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Nach der Legaldefinition des § 370 Abs. 4 S. 1 ist eine Steuerverkürzungzum einen gegeben, wenn der Vergleich der tatsächlich festgesetzten Steuer („Ist-Steuer“) mit der gesetzlich geschuldeten Steuer („Soll-Steuer“)ein Minus der Ist- gegenüber der Soll-Steuer ergibt,[20] und zum anderen, wenn die Festsetzung nicht rechtzeitig erfolgt, obwohl ein Steueranspruch besteht. Der Gesetzgeber hat damit eindeutig festgeschrieben, dass entscheidendes Merkmal nicht die Zahlung der Steuer ist, sondern nur die Festsetzung. Für die Vollendung der Steuerhinterziehung ist deshalb unerheblich, ob es zu einem endgültigen Steuerausfall kommt. Auf eine spätere Zahlung oder Nichtzahlung kommt es nicht an, sondern es ist nur maßgeblich, dass der Steueranspruch zu niedrig, verspätet oder gar nicht festgesetzt worden ist.[21]
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Dies führt nach Ansicht eines Teils der Literatur dazu, § 370 AO als ein abstraktes Gefährdungsdeliktzu qualifizieren.[22] Die Formulierung des § 370 Abs. 4 S. 1 AO belegt dies aber nicht. Die Definition der Steuerverkürzung enthält nur den im Strafrecht anerkannten Grundsatz, dass auch ein Gefährdungsschaden einen Vermögensschaden darstellt. So wie das täuschungsbedingte Eingehen eines schuldrechtlichen Vertrags mit unausgewogenen Leistungspflichten im Rahmen des § 263 StGB schon einen Vermögensschaden in der Form des schadensgleichen Gefährdungsschadens darstellt, weil es die Leistungspflichten der Parteien konkretisiert, so konkretisiert der Festsetzungsbescheid den Steueranspruch. Nach den beim Betrug entwickelten Grundsätzen zur schadensgleichen Vermögensgefährdung ist deshalb der tatbestandsmäßige Erfolg schon mit der Festsetzung der Steuer eingetreten. Wie der Betrugstatbestand ist deshalb auch § 370 AO ein Erfolgsdelikt in der Form eines konkreten Gefährdungsdelikts.[23]
c) Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile
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Nach der hier vorgenommenen Abgrenzung zwischen Steuervorteilen und der Steuerverkürzung kommen als ungerechtfertigte Steuervorteile nur solche steuerlichen Besserstellungen des Steuerpflichtigen in Betracht, welche die Finanzbehörde außerhalb des Festsetzungsverfahrensgewährt.
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Ein Steuervorteil ist aber nicht jede wirtschaftliche Besserstellung, sondern der Vorteil muss spezifisch steuerlicher Art sein, also sich aus den Steuergesetzen ergeben. Im Übrigen kommen als Steuervorteile nur solche Besserstellungen in Betracht, die bereits im Zeitpunkt ihrer Gewährung zu einer Beeinträchtigung des Steueraufkommens führen.[24] Steuervorteile sind z.B. die Steuerstundung, § 222 AO, der Zahlungsaufschub, § 223 AO, die Niederschlagung, § 261 AO, und der Vollstreckungsaufschub, § 258 AO.
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Nicht gerechtfertigtist ein Steuervorteil, wenn der Steuerpflichtige keinen Rechtsanspruch auf ihn hat oder wenn die Bewilligung ermessensfehlerhaft war, weil die Finanzbehörde von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.
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Nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO liegt eine Steuerhinterziehung auch vor, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Damit ist das sog. Kompensationsverbot umschrieben, das den Grundsatz enthält, dass die zur Feststellung der Steuerverkürzung vorzunehmende Gesamtsaldierung auf der Grundlage der Erklärungen des Steuerpflichtigen vorzunehmen ist und nachträglich vorgebrachte steuermindernde Gesichtspunkte bei der Feststellung des Taterfolgs nicht zu berücksichtigen sind.[25] Das Verbot birgt im Steuerstrafrecht ungeahnte Abgrenzungsschwierigkeiten. Es greift nämlich nur, wenn die Steuer „aus anderen Gründen“ hätte ermäßigt werden müssen, was im Umkehrschluss heißt, dass es nicht zur Anwendung kommt, wenn die Gründe für die Ermäßigung mit der verkürzten Steuer zusammenhängen. Der BGH berücksichtigt solche Steuerermäßigungsgründe, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den bei der Berechnung der Soll-Steuer einzusetzenden steuererhöhenden Gründen stehen.[26] Dieses Vorgehen verdient Zustimmung, wenn es sich um Ermäßigungsgründe handelt, die der Täter später nicht geltend machen kann, ohne damit zugleich zu offenbaren, dass er steuererhöhende Tatsachen verschwiegen hat. Bei einer solchen Verknüpfung von Ermäßigungs- und Erhöhungsgründen besteht nämlich nicht die Gefahr, dass der bereits eingetretene Verkürzungserfolg durch die spätere Geltendmachung steuermindernder Gründe noch vergrößert wird. Die praktische Konsequenz des Kompensationsverbots besteht vor allem darin, es dem Gericht zu ersparen, den gesamten Steuervorgang aufzurollen, um den hinterzogenen Betrag zu berechnen. Eingeschränkt muss dieser aber doch bestimmt werden, weil das Kompensationsverbot nicht im Rahmen der Strafzumessung gilt. Das Gericht muss berücksichtigen, ob tatsächlich kein oder nur ein geringer Steuerschaden eingetreten ist.[27] Die Situation gleicht der bei § 263 StGB, weil auch dort zwischen Vermögensschaden als Tatbestandsmerkmal des § 263 StGB und der tatsächlich eingetretenen Schädigung als Strafzumessungsumstand (vgl. § 46 Abs. 2 StGB) zu unterscheiden ist.
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Die Verfolgung der Steuerhinterziehung verjährt in 5 Jahren, da die Höchststrafe 5 Jahre nicht überschreitet (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Nach § 376 Abs. 1 AO beträgt in den in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–6 AO genannten Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung die Verjährungsfrist zehn Jahre.[28]
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Bei Veranlagungssteuernist der durch die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung verursachte Erfolg eingetreten, wenn aufgrund der unrichtigen Erklärung die Steuer zu niedrig festgesetzt wird und dies dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wird.[29] Zu diesem Zeitpunkt ist die Tat zugleich beendet, so dass mit der Bekanntgabe des unrichtigen Bescheids die Verjährung beginnt. Gibt der Steuerpflichtige keine Erklärung ab, soll zu seinen Gunsten zu unterstellen sein, dass der Steuerpflichtige der Letzte gewesen wäre, der veranlagt worden ist. Im Zusammenhang mit dem Verjährungsbeginn ist dagegen in dubio pro reo davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige der Erste gewesen wäre, der veranlagt worden ist. Die Verjährung beginnt also schon, wenn die Behörde mit den Veranlagungsarbeiten beginnt.
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Bei Fälligkeitssteuernist die durch ein positives Tun bewirkte Tat nach h.M vollendet und beendet, wenn die Steuer bei Fälligkeit nicht oder zu niedrig gemeldet wird.[30] Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt danach mit dem gesetzlichen Termin. Auf die Zahlung der Steuern kommt es dagegen – wie oben bereits ausgeführt – nicht an. Die Verjährung beginnt demnach, wenn der Steuerpflichtige am Stichtag die Steuern nicht oder unrichtig anmeldet.
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Macht der Steuerpflichtige eine Steuervergütung geltend, für die es der Zustimmung der Finanzbehördebedarf (§ 168 S. 2 AO), ist die Tat also erst mit der Zustimmung der Finanzbehörde beendet.
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