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Manche Rechtsentwicklung geht aber auch originär auf die Verwaltungsgerichte zurück. Ein prominentes Beispiel für die richterrechtliche Rechtsfortbildung im Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts ist das Staatshaftungsrecht.[158]
§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland› III. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext
III. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext
§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland› III. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext › 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
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Für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland enthält das Grundgesetz von 1949 eine Reihe wichtiger Grundlagenbestimmungen. Art. 20 Abs. 2 GG nennt die Rechtsprechung als dritte Gewalt und verleiht ihr damit eine eigenständige verfassungsrechtliche Kontur. Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung an Recht und Gesetz. Art. 92 GG spricht eine Bestandsgarantie der Dritten Gewalt aus.[159] Art. 97 Abs. 1 GG sichert die Unabhängigkeit der Richter. Art. 95 Abs. 1 GG sieht die Errichtung des BVerwG vor. Art. 19 Abs. 4 GG schließlich gewährleistet effektiven Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt als Grundrecht – dies ist gleichsam die Grundnorm des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Die Verfassung enthält damit bereits die wichtigsten Weichenstellungen. Durch Gesetz werden entlang dieser Vorgaben weitere Ausgestaltungen vorgenommen. Das gilt namentlich für die Organisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verfahren im Einzelnen.[160]
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Der berühmte Satz von Otto Mayer zum Verwaltungsrecht – „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“[161] – lässt sich für Deutschland nicht ohne weiteres auf das Verwaltungsprozessrecht anwenden,[162] weil trotz aller Kontinuitäten und Entwicklungslinien die Verfassungsbindung des Rechtsschutzes gegen die Verwaltung in Deutschland insbesondere mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG 1949 neu einsetzt. Auf das Verwaltungsprozessrecht übertragen lässt sich – für Deutschland – sehr viel besser der Ausspruch von Fritz Werner vom Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht[163]: Auch das Verwaltungsprozessrecht konkretisiert Verfassungsrecht.[164]
§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland› III. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext › 2. Die Institution – Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit
2. Die Institution – Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit
a) Aufbau der Spruchkörper
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Die Frage nach dem Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit berührt unterschiedliche Dimensionen. Neben den Mikrostrukturen der Spruchkörper (Einzelrichter, Kammern, Schöffen etc.) spielt dabei die allgemeinere Stellung der Richter und ihre Einbindung in größere Zusammenhänge – wie etwa die Unterstellung unter ein bestimmtes Ministerium – eine Rolle.
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Die erste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit bilden in Deutschland 51 Verwaltungsgerichte.[165] Sie sind Einrichtungen der Länder, ihre gesetzliche Grundlage finden sie indessen im Bundesrecht (§§ 1, 2 VwGO). Sie entscheiden gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 VwGO grundsätzlich in Kammern in der Besetzung von drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern. Bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit (§ 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO), sie werden auch nicht mit einem Einzelrichter zusammen tätig.[166] Die Übertragung auf einen Einzelrichter soll nach § 6 VwGO der Regelfall bei rechtlich und tatsächlich einfachen Fallgestaltungen sein. Nach § 87a Abs. 2 bzw. Abs. 3 VwGO kann mit Einverständnis der Beteiligten der Vorsitzende oder der Berichterstatter anstelle einer Kammer entscheiden. In der Praxis ist der Einzelrichter heute die Regel, die Kammerentscheidung die Ausnahme.
bb) Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe
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Auf der zweiten Ebene bestehen in Deutschland derzeit 15 OVGs.[167] In jedem Bundesland besteht ein solches Gericht, nur Berlin und Brandenburg haben seit einiger Zeit ein gemeinsames OVG. In Bayern, Baden-Württemberg und Hessen heißen die OVGs aus historischen Gründen „Verwaltungsgerichtshof“ (VGH). OVGs und VGHs sind Einrichtungen der Länder, ihre gesetzliche Grundlage findet sich in §§ 1, 2 VwGO und den entsprechenden Ausführungsgesetzen der Länder.[168] Sie entscheiden gem. § 9 Abs. 2, 3 VwGO in der Regel in Senaten durch drei Richter.[169] § 12 i.V.m. § 11 VwGO sieht die Entscheidung durch einen Großen Senat vor, soweit über eine Frage des Landesrechts endgültig entschieden wird.
cc) Bundesverwaltungsgericht
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Das BVerwG mit Sitz in Leipzig[170] ist das oberste deutsche Verwaltungsgericht. Es ist eine Einrichtung des Bundes, in Art. 95 Abs. 1 GG auf verfassungsrechtlicher Ebene bereits vorgesehen und in § 10 VwGO näher ausgestaltet. Das BVerwG entscheidet im Senat mit fünf Richtern, bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung durch drei Richter. Es bestehen zehn Revisionssenate und zwei Wehrdienstsenate. § 11 VwGO sieht einen Großen Senat vor.[171] 55 Richter sind am BVerwG tätig.[172]
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Die wichtigste Regelung zum Status der Richter trifft die Verfassung: Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind die Richter „unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen“. Ferner wird in Art. 97 Abs. 2 GG festgelegt, dass die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur auf gesetzlicher Grundlage vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden können. Art. 97 Abs. 2 GG sieht ferner vor, dass einfachgesetzlich Altersgrenzen festgesetzt werden können, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.
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Nach Art. 98 Abs. 1 GG ist die Rechtsstellung der Bundesrichter durch besonderes Bundesgesetz zu regeln. Art. 98 Abs. 2 GG legt fest, dass die Enthebung eines Bundesrichters von seinem Amt dem BVerfG obliegt, das mit Zweidrittelmehrheit auf Antrag des Bundestages entscheidet. Für die Länder bestehen ähnliche Regelungen (Art. 98 Abs. 5 GG).
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Die VwGO trifft in §§ 15 ff. weitere Festlegungen zur Stellung der Verwaltungsrichter. Danach werden diese auf Lebenszeit ernannt. Ein Mindestalter ist lediglich für Richter des BVerwG bestimmt, diese müssen mindestens 35 Jahre alt sein. Vor der Ernennung auf Lebenszeit steht eine bestimmte Zeit als Richter auf Probe, in aller Regel drei Jahre. Als Richter im Nebenamt können ordentliche Professoren des Rechts (Universitätsprofessoren) und Richter anderer Gerichte ernannt werden. Ehrenamtliche Richter sind bei VGs vorgesehen, bei OVGs sind sie zum Teil nach Landesrecht vorgesehen.[173] Sie wirken bei der mündlichen Verhandlung mit gleichen Rechten wie die Berufsrichter mit.
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