3.3 Sich-zu-eigen-machen, sich distanzieren
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Ob ein Medium sich Fremdäußerungen zu eigen macht, hängt zunächst davon ab, wie die Darstellung vom Durchschnittsempfänger verstanden wird.[135] Ein Zu-eigen-machen liegt regelmäßig vor, wenn die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint.[136] Das Zu-eigen-machenkann auch „zwischen den Zeilen“ geschehen[137] oder durch weitere Umstände im Kontext der Berichterstattung erfolgen.[138]
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Liegt der Kontext so, dass das Zitat gewissermaßen nur als Bestätigung der bereits geäußerten (eigenen) Auffassung erscheint, liegt ebenfalls ein Sich-zu-eigen-machen vor.[139] Auch in Haupt- und Zwischenüberschriften kann ein Sich-zu-eigen-machen liegen.
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Beim Medium Rundfunk, insbesondere bei Live-Sendungen, ist zu berücksichtigen, dass dieses besonders als „Markt der Meinungen“ fungiert. Der BGH hat deshalb entschieden, dass die ohne Distanzierung erfolgte Ausstrahlung von Äußerungen Dritter noch nicht ohne weiteres bedeute, der Rundfunk identifiziere sich mit ihnen.[140] Dies gilt insbesondere, wenn konträre Auffassungen formal gegenüber gestellt werden. Allerdings kann eine Anmoderation oder eine durch den Beitrag entstehende Gesamttendenz wiederum zum Sich-zu-eigen-machen führen.[141]
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Auch bei Interviews liegt in der Regel kein Zu-eigen-machen der Äußerungen des Interviewten vor.[142] Ebenso reicht die eindeutige Kennzeichnung als gekürzter Fremdbericht für eine Distanzierung im Rahmen der Verbreitung in einer Presseschau aus.[143]
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Das Sich-distanzierenkann auf verschiedene Arten erfolgen. Nicht ausreichen wird es in der Regel, wenn die Äußerung durch leichte Relativierungen etwa in der Form „soweit ich weiß …“ oder „ich nehme an …“[144] oder durch Einschübe wie „… soll“ oder „… soll angeblich …“[145] erfolgt. Letzteres gilt insbesondere für die Äußerung von Gerüchten. Eine sich-zu-eigen-gemachte Behauptung kann auch nicht dadurch zur Verbreitung „umformuliert“ werden, indem man sie gewissermaßen einem – gegebenenfalls sogar anonymisierten – Dritten „in die Schuhe schiebt“, etwa durch die Formulierung „Es wird behauptet, dass …“.[146] Eine fehlende Distanzierung kann auch vorliegen, wenn die Drittäußerung als alleinige Grundlage eines Beitrages verwertet wird und ihre Darstellung den Eindruck erweckt, die Angaben in der Drittäußerung träfen zu.[147] Demgegenüber kann ein erfolgreiches Sich-distanzieren unter Umständen durch das Setzen der Fremdäußerung in Anführungszeichen erfolgen.[148] Bei schwerwiegenden Vorwürfen wird von den Gerichten oft verlangt, die Gegenansicht gegenüber zu stellen.[149]
II. Die Verletzung von Rechten Dritter durch die Wortberichterstattung
1. Persönlichkeitsrechte
1.1 Die Rechtsgrundlagen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird als eigenständiges Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet.[150] Es ist ein sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB. Nach h.M. handelt es sich um ein Rahmenrecht,dessen rechtswidrige Verletzung nur auf der Grundlage einer umfassenden Güter- und Interessenabwägungfestgestellt werden kann.[151]
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Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Der Begriff „Privatleben“ beinhalte nach Meinung des EGMR eine Reihe von Aspekten, die sich auf die Identität einer Person beziehen, wie etwa den Namen der Person[152] oder die physische und sittliche Integrität einer Person.[153] Allerdings ist der Schutz des Privatlebens mit der nach Art. 10 der Konvention garantierten freien Meinungsäußerung zu einem Ausgleich zu bringen.[154] Damit ist festzuhalten, dass auch im Anwendungsbereich der EMRK eine Abwägung der verschiedenen Menschenrechte miteinander stattfindet, grds. ähnlich dem deutschen Recht.[155]
1.2 Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
1.2.1 Natürliche Personen/postmortales Persönlichkeitsrecht
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Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind alle natürlichen Personen. Dies gilt unabhängig vom Bewusstsein der Persönlichkeit, mithin auch für Kleinkinder oder Geschäftsunfähige.[156] Mit dem Tode erlöschen die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechtsgrds. und wirken danach nur in ihrem (Teil-)Element des Fortwirkens der Menschenwürde i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG fort.[157] Gegenstand ist der allgemeine Achtungsanspruch, der davor schützt, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Daneben wird auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert geschützt.[158] Dieser postmortale Schutz der ideellen Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts ist auch nicht wie das Recht am eigenen Bild (§ 22 S. 3 KUG) auf 10 Jahre nach dem Tod der Person begrenzt.[159] Die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts erlöschen jedoch nach 10 Jahren.[160] Ein Angehöriger kann wegen der Veröffentlichung über einen Verstorbenen nur vorgehen, wenn dadurch unmittelbar sein eigenes Persönlichkeitsrecht tangiert wird.[161]
1.2.2 Juristische Personen
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Juristische Personen können sich auch auf den Persönlichkeitsschutz berufen. Der Schutz ist jedoch schwächer ausgeprägt. Er gilt für die juristische Person nur, wenn und soweit er sich aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und den ihr zugewiesenen Funktionen ergibt.[162]
1.3 Einzelne Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann vielgestaltige Ausprägungen haben.
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Das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung über persönliche Lebensumstände, z.B. in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung oder in Bezug auf die Entscheidung, ob und wie jemand in der Öffentlichkeit hervortreten will; nicht aber das Recht, in der Öffentlichkeit so dargestellt zu werden, wie der Betroffene sich selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte;[163] |
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der Schutz vor Indiskretion in den verschiedenen Sphären des täglichen Lebens (Intimsphäre, Privatsphäre, Sozialsphäre, Öffentlichkeitssphäre); |
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der Schutz vor der Unwahrheit; |
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der Schutz von Ehre und Ruf; |
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der Schutz vor der vermögensrechtlichen Verwertung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts;[164] |
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das Resozialisierungsinteresse eines Straftäters. |
Diese Ausprägungen können terminologisch variieren oder sich überschneiden.
1.4 Erforderlichkeit einer Abwägung
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Wie bereits ausgeführt muss die Reichweite des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit schutzwürdigen Interessen des Berichterstattenden oder der Allgemeinheit aus Meinungsäußerungs-, Presse- und Kunstfreiheit abgewogen werden. Dabei reicht der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber Wortberichterstattung und Bildberichterstattung grundsätzlich verschieden weit; während die Veröffentlichung eines Bildes einer Person grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet, ist dies bei personenbezogenen Wortberichten nicht ohne weiteres der Fall.[165] Es bedeutet einen ungleich stärkeren Eingriff in die persönliche Sphäre, wenn jemand das Erscheinungsbild einer Person in einer Lichtbildaufnahme fixiert, es sich so verfügbar macht und der Allgemeinheit vorführt.[166] Eine Wortberichterstattung ist bei vergleichbaren Themen zwar nicht stets in weiterem Umfang zulässig als eine Bildberichterstattung; es ist in solchen Fällen aber einer Frage der einzelfallbezogenen Beurteilung, ob eine Wort- oder die sie begleitende Bildberichterstattung die schwerwiegenderen Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts mit sich bringt.[167] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet dagegen keinen Schutz davor, überhaupt in einem Wortbeitrag individualisierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten.[168]
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