Das charakteristische hohe Pfeifen anfliegender Jäger durchdrang die Luft und schon schossen die ersten Reaper über ihre Köpfe hinweg. Ein paar einsame Flakbatterien eröffneten das Feuer, um sie auf Abstand zu halten.
Aber für die Menge war das einfach zu viel. Mit einer letzten verzweifelten Kraftanstrengung drückte sie sich gegen das Tor und stemmte es mit vereinter Kraft auf. Die Marines wechselten unsichere Blicke mit ihren Offizieren. Ein Major wirkte nachdenklich und schüttelte dann den Kopf. Die Männer ließen ihre Waffen sinken.
Justin atmete erleichtert auf. Die Marines handelten menschlich und ließen die Flüchtlinge gewähren. Jetzt kam es sowieso nur darauf an, so viele wie möglich in die letzten Schiffe zu bekommen. Das stellte jedoch auch ihn vor ein Problem.
»Lauft!«, schrie er seiner Truppe zu. »Wenn ihr von hier wegwollt, dann rennt, als wäre der Teufel hinter euch her!«
Seine Leute ließen sich das nicht zweimal sagen. Justin befolgte seinen eigenen Rat und rannte auf das Flugfeld zu. Es standen noch sieben Fluchtschiffe bereit. Die Rampen waren heruntergelassen und die Türen standen verheißungsvoll weit offen.
Er sah sich nicht um, aber er war sicher, eine Meute verängstigter Menschen folgte ihm. Justin nahm alle Kraft zusammen, die er noch hatte, und beschleunigte seinen Lauf. Er wollte nicht hier zurückbleiben, um zu sterben.
Oder Schlimmeres.
Seine Angst zahlte sich aus. Er war einer der Ersten, die die letzten Schiffe erreichten. Carson und Stollner waren dicht hinter ihm. Justin warf einen Blick zurück. Die Slug-Panzer hatten fast schon die Umzäunung erreicht. Sie feuerten nach allen Seiten und walzten platt, was sich ihnen in den Weg stellte. Zwischen ihnen marschierten Kriegertrupps und diese seltsamen hundeähnlichen Kreaturen. Das MG-Nest, dessen Aufbau er vorhin hatte beobachten können, eröffnete das Feuer. Ein ganzer ruulanischer Trupp und zwei dieser sechsbeinigen Monster gingen zu Boden.
Nicht übel , kommentierte er wortlos den Mut der Milizionäre. Doch einer der Panzer schwenkte seinen Gefechtsturm herum und erwiderte das Feuer aus seinem Hauptgeschütz und die MG-Stellung ging in einem Feuerball auf. Der Fall des Raumhafens stand unmittelbar bevor.
Aus versteckten Stellungen rings um den Raumhafen schossen Raketenwerfer-Trupps der Marines auf die vorrückenden Ruul. Zwei ihrer Panzer standen bereits in Flammen. Während Justin noch einen Blick über die Schulter warf, explodierte ein Dritter. Ursus war vielleicht gefallen. Aber die Verteidiger des Planeten gingen nicht kampflos unter.
»Rein da, Major«, drängte Staff Sergeant Carson.
»Nach Ihnen«, verlangte Justin.
Stollner rannte die Rampe hinauf, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen, ohne sich umzusehen.
»Jetzt Sie!«
Carson lächelte nur wehmütig und schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Major.«
»Was soll das denn heißen?«
»Auch wenn die Evakuierung abgeschlossen ist, wird man hier immer noch Soldaten brauchen. Der Widerstand muss organisiert werden.«
Justin sah seinen Sergeant fassungslos an. »Widerstand? Sind Sie wahnsinnig? Ursus ist verloren. Es gibt keinen Widerstand mehr.«
»Es wird ihn geben. Wenn jemand hierbleibt, der etwas davon versteht. Außerdem muss sich jemand um die Menschen kümmern, die zurückbleiben. Man kann sie schließlich nicht alle sich selbst überlassen. Ich werde hier tun, was ich kann.«
»Die Slugs werden Sie umbringen.«
Carson zuckte lässig mit den Achseln. »Vielleicht, aber noch bin ich nicht tot.« Er lachte bellend auf. »Im Übrigen bin ich zu alt, um wegzulaufen. Sie wissen doch: Ein alter Hund lernt keine neuen Tricks mehr.«
Justin dachte einen kurzen Moment lang nach. Warf dabei der Türöffnung einen fast flehenden Blick zu. »Dann bleibe ich auch.« Sein Blick drückte mehr Entschlossenheit aus, als er in seinem Herzen fühlte.
»Den Teufel werden Sie. Sie haben Familie. Die braucht Sie. Ich habe niemanden. Entweder Sie gehen jetzt diese Rampe hoch oder ich trete Ihnen persönlich in den Arsch … Sir!« Das letzte Wort sagte er mit einem schiefen Grinsen.
Langsam nickte Justin und reichte seinem Staff Sergeant die Hand. Vielleicht hatten sie nie wieder Gelegenheit dazu. »Na schön. Viel Glück, Carson.«
»Danke, Major.«
Justin schluckte schwer. Abschiede waren nicht sein Ding. Sogar ganz und gar nicht. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert, aber ich verspreche, ich werde zurückkommen.«
Carson grinste. »Und ich werde dafür sorgen, dass noch jemand hier ist, den Sie retten können.«
Justin riss sich zusammen und lief die Rampe hinauf, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die Flüchtlingsströme hatten inzwischen die Schiffe erreicht. Es waren hauptsächlich Zivilisten. Nur hin und wieder blitzte die graue Uniform der Miliz oder die dunklere der TKA heraus. Fast fühlte sich Justin wie ein Feigling, weil er zu den wenigen Soldaten gehörte, die flohen. Aber was er gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Er würde zurückkommen. Koste es, was es wolle. Und die Menschheit würde schon sehr bald jeden Soldaten dringend brauchen, den sie bekommen konnte.
Eine Frau, die zwei Kinder in den Armen trug, ging direkt hinter ihm. Justin machte Platz, damit sie zuerst das Schiff betreten konnte. Aber einem Armleuchter dahinter ging es nicht schnell genug. Unter Einsatz seiner Ellbogen verschaffte er seiner Forderung Nachdruck, zuerst ins Schiff zu gelangen. Die Frau stürzte und wäre beinahe von der Rampe gefallen. Justin bekam sie gerade noch zu fassen und zog sie wieder in Sicherheit. Ihre Kinder wimmerten vor Angst. Justin wollte dem Kerl hinterher, der das Innere des Evakuierungstransporters fast erreicht hatte. Doch eine riesige Faust aus dem Inneren des Schiffes bescherte der Flucht des Mannes ein jähes Ende.
Justin konnte das Knacken hören, als die Nase des Mannes brach. Er glaubte sogar, Blutspritzer in alle Richtungen fliegen zu sehen. Der Mann taumelte rücklings und fiel von der Rampe auf den vier Meter tieferen Boden des Raumhafens. Justin weinte dem Emporkömmling keine Träne nach.
Ein Riese von Mann in der grauen Uniform der Miliz stand in der Tür und winkte die Frau, ihre Kinder und ihn auffordernd herein.
Justin half der Frau auf und brachte sie und ihre Kinder sicher ins Innere des Schiffes. Sie warf dem Milizionär und ihm selbst einen dankbaren Blick zu und suchte dann einen Platz für ihre kleine Familie.
Justin musterte den Mann von oben bis unten. Er war sogar noch größer, als er anfangs gedacht hatte. Neben ihm am Boden lag ein schwer verletzter Soldat der Miliz, der gerade von einem Sanitäter notdürftig versorgt wurde. Justin streckte seinem Helfer in ehrlicher Dankbarkeit die Hand hin. »Vielen Dank. Major Justin Hazard«, stellte er sich vor. Der Hüne ergriff die Hand mit festem Griff.
»Keine Ursache. Sergeant Major Hank MacIntyre.«
»Es ist also vorbei«, flüsterte Nyssa fast andächtig.
»So gut wie«, bestätigte Ibrahim. »Die Slugs haben unsere äußere Abschirmung durchbrochen.«
Die zwei Männer waren zwischenzeitlich allein im Zelt. Meskalla war bereits vor einer halben Stunde zu seiner persönlichen Yacht geflohen. So, wie er den Gouverneur einschätzte, hatte das Schiff auch schon abgehoben und war auf halbem Weg zur Nullgrenze.
So sehr er es sich auch wünschte. Er konnte den Mann nicht verdammen. Der Gouverneur war Zivilist. Kein Soldat. Niemand konnte von ihm verlangen, dass er in dem Hexenkessel aushielt, zu dem Ursus geworden war. Apropos aushielt. Das brachte ihn auf etwas.
»Sie sollten jetzt auch langsam gehen, General. Sonst sind alle Plätze auf den Fluchtschiffen vergeben.«
Nyssa sah Ibrahim einen Augenblick lang verständnislos an. Dann dämmerte die Erkenntnis in seinen Augen.
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