MacIntyre musste kein Gedankenleser sein, um zu erkennen, was in den Köpfen seiner Leute vor sich ging. Sie fragten sich, warum sie nicht längst auf dem Weg zum Raumhafen waren, anstatt hier in einer sinnlosen Geste eines zum Scheitern verurteilten Widerstandes einige ruulanische Jäger abzuschießen.
Aber MacIntyre wollte verdammt sein, wenn er die Slugs so einfach davonkommen ließ. Vorher wollte er ihnen wenigstens noch eine blutige Nase verpassen. Zum Glück hatte er auf dem Rückzug diese verlassene Geschützstellung entdeckt. Man hatte sie in einem leeren Gebäude eingerichtet. Das Dach war abgedeckt und durch eine einfach Plane mit der grauen Tarnbemalung für Stadtkämpfe ersetzt worden. Und die Ruul hatten sie tatsächlich nicht entdeckt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Luftabwehrstellungen, die in der Zwischenzeit identifiziert und zerstört worden waren. Die frühere Besatzung dieser Stellung allerdings musste beim ersten Anzeichen des Angriffs geflohen sein.
Verfluchte Feiglinge! , wetterte er in Gedanken.
Aber zumindest hatten sie das Geschütz intakt zurückgelassen. Sogar bereits geladen und feuerbereit. Dadurch ergab sich die Chance, noch einmal etwas zu bewirken. Er bezweifelte, dass je jemand etwas davon erfahren würde, dass eine kleine Handvoll Milizionäre ein paar Jäger abgeschossen hatte. Egal ob Freund oder Feind. Aber er würde es wissen, und das genügte schon.
»Also«, forderte er seine Leute auf. »Sagt an.«
»Entfernung etwa fünfzehn Meilen und nimmt schnell zu«, begann Fletcher. »Sie müssen etwas vorhalten, sonst erwischen Sie sie nicht.«
»Alles klar. Debrovskaja?«
»Geschwindigkeit etwa dreihundert würde ich schätzen.«
»Gut, gut.«
MacIntyre richtete das Geschützrohr aus und zielte gemäß Fletchers Vorschlag ein wenig vor die drei Reaper. Die vier Männer, die nicht am Vorgang des Feuerns beteiligt waren, warteten unbehaglich in einer Ecke. Wie bestellt und nicht abgeholt.
»Jaaa … So ist es richtig.« Die Reaper gewannen weiterhin schnell an Höhe. Nicht mehr lange und sie waren außer Reichweite. Wenn er etwas unternehmen wollte, musste es jetzt geschehen. Er atmete noch einmal tief durch und drückte dann beide Auslöser bis zum Anschlag durch.
Das Geschütz röhrte einmal verächtlich und ein Zittern durchlief die Konstruktion. MacIntyre befürchtete schon, sie hätten beim Ausrichten etwas falsch gemacht, da die Batterie keine Anstalten machte zu feuern. Doch dann stieß der Lauf in schneller Folge Granaten aus. So schnell, dass die Projektile nur als schemenhafte Objekte wahrgenommen werden konnten.
MacIntyre hatte alle Hände voll zu tun, um das Geschütz auf die Reaper gerichtet zu halten. Der Rückstoß war gewaltig und auch für jemanden mit seinem Körpermaßen nicht unbedingt ein Kinderspiel. Das Ergebnis konnte sich jedoch sehen lassen.
Der Reaper auf der rechten Seite wurde voll getroffen und zerfetzt. Der linke hatte etwas mehr Glück. Falls man in diesem Zusammenhang von Glück reden konnte. Beide Tragflächen wurden abgerissen und die Maschine trudelte Richtung Oberfläche zurück. Der Pilot hatte keine Chance, den Fall abzufangen, und konnte nur hilflos abwarten, bis der Jäger aufschlug.
Der Ruul am Steuer des führenden Reapers allerdings musste ein geübter und erfahrener Pilot sein. Bereits als der erste Jäger explodierte, begann der Reaper ein kompliziertes Ausweichmanöver, wobei er seinen anderen Flügelmann sogar als Deckung benutzte.
Das Geschützrohr verstummte. Die Munition war verschossen. MacIntyre verfolgte die Flugbahn des überlebenden Jägers, der nur als kleiner Lichtpunkt am Himmel erkennbar war.
Dem Slug musste ebenfalls aufgefallen sein, dass der Beschuss aufhörte, denn plötzlich ändere er die Richtung.
»Oh, Scheiße!«
MacIntyre sah in die Runde, aber seine Leute waren vor Angst wie erstarrt. Sie hatten nur Augen für den sich nähernden Tod aus den Wolken.
»Bewegt euch, verdammt!«, fluchte der Sergeant Major. »Sonst sind wir alle erledigt.«
Als hätte diese Ankündigung den Bann gelöst, fanden Fletcher und Debrovskaja ihren eigenen Willen wieder. Fletcher öffnete die Abdeckung an der Oberseite der Flakbatterie, während sein Partner ins Nebenzimmer eilte und mit einem weiteren Munitionsstreifen zurückkehrte.
Gemeinsam fummelten sie an der Flak herum und versuchten unter Aufbietung all ihrer Kräfte, den Munitionsstreifen in die schmale, dafür vorgesehene Öffnung zu pressen. Unterdessen ließ MacIntyre den angreifenden Reaper nicht aus den Augen.
Mit einem metallischen Klicken gelang es den Milizionären endlich, die Munition einzuführen und die Abdeckung wieder zu schließen.
»Geschafft!«, verkündete Fletcher triumphierend.
Aber MacIntyre wusste, dass es bereits zu spät war. Der Reaper eröffnete aus seinen Bordwaffen das Feuer auf die ungeschützte Stellung.
Die pure Wucht des Angriffs riss die Flakbatterie aus ihrer Verankerung und schleuderte MacIntyre davon. Sein Flug durch den Raum konnte nur Sekundenbruchteile gedauert haben, doch ihm kam es wie eine Ewigkeit vor. Er prallte gegen etwas Hartes und der Aufprall trieb ihm sämtliche Luft aus den Lungen. Der Sergeant Major japste, doch der Sauerstoff war jetzt mit Mörtel, Staub und kleinsten Partikeln angereichert und er hustete würgend. Außerdem war die Luft nun so heiß, dass er sich beim Einatmen die Luftröhre versengte.
Zwinkernd versuchte er, etwas in seiner Umgebung zu erkennen. Keine einfache Aufgabe, da der ganze Raum von aufgewirbeltem Staub und Dreck verdunkelt wurde. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Lichtverhältnisse. Was er sah, war jedoch nicht wirklich ermutigend.
Das Flakgeschütz lag auf dem Rücken. Das Rohr war verdreht und von Hitze geschwärzt. Von Debrovskaja war nur noch eine verrenkte, schwarz verbrannte Gestalt übrig.
Seine vier Leute, die in der Ecke gestanden hatten, waren nicht mehr da. Einschließlich der ganzen Zimmerecke. Der gesamte Bereich war einfach verschwunden. Nur Brandflecken zeugten davon, was mit seinem Männern geschehen war.
MacIntyre versuchte, sich aufzurichten, aber stechender Schmerz ließ ihn zusammenzucken. Vorsichtig betastete er seine rechte Seite und kam zu dem Schluss, mindestens eine Rippe war gebrochen. Zwar hatte er Schmerzen beim Atmen, aber soweit er das beurteilen konnte, rasselte seine Lunge nicht bei den einzelnen Atemzügen. Dies ließ ihn hoffen, die gebrochene Rippe hatte nicht seinen Lungenflügel perforiert.
Vorsichtig, seine rechte Körperseite schonend, kroch er näher. Das Geschütz hatte sein letztes Gefecht erlebt. Der Reaper hatte längst wieder abgedreht. Der Pilot war wohl zufrieden mit sich und seiner Arbeit. Wäre die Munition im Nebenraum getroffen worden, wäre die Arbeit in der Tat perfekt gewesen. Dann würde er jetzt nicht mehr hier sitzen.
»Es tut mir leid«, flüsterte er leise in den Raum hinein. Er war für seine Leute verantwortlich gewesen, hätte sie in Sicherheit bringen müssen. Und nun waren sie tot. Geopfert in einer sinnlosen Geste. »Es tut mir so unendlich leid.«
Ein kurzes Stöhnen ließ ihn aufhorchen. Nichts. Er glaubte schon, sich getäuscht zu haben. Doch dann stöhnte wieder jemand. MacIntyre biss die Zähne zusammen und unterdrückte den Schmerz, während er das zerstörte Geschütz umrundete.
Auf der anderen Seite, halb unter dem verdrehten Lauf eingeklemmt, lag Fletcher. Schwer verletzt, aber noch am Leben.
»Fletcher?!«, MacIntyre konnte es kaum glauben und sank vor dem verletzten Kameraden auf die Knie. »Fletcher? Können Sie mich hören?« Nur halb benommenes Stöhnen war die Antwort.
Ohne auf seine eigenen Schmerzen zu achten, griff der Sergeant Major nach dem zerstörten Geschütz und stemmte sich mit allen seinen nicht unbeträchtlichen Kräften dagegen. Dicke Schweißperlen rannen ihm aus allen Poren und durchtränkten die Reste seiner Uniform. Der Schmerz in seiner Seite war unbeschreiblich, aber er konnte nur daran denken. Fletcher zu befreien.
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