1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Einer der Abgeordneten von Rainbow – ein älterer Mann mit Kinn- und Backenbart, aber dafür kaum noch Haare auf dem Kopf – stand müde und bis ins Mark getroffen auf.
»Welche Unternehmungen plant die Flotte zur Rückeroberung der besetzten Systeme und was ist über das Schicksal der Zivilbevölkerung bekannt?«
Schlagartig war es wieder still im Saal. Die Antwort auf diese Frage wollte jeder hören. Und es war die Frage, vor der Magnus die meiste Angst gehabt hatte. Doch noch hatte er ein Mittel, um die Antwort auf diese Frage ein wenig hinauszuzögern.
»Dazu komme ich gleich«, lenkte er ab. »Zuvor aber muss ich jedoch dieses Gremium um einige wichtige Entscheidungen ersuchen. Die Ruul haben uns vor dem Angriff keine offizielle Kriegserklärung zukommen lassen, dennoch gibt es keinerlei Zweifel daran, dass wir uns derzeit mit den Ruul im Krieg befinden. Daher bitte ich das Parlament hiermit formell darum, den Kriegszustand auszurufen. Dies ist zwingend notwendig, um den nächsten logischen Schritt zu vollziehen, nämlich die Einberufung eines großen Teils der Reserve sowie die Umstellung der Wirtschaft auf Rüstungsgüter und die Verstaatlichung einiger ziviler Werften, um die Produktion von Kriegsschiffen zu unterstützen.«
Er stockte kurz. Seine nächste Ankündigung würde nicht gerade sehr populär sein.
»Um unsere erheblichen Verluste auszugleichen, bitte ich Sie außerdem, die Generalmobilmachung zu beschließen.«
Schockiertes Schweigen senkte sich erneut über den Saal. Dann schien das Parlament förmlich zu explodieren, als alle gleichzeitig aufsprangen und wild durcheinanderredeten.
»Bitte«, schrie Magnus in sein Mikrophon. »Bitte, so bringt uns das doch nichts. Bitte beruhigen Sie sich.«
Seine Worte zeigten Wirkung. Viel zu langsam, wie Magnus fand, dennoch kehrte wieder etwas Ruhe in den Plenarsaal ein. Die Abgeordneten von Delta Corona und Alabama standen fast gleichzeitig auf.
»Wissen Sie eigentlich, welchen Schaden Sie damit unserer Wirtschaft zufügen?«, fragte der Abgeordnete von Alabama. Sein Amtskollege von Delta Corona nickte zustimmend. »Wenn Sie das Gros der jungen Männer und Frauen einziehen, um im Krieg zu kämpfen, wird die Wirtschaft in sich zusammenbrechen. Es wird zu viele Lücken in den Fabriken und Firmen geben. Wer soll die alle füllen?«
»Um ganz ehrlich zu sein, Herr Abgeordneter, um die Schäden für die Wirtschaft mache ich mir im Augenblick weniger Sorgen. Die wird sich über kurz oder lang erholen. Aber wenn die Ruul uns weiter derart massiv zusetzen, werden sie uns in die Steinzeit zurückbomben. Es wird nichts von uns übrig bleiben. Gar nichts. Gibt es weitere Wortmeldungen zu dem Thema? Nein? Dann schlage ich vor, wir schreiten zur Abstimmung.«
Magnus versuchte abzuschätzen, wer dafür und wer dagegen sein würde. Was ihm Kopfzerbrechen bereitete, waren die vielen Unentschlossenen, die ratlos die Köpfe zusammensteckten und über ihr Votum berieten. Schließlich gab jeder Abgeordnete über drei Knöpfe vor sich seine Stimme ab. Als Magnus das Ergebnis schließlich vor sich sah, hätte er am liebsten vor Erleichterung tief durchgeatmet. 311 Stimmen dafür, 27 Enthaltungen und 71 dagegen. Das war zwar nicht so gut, wie er gehofft hatte, aber trotzdem gab es eine deutliche Mehrheit.
»Der Vorschlag ist also angenommen«, verkündete er.
Der Abgeordnete von Rainbow stand wieder auf. »Sie haben meine Frage immer noch nicht beantwortet. Welche Pläne gibt es zur Rückeroberung der besetzten Welten und was ist mit der Zivilbevölkerung geschehen? Gibt es bereits zuverlässige Berichte über das Vorgehen der Ruul gegen Zivilisten?«
Magnus tat so, als würde er seine Unterlagen sortieren. Das verschaffte ihm einige kostbare Sekunden, in denen er seine Gedanken ordnen konnte. Dieser Frage konnte er nun nicht mehr ausweichen, durfte ihr auch nicht ausweichen, wenn er seine Glaubwürdigkeit vor dem Parlament behalten wollte.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren. Das alles fällt mir weiß Gott nicht leicht, dennoch ist es meine Pflicht, es Ihnen ohne Umschweife zu sagen. Derzeit sind wir nicht in der Lage, einen effektiven Gegenschlag auf die Beine zu stellen. Wir müssen …«
Ein Sturm der Empörung schnitt ihm das Wort mitten im Satz ab. Die Abgeordneten hielt es nicht länger auf ihren Sitzen. Alles schrie durcheinander. Hin und wieder flog sogar eine Beleidigung in Richtung des Präsidenten. Magnus wusste, er konnte dagegen nicht angehen, also saß er den Sturm einfach aus, tat nichts und wartete darauf, dass sich die Abgeordneten ausgetobt hatten. Mit mehr Geduld, als er eigentlich bereit war einzusetzen, wartete er bis alle – wirklich alle – wieder auf ihren Sitzen Platz genommen hatten. Und das dauerte eine Weile. Als die Abgeordneten endlich saßen, sprach Magnus eindringlich weiter.
»Wir müssen unsere Verteidigung stärken. Darauf kommt es jetzt an. Unsere Verteidigung stärken und unsere Kräfte wieder aufbauen. Dann – und erst dann – können wir hoffen, irgendwann die Ruul von unseren Welten vertreiben zu können. Wenn wir uns jetzt blindlings in ein Abenteuer von galaktischen Ausmaßen stürzen, würde das nur zu einem führen: zu unserer totalen Auslöschung. Denn eines muss uns allen unbedingt klar sein: Wir stehen einem gnadenlosen, unbarmherzigen Feind gegenüber, der geschworen hat, uns zu vernichten. Dies dürfen wir nie vergessen. Daher müssen wir klug und besonnen handeln. Ich verspreche Ihnen, es wird eine Gegenoffensive geben. Doch erst, wenn wir bereit dafür sind. Nicht vorher.«
Die Eindringlichkeit seiner Worte und die Ernsthaftigkeit seiner Mimik machten Eindruck und verfehlten ihre Wirkung nicht. Mehr als einer der Abgeordneten machte einen nachdenklichen Eindruck. Selbst die Abgeordneten, deren Heimat sich nun hinter der Front befand. Das machte das, was er nun tun musste, nicht gerade einfacher. Die ganze Sitzung lang, hatte er nur auf diesen einen Punkt hingearbeitet. Die Nachricht, dass die Menschheit noch mehr ihres Bodens aufgeben musste, wenn sie eine Hoffnung auf Überleben haben wollte.
»Was ich nun sagen muss, widerstrebt mir zutiefst. Das können Sie mir wirklich glauben, aber ich habe mich bereits den ganzen Tag mit meinen Stabschefs beraten und sie versicherten mir, dass es unsere einzige Hoffnung ist, diesen Krieg zu überstehen. Die ranghöchsten Offiziere der Waffengattungen legten mir heute einen Plan vor, der einige Aussicht auf Erfolg hat. Doch selbst wenn er gelingt, müssen wir einen furchtbar hohen Preis dafür zahlen.«
Er war sich schmerzhaft der Aufmerksamkeit bewusst, in deren Mittelpunkt er sich befand. Vonseiten der Abgeordneten, der Medien und sogar der Menschen, die die Sitzung zu Hause vor dem Fernseher verfolgten.
»Wir haben vor, eine Verteidigungslinie aufzubauen, die die Ruul wird aufhalten können. Die Linie besteht aus den Koloniewelten Starlight und Serena sowie dem unbewohnten Fortress-System. Aber um dies zu erreichen, müssen wir mehrere derzeit noch umkämpfte Systeme aufgeben sowie drei weitere evakuieren.«
Magnus erwartete, der Sturm der Entrüstung würde erneut losbrechen, doch nichts dergleichen geschah. Die Abgeordneten, die Journalisten und Kamerateams sahen ihn alle mit offenem Mund an, als hätte er den Verstand verloren. Im hintersten Winkel seines Verstandes fragte er sich, ob sie damit nicht vielleicht sogar recht hatten.
Plötzlich gellte eine schrille Stimme durch den Saal. »Sind Sie verrückt geworden? Die Ruul überrennen unsere Welten und jetzt wollen Sie ihnen sogar noch mehr davon in den Rachen werfen?«
Magnus konnte nicht ausmachen, woher die Stimme kam. Gut möglich, dass es nicht mal ein Abgeordneter war, sondern ein Mitglied der Presse. Er antwortete dennoch.
»Diese Entscheidung ist uns wirklich nicht leicht gefallen …«
»Sie Wahnsinniger«, schrie ein anderer, »wir werden diesen Krieg nicht gewinnen, indem wir dem Feind unsere Welten kampflos überlassen!«
Читать дальше