3.2.17 Negatives Hervorheben
Begünstigende Kindheitserfahrungen
Dieses Schema entsteht häufig durch eine pessimistische Grundhaltung wichtiger Bezugspersonen, wenn diese z. B. selbst an depressiven Erkrankungen litten. So lernen Kinder am Modell dieser Personen, grundsätzlich vom Negativen auszugehen. In anderen Fällen erleben Kinder sehr viele Enttäuschungen und Deprivationen, sodass die Grunderwartung entsteht, dass es im Leben immer weitere Enttäuschungen und negative Erfahrungen geben wird.
Auswirkung im Erwachsenenalter
Betroffene fokussieren sich stark auf negative Aspekte der unmittelbaren Situation, haben negative Erwartungen an andere und selektieren auch bei sich selbst grundsätzlich negative Eigenschaften. Diese pessimistische Grundhaltung führt häufig zur Aktivierung verletzlicher Emotionen (Angst/Trauer), häufig aber auch im Sinne des Selbstbehauptungsbedürfnisses zu Ärger. Insbesondere Freude wird als gefährlich erlebt, denn Betroffene machten in der Regel die Erfahrung, dass Freude nicht anhält und mit aversiven Erlebnissen sogar »bestraft« wird.
Fallbeispiel – 50-jähriger Software-Entwickler mit ängstlicher Persönlichkeitsstörung
Ein 50-jähriger Software-Entwickler mit einer ängstlichen PS wuchs als Einzelkind bei seiner Mutter auf, nachdem sein Vater diese noch vor seiner Geburt verlassen hatte und jeglichen Kontakt zu ihm ablehnte. Seine Mutter war selbst sehr pessimistisch und »vom Leben enttäuscht« und litt an wiederkehrenden depressiven Episoden. Er wurde in der Schule häufig gehänselt, wobei seine Mutter ihn nie unterstützte und ihm vielmehr vermittelte, »es bringt sowieso nichts, sich dagegen zu wehren oder die Schule zu wechseln, denn Kinder sind immer gemein«. Er lernte, sich von Schulkameraden möglichst fern zu halten und ließ sich auch auf keine engen Beziehungen ein, denn er ging immer davon aus, dass diese kein glückliches Ende nehmen können. Heute noch lebt der Patient allein in seiner Wohnung und pflegt das Lebensmotto »Man kann gerne aufs Beste hoffen, aber man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen«.
3.2.18 Strafneigung
Begünstigende Kindheitserfahrungen
Vor allem häufige und intensive Bestrafungen durch Erziehungsfiguren bei unerwünschtem Verhalten oder Fehlern führen zur Entstehung dieses Schemas. Bestrafungsmaßnahmen können sehr unterschiedlich sein (Bindungsentzug und Ignoranz, Hausarrest, verbale Entwertungen, körperliche Bestrafung). Kinder lernen sowohl am eigenen Leibe als auch am Modell, dass Fehlverhalten immer negative Konsequenzen hat.
Auswirkung im Erwachsenenalter
Betroffene erleben Fehler und das nicht Erfüllen von Erwartungen als unentschuldbar. Durch die o. g. Erfahrungen in der Kindheit entwickeln viele Menschen sowohl starke Ängste vor Bestrafungen, was die eigene Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen oder auch zu Rückzug und Vermeidung führen kann, als auch die Tendenz zu Scham- und Schuldgefühlen, wenn ihnen ein Fehler unterläuft. Gleichzeitig können Betroffene die Tendenz entwickeln, mit ähnlichen Maßstäben andere Menschen zu behandeln und genauso auf Fehler anderer sehr bestrafend zu reagieren.
Fallbeispiel – 19-jährige Patientin mit depressiver Krise
Bei der o. g. 19-jährigen Patientin mit einem stark ausgeprägten Schema »Überhöhten Standards« fand sich ebenso ein starkes Strafneigungsschema. Nach den erwähnten Kontrollrunden durch ihren Vater wurden »schlechte Noten« grundsätzlich bestraft, im Vorschulalter mit Aufmerksamkeitsentzug und entwertenden Blicken, später mit Kürzung von Taschengeld oder von Ausgangsrechten sowie mit verbalen Entwertungen. Die Patientin lernte, sich einerseits vor den Konsequenzen vermeintlichen »Fehlverhaltens« zu fürchten, andererseits sich sehr schuldig zu fühlen und sich zu schämen. Nach der Verschlechterung ihrer Leistungen im Studium kam es nicht nur zu einem starken Selbstwertverlust, sondern auch zu massiven Schuldgefühlen und zu der Überzeugung, ihre schlechten Leistungen müssen bestraft werden.
3.3 Schemata als »O-Variable« in der SORK-Analyse
Schemata können als eine Art »Erbe« unserer Lebenserfahrung im Sinne früh eingeprägter Erlebnismuster angesehen und somit der »Organismus-Variable« zugeordnet werden. Schemata beeinflussen stark die Art und Weise, wie wir aktuelle Situationen wahrnehmen und emotional bewerten. Sie werden im Prinzip von bestimmten »Hinweis-Stimuli« getriggert. Beim o. g. Beispiel der 45-jährigen Patientin mit einem starken Misstrauensschema ist der auslösende Stimulus die Frage des Therapeuten nach der Fahrt bis zur Praxis. Vor dem Hintergrund einer sehr belastenden Lebensgeschichte und massiv traumatischer Erfahrungen mit ihren Eltern und in Kinderheimen, aktiviert sich in der Patientin in Mikrosekunden dieses Schema als eine Art »Alarm«. Diese Schemaaktivierung beeinflusst sehr stark alle weiteren Reaktionen, sowohl die internalen emotional-physiologischen und kognitiven Reaktionen als auch die darauffolgenden sichtbaren Verhaltensweisen (
Abb. 3.2).
Abb. 3.2: Schemata in der SORK-Mikroanalyse
3.4 Unkonditionale und konditionale Schemata
Vor dem Hintergrund der Chronologie der Entstehung früher maladaptiver Schemata können diese in zwei Gruppen unterteilt werden. Insbesondere die Schemata der ersten und zweiten Domäne entstehen meistens in der frühen Kindheit und stehen in direkter Verbindung mit primären emotionalen Reaktionen auf frühe zwischenmenschliche Beziehungen und auf die direkte Frustration von Bindungs- und Selbstbehauptungsbedürfnissen. Die durch diese Deprivationen entstandenen Muster sind älter und liegen tiefer im Persönlichkeitsgerüst und werden deswegen »unkonditional« genannt. Dahingegen stellen Schemata der vierten und fünften Domäne eine Art sekundäre Reaktion auf die unkonditionalen Schemata der ersten zwei Domänen dar und sind gewissermaßen bereits ein Bewältigungsversuch, weswegen sie »konditional« genannt werden. So können z. B. die Schemata »Unterordnung« oder »Selbstaufopferung« (Domäne IV) in enger Verbindung mit den Schemata »Verlassenheit« oder »Emotionale Entbehrung« (Domäne I) stehen und eine Art Bewältigungsstrategie des Kindes darstellen. Genauso kann das Schema »Überhöhte Standards« z. B. mit dem Schema »Unzulänglichkeit/Scham« (Domäne I) oder »Erfolglosigkeit/Versagen« (Domäne II) stehen. Die Schemata der dritten Domäne können sowohl konditional als auch unkonditional sein.
3.5 Schema-Bewältigungsoperationen
Ein (frühes maladaptives) Schema ist primär ein Erlebnismuster, das die Wahrnehmung des Selbst, der Umwelt und insbesondere des Verhaltens anderer Menschen entscheidend beeinflusst und emotionale Reaktionen prägt. Schemaaktivierungen sind in aller Regel mit aversiven Emotionen assoziiert und beinhalten zwar im Ansatz manchmal Handlungstendenzen, jedoch kein sichtbares Verhalten. Um diese »Lücke zu schließen«, postulierte Young zunächst das Konzept von Schema-Bewältigungsoperationen (bzw. -reaktionen) als vermutete intrapsychische Dynamik im Sinne eines »Verbindungsgliedes« zwischen Schemaaktivierungen und sichtbarem Verhalten.
Schemabewältigung bezeichnet die intrapsychische Reaktion eines Menschen auf ein bestimmtes Schema und die damit assoziierten Emotionen. Es handelt sich um ein rein theoretisches Konstrukt.
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