3.2.10 Anspruchshaltung/Grandiosität
Begünstigende Kindheitserfahrungen
Dieses Schema kann einerseits entstehen, wenn Kinder häufig die Erfahrung machten, wichtiger als andere zu sein und eine besondere Behandlung z. B. im Vergleich zu anderen Geschwistern bekamen. Andererseits kann dieses Schema auch sekundär (»reaktiv«) entstehen, wenn eine starke Frustration des Bindungs- oder des Autonomiebedürfnisses stattfand und Kinder (häufig in der Pubertät) durch die Entstehung dieses Schemas und der damit verbundenen aufmerksamkeitssuchenden expansiven Handlungstendenzen diese Frustration kompensieren konnten.
Auswirkung im Erwachsenenalter
Betroffene erleben sich selbst und die eigenen Bedürfnisse als wichtiger und prioritärer als die Bedürfnisse anderer Menschen. Sie erwarten eine besondere Behandlung und nehmen intuitiv an, sie hätten auch das Recht darauf. Die Annahme, etwas Besonderes zu sein, löst einerseits positive Emotionen aus (Freude, Stolz), führt aber zu Kränkungen (sowohl Trauer als auch Ärger), wenn eine gegenteilige Erfahrung gemacht wird.
Fallbeispiel – 30-jähriger Patient mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung
Ein 30-jähriger Patient mit einer narzisstischen PS erlebte in seiner Kindheit als einziger Junge unter fünf Geschwistern, dass seine Wünsche wichtiger sind als die seiner Schwestern. Er wurde als »Prinz« in einem eher patriarchalischen System in Disputen mit seinen Schwestern immer favorisiert. Er hatte auch als einziges Kind der Familie ein eigenes Kinderzimmer. Während seiner stationären Behandlung kam er einmal 30 Minuten zu spät zu einem Einzelgesprächstermin, weil er eingeschlafen war und niemand ihn weckte. Er erwartete fast selbstverständlich von seinem Therapeuten, dass er den nächsten Patienten nach ihm einfach 30 Minuten warten lässt, sodass er seine ganze Sitzung haben kann, denn es sei nicht seine Schuld gewesen, er habe nicht mit Absicht verschlafen und der nächste Patient könne warten, man sei schließlich in der Klinik und habe Zeit. In seinen Augen war es zunächst schwer verständlich, dass sein Therapeut nach 20 Minuten das Gespräch beendete und den darauffolgenden Termin pünktlich beginnen wollte.
3.2.11 Unzureichende Selbstkontrolle
Begünstigende Kindheitserfahrungen
Dieses Schema entsteht in vielen Fällen durch einen Mangel an Disziplin und angemessene Forderung und Anleitung, sodass ein Kind keine gute Impulskontrolle und keinen gesunden Umgang mit Frustrationen erlernen kann. Alternativ entwickelt sich dieses Schema aber auch als Kompensation des Kindes im Jugendalter von zu starken Begrenzungen durch Bezugspersonen und zu strenger Unterbindung spontanen Verhaltens in früheren Jahren.
Auswirkung im Erwachsenenalter
Betroffene erleben in der Regel große Schwierigkeiten, sich anzustrengen, Frustrationen zu tolerieren, Belohnungen aufzuschieben und mit anderen Menschen zu kooperieren bzw. sich einzuordnen. Insbesondere Situationen, in denen dies von ihnen erwartet wird, lösen die Aktivierung dieses Schemas aus, sodass Betroffene undiszipliniert und mit einer Tendenz zur Bequemlichkeit bis hin zu Schonverhalten und Vermeidung reagieren.
Fallbeispiel – 25-jähriger Patient mit geringer Impulskontrolle
Ein 25-jähriger Patient verbrachte die meiste Zeit unter der Woche bei seiner Großmutter, da seine Mutter tagsüber arbeitete. Nachdem sein Vater seine Mutter und die Familie verlassen hatte, machte sich seine Großmutter große Sorgen um ihn und erfüllte ihm fast jeden Wunsch. Sie unterstützte ihn nicht bei der Erledigung von Hausaufgaben und gab ihm häufig das Gefühl, diese seien auch nicht wichtig. Er durfte essen, wann immer und so viel er wollte und nahm schnell an Gewicht zu, dies führte jedoch zu keinen Konsequenzen. Nach dem Schulabschluss hatte der Patient größte Schwierigkeiten, eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle länger als ein halbes Jahr zu behalten. Nach dem gleichen Muster berichtete er immer, dass er nach einer ersten Phase der Euphorie das Interesse an der neuen Stelle verlor und ihm schwerfiel, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen und sich an Regeln zu halten. Er spielte lieber bis spät in der Nacht am PC und konnte morgens nicht rechtzeitig aufstehen.
3.2.12 Unterordnung/Unterwerfung
Begünstigende Kindheitserfahrungen
Dieses Schema kann sich entwickeln, wenn Eltern systematisch die Bedürfnisse des Kindes übergehen, sodass diese lernen, eigene Emotionen und Wünsche zu unterdrücken und zurückzuhalten und sich eher nach außen zu orientieren und sich anzupassen.
Auswirkung im Erwachsenenalter
Betroffene erleben v. a. in der Interaktion mit anderen Menschen grundsätzlich die Tendenz, deren Bedürfnisse als wichtiger zu erachten und im Zweifelsfall sich danach zu richten und die eigenen Wünsche zurückzustellen. Das Schema wird besonders aktiv, wenn Betroffene die Diskrepanz zwischen eigenen Wünschen und denen des Gegenübers wahrnehmen, wobei in der Regel ein Anspannungsgefühl und vor allem der Drang entsteht, es dem anderen recht zu machen. Diese Aktivierung steht häufig im Zusammenhang mit Angst vor Ablehnung und Bindungsverlust, im Falle einer anhaltenden Unterdrückung eigener Wünsche führt es jedoch zur Entstehung und »Ansammlung« von Ärger, was auch zu gelegentlichen impulsiven Ausbrüchen führen kann.
Fallbeispiel – 58-jähriger Patient mit einer dependenten Persönlichkeitsstörung
Ein heute 58-jähriger Patient mit einer dependenten PS und wiederkehrenden depressiven Phasen wuchs als älterer Sohn bei einem sehr dominanten und leistungsfordernden Vater und einer Mutter auf, die sich dem Vater in den meisten Fällen unterwarf. Es gab sehr klare Regeln und in den meisten Fällen mussten die Kinder immer zum Vater gehen und ihn um Erlaubnis bitten, wenn sie bspw. im Garten spielen wollten. Seine Mutter traf auch keine eigenständigen Entscheidungen, sondern verwies immer auf ihren Ehemann. Der Patient lernte sowohl an ihrem Beispiel als auch in der direkten Interaktion mit seinem Vater, sich unterzuordnen. Sein Vater traf in den meisten Fällen auch für ihn Entscheidungen, wie z. B. welches Musikinstrument er lernen oder auch welches Fach er studieren sollte. Erst im Erwachsenenalter traute er sich, sich gegen die Dominanz seines Vaters zu wehren. Er brach das vom Vater für ihn ausgesuchte Medizinstudium ab und wurde gegen dessen Willen Lehrer, was zur großen Enttäuschung und vor allem zu einer heftigen Auseinandersetzung führte, sodass der Vater mehrere Jahre nicht mehr mit ihm sprach. Heute noch ist der Patient insgesamt sehr unterwürfig und gibt bei fast jedem Konflikt z. B. mit seiner Frau oder auch mit Arbeitskollegen in der Schule nach. Er sucht wenn immer möglich Harmonie und kann selten »nein« sagen.
3.2.13 Selbstaufopferung
Begünstigende Kindheitserfahrungen
Häufig entwickelt sich dieses Schema, wenn ein Kind für andere sorgen und Verantwortung übernehmen muss. Das ist der Fall, wenn Kinder bei Eltern aufwachsen, die aufgrund eigener psychischer Störungen (z. B. Alkoholabhängigkeit) oder körperlicher Beeinträchtigungen (z. B. Gehbehinderungen) nicht nur die Elternrolle nicht erfüllen (können), sondern auch Schwierigkeiten haben, für sich selbst zu sorgen. Das passiert ebenfalls, wenn Kinder für jüngere Geschwister die Versorgung übernehmen (müssen). Ein Kind lernt dadurch grundsätzlich, dass es für das Wohlbefinden anderer Menschen zuständig ist und entwickelt die fast reflexartige Tendenz, proaktiv für andere zu sorgen, i. d. R. unter Vernachlässigung des eigenen Wohlbefindens.
Auswirkung im Erwachsenenalter
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