Es gibt mehrere kortikale und subkortikale Strukturen, die in der affektiven Verarbeitung von Stimuli und der Emotionsgeneration und -regulation involviert sind. Aktuelle Forschungsergebnisse weisen bzgl. der Emotionsgeneration insbesondere auf die zentrale Rolle von vier Regionen hin (Ochsner et al. 2012; Paus 2001; Pessoa und Adolphs 2010): die Amygdala, der Hippocampus, das ventrale Striatum und der ventromediale präfrontale Kortex (VMPFC), der die emotionale »Bedeutsamkeit« der in den ersten drei Strukturen »bottom-up« generierten emotionalen Stimuli beobachtet und bewertet. Die Amygdala ist nicht nur bei Angstreaktionen aktiv (wie früher angenommen), sondern vermutlich in komplexer Weise an der gesamten Arousalmodulation und der sozial-emotionalen Einschätzung von Stimuli beteiligt. Also auch bei belohnungsversprechenden sozialen Situationen (Damasio et al. 2000).
Insbesondere Regionen des lateralen präfrontalen Kortex (LPFC) scheinen eine zentrale Funktion bei der »top-down« Modulation der o. g. Strukturen und somit bei der Regulation emotionaler Reaktionen zu spielen: der ventrolaterale präfrontale Kortex (VLPFC) und der dorsolaterale präfrontale Kortex (DLPFC; Ochsner et al. 2012). Der VMPFC scheint nicht nur bei der Emotionsgeneration eine wesentliche Rolle zu spielen, sondern auch zwischen DLPFC und der Amygdala während der emotionalen »Bewertung« externer Stimuli zu vermitteln und somit eine Schlüsselrolle auch in der Emotionsregulation zu spielen. Banks et al. (2007) konnten z. B. nachweisen, dass die Interaktion zwischen Amygdala (Emotionsgeneration) und diesen beiden Strukturen bei Menschen mit besserer Affektregulation signifikant höher ist.
2.2.1 Komplexe neuronale Netzwerke (»large scale brain networks«)
Komplexe Prozesse im Gehirn werden in der modernen neurobiologischen Forschung weniger als Aufgabe einzelner Strukturen, sondern als das Ergebnis der funktionalen Zusammenarbeit verschiedener Strukturen verstanden. Eine Gruppe von synchron aktiven Hirnregionen wird in diesem Kontext als Netzwerk bezeichnet.
In rs-fMRI (resting state functional MRI)-Studien konnten zwei antikorrelierte Netzwerke identifiziert werden (Seeley et al. 2007), welche in Bezug auf Emotionsgeneration und -regulation von hoher Relevanz zu sein scheinen: das Ruhezustandsnetzwerk (default mode network DMN) und das exekutive Kontrollnetzwerk (executive control network ECN). Das Salienznetzwerk (salience network SN) scheint eine entscheidende Rolle beim »Wechseln« zwischen DMN und ECN zu spielen (Menon und Uddin 2010; Menon 2015).
Default Mode Network (DMN)
Das Ruhezustandsnetzwerk (DMN), auch Standardnetzwerk genannt, aktiviert sich, wenn der Fokus der Aufmerksamkeit nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet wird und der Mensch sich in einer Art Ruhezustand befindet, in dem er selbstreflektiert in Kontakt mit eigenen Gedanken, Emotionen, Motivationen und autobiografischen Erinnerungen kommt sowie seine Zukunft plant und verschiedene Perspektiven visualisieren kann (Raichle und Snyder 2007; Buckner et al. 2008). Der VMPFC gilt als wesentlicher Kern des DMN, wobei auch die Amygdala und der Hippocampus damit in Verbindung gebracht werden. Auch zum DMN gehören der dorsomediale präfrontale Kortex (DMPFC), der perigenuale anteriore cinguläre Kortex (pACC) und der posteriore cinguläre Kortex (PCC), der inferiore Parietallappen (IPL) und der laterale temporale Kortex (LTC).
Executive control network (ECN)
Exekutive Kontrollnetzwerke sind aktiv während Tätigkeiten und kognitiv anspruchsvollen Aufgaben, welche nach Außen gerichtete Aufmerksamkeit benötigen (Seeley et al. 2007; Fox et al. 2005; Uddin et al. 2009). Die ECN-Aktivierung ermöglicht im Gegenteil zum DMN eine zielgerichtete Aufmerksamkeitsfokussierung und spielt somit eine entscheidende Rolle bei der Entstehung lösungsorientierten außengerichteten Verhaltens. Der DLPFC gilt als der wesentliche Kern des ECN, zusammen mit dem ventrolateralen präfrontalen Kortex (VLPFC) und dem superioren Parietallappen (SPL). DMN und ECN sind wie bereits erwähnt antikorrelierend: ECN-Aktivierung führt zur Hemmung vom DMN.
Dieses Netzwerk scheint nicht nur eine wichtige Rolle bei der Identifikation und Integration bedeutsamer emotionaler und sensorischer Stimuli zu spielen, sondern beeinflusst auch die Fokussierung der Aufmerksamkeit und die Verwaltung von Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses (Menon 2015). Das Salienznetzwerk könnte dabei also eine wesentliche Rolle beim gerichteten »Wechsel« zwischen DMN und ECN spielen. Die wesentlichen Kerne des SN sind die anteriore Inselrinde oder Insula (AI) und der dorsoanteriore cinguläre Kortex (dACC). Zum SN zählen aber auch subkortikale/limbische Strukturen: Amygdala, Ventrales Striatum und Substantia nigra. Dieses Netzwerk scheint aufgrund seiner dynamischen »Mediationsrolle« zwischen DMN und ECN bei zahlreichen komplexen Funktionen beteiligt zu sein, unter anderem beim sozialen Verhalten und der zwischenmenschlichen Kommunikation (Craig 2009; Menon und Uddin 2010; Menon 2015).
Abb. 2.1: Neurobiologische Grundlagen (Smesny 2018, S. 2; Abdruck mit freundlicher Genehmigung)
Psychotherapeutische Techniken unterbrechen automatisierte außenfokussierte Bewältigungsreaktionen (ECN) und versetzen den Patienten gezielt in selbstreflexive Zustände (DMN), bei denen der Fokus der Aufmerksamkeit auf sich und die eigene »Innenwelt« gerichtet wird. Anschließend wird in der Psychotherapie das Erlernen bewusster Kontrollfertigkeiten mittels konkreter Übungen angestrebt, bei denen der Patient seine Aufmerksamkeit wieder nach außen orientiert und neue adaptivere Bewältigungsstrategien ausübt (ECN).
2.3 Akzeptanz als Emotionsregulationsstrategie
Psychologische Modelle zum Verständnis von Emotionsregulation können prinzipiell in zwei Gruppen kategorisiert werden: Modelle mit Fokus auf Veränderungsstrategien und Modelle mit Fokus auf Akzeptanz. Akzeptanzorientierte Modelle sind verhältnismäßig neue Entwicklungen. In diesem Fall erfolgt Emotionsregulation nicht durch direkte Veränderung, sondern »indirekt« im Rahmen des Erlernens von Strategien zur emotionalen Akzeptanz, welche sich in Verfahren der 3. Welle der Verhaltenstherapie wie DBT oder ACT wiederfinden. Patienten werden dabei angeleitet, Bewältigungsversuche im Sinne einer aktiven Emotionsregulation zu unterlassen und stattdessen angehalten, Emotionen wahrzunehmen und aus einer funktionellen inneren Distanz zu beschreiben und zu akzeptieren, ohne gegen sie anzukämpfen.
Während Behandlungsstrategien in der Schematherapie ursprünglich entsprechend der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Tradition stark zu einem veränderungsorientierten Denken im Umgang mit emotionalen Aktivierungen tendierte, nähern sich Weiterentwicklungen innerhalb der modernen Schematherapie deutlich den Verfahren der 3. Welle an und integrieren sowohl veränderungsorientierte als auch akzeptanzbasierte Strategien der Emotionsregulation.
3 Das Schemakonzept
3.1 Die Lerntheorie der Schemaentstehung
Wenn emotionale Grundbedürfnisse eines Kindes unmittelbar frustriert werden, dann kommt es zunächst zu einer emotionalen Reaktion. Es kann angenommen werden, dass die Intensität dieser Reaktion im Zusammenhang mit der Intensität der Frustration steht. Abhängig davon, ob eher das Bindungs- oder das Selbstbehauptungsbedürfnis frustriert ist, erlebt das Kind Angst, Trauer, Ekel (genervt sein) oder Ärger, mit entsprechenden physiologischen Reaktionen. Als Möglichkeiten der Bewältigung stehen dem Kind vier prototypische Strategien zur Verfügung: Folgen (prosoziales Verhalten), Erstarren (über sich ergehen lassen), in die Flucht gehen und Kämpfen. Die Wahl der Reaktion wird möglicherweise durch das Temperament beeinflusst, v. a. jedoch durch die bisherige Lerngeschichte. Denn die sichtbare Handlung des Kindes führt zu einer Reaktion des Umfelds. Insbesondere die sich wiederholenden Reaktionen wichtiger Erziehungspersonen beeinflussen im Sinne eines operanten Lernens das künftige Verhalten des Kindes. Nicht nur die sichtbaren Handlungstendenzen des Kindes werden im Hinblick auf deren »Effektivität« im Umgang mit anderen Menschen im Rahmen dieses Lernprozesses erlernt, sondern auch die emotionalen und physiologischen Reaktionsanteile. Dadurch entstehen komplexe emotionale Erlebnis- bzw. unbewusste Bewertungsmuster. Dazu gehören auch die Hinweisstimuli im Sinne der klassischen Konditionierung. Kognitive Regeln werden extrahiert und Aussagen/Denkmuster der wichtigen Erziehungsfiguren internalisiert, was zur Entstehung von Grundüberzeugungen führt. Der komplexe Niederschlag solcher sich wiederholenden Erfahrungen bestehend aus erlernten Hinweisstimuli, emotionalen und physiologischen Reaktionen sowie kognitiven (später versprachlichten) Grundüberzeugungen stellt Erlebnismuster dar und wird im Kontext der ST im theoretischen Konstrukt eines »Schemas« zusammengefasst (
Abb. 3.1).
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