Betroffene erleben im Kontakt mit anderen Menschen die Neigung, sich emotional, körperlich oder finanziell zu verausgaben, um diese zufrieden zu stellen oder glücklich zu machen. Der Fokus verschiebt sich stark nach außen und die Unzufriedenheit des Gegenübers wirkt sich auf die Betroffenen im Grunde genommen als »Auslöser« für die Schemaaktivierung aus. Die Selbstfürsorge und die Vorstellung, sich für einen Augenblick als »wichtiger« zu betrachten, löst in diesen Menschen starke Schuldgefühle aus.
Fallbeispiel – 46-jährige Patientin mit dependenter Persönlichkeitsstörung
Eine 46-jährige Patientin wuchs als Einzelkind unter ärmeren Verhältnissen auf. Ihr Vater hatte eine schwere Kinderlähmung und war pflegebedürftig, sie übernahm nicht nur häufig pflegerische Aufgaben, sondern lernte auch, sich für ihn sehr verantwortlich zu fühlen. Ihre Mutter war alkoholkrank und schickte sie häufig am Wochenende in die Kneipe, um für sie Alkohol zu besorgen. Sie lernte, sich komplett nach außen zu orientieren und v.a. die Bedürfnisse anderer Menschen wahrzunehmen und proaktiv zu befriedigen. Die Patientin versorgt heute unter absoluter Vernachlässigung eigener Belastbarkeitsgrenzen ihre vier Söhne (zwischen 18 und 24 Jahre) und ihren Ehemann und übernimmt den Haushalt weitgehend allein, erlebt dies als ihre Verpflichtung und reagiert mit massiven Schuldgefühlen allein bei der Vorstellung, sie könnte am Wochenende etwas für sich planen.
3.2.14 Streben nach Zustimmung und Anerkennung
Begünstigende Kindheitserfahrungen
In vielen Fällen kommt es zur Entstehung dieses Schemas, wenn ein Kind Bindung und Anerkennung überwiegend nur dann bekommt, wenn es sich aktiv dafür bemüht und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die konkreten Verhaltensweisen, welche verstärkt werden, können stark variieren, so dass dieses Schema mit anderen Schemata zusammenhängen und qualitativ entsprechende Unterschiede zeigen kann. Das Zentrale an dieser Erfahrung ist jedoch die Entwicklung einer starken Fokussierung darauf, wie andere auf das eigene Verhalten reagieren und ob man ausreichend wahrgenommen wird.
Auswirkung im Erwachsenenalter
Betroffene tendieren dazu, im Kontakt zu anderen Menschen sich stark im Sinne derer Erwartungen zu verhalten, um gemocht und akzeptiert zu werden. Die eigene Selbstachtung hängt stark davon ab, wie sehr sie von anderen geschätzt werden.
Fallbeispiel – 28-jährige Patientin mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
Eine 28-jährige Patientin mit einer BPS ist Berufssängerin. Sie wuchs in einer Familie auf, die sich sehr für Musik interessierte, auch wenn niemand in der Generation ihrer Eltern professioneller Musiker war. Sowohl sie (Einzelkind), als auch ihre zwei Cousinen nahmen bereits im Grundschulalter Gesangsunterricht. Bei jedem Familienfest sangen alle drei Kinder vor, wobei ihre Mutter sie anschließend häufig mit ihren Cousinen verglich und sehr kritisch und leistungsorientiert war. Sie lernte, sehr stark darauf zu achten, wie viel Aufmerksamkeit sie während des Vorsingens bekam und insbesondere die Reaktion des »Publikums« auf sie und ihre Cousinen zu vergleichen. Sie war nur zufrieden, wenn jeder im Publikum sie während der ganzen Zeit beachtete und auch anschließend applaudierte und fühlte sich immer sehr verletzt, wenn Menschen wegschauten oder sich für einen Moment miteinander unterhielten. Noch heute ist die Patientin sehr auf die Akzeptanz und auf die Bewunderung anderer bedacht, was sich nicht nur auf das Singen beschränkt. Insgesamt erwartet sie fast ständig die Aufmerksamkeit und die Bewunderung durch ihre Mitmenschen, sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich.
3.2.15 Emotionale Gehemmtheit
Begünstigende Kindheitserfahrungen
Dieses Schema entsteht häufig durch negative Erfahrungen als Konsequenz vom Ausdruck von Gefühlen und Emotionalität. Wenn ein Kind grundsätzlich bestraft wird, wenn es Emotionen und Bedürfnisse äußert, dann lernt dieses Kind in aller Regel, den Ausdruck von Emotionalität als sehr bedrohlich zu erleben. In manchen Fällen wird die Entwicklung dieses Schemas auch am Modell erlernt, wenn Bezugspersonen sehr emotional gehemmt sind und diese Haltung dem Kind »vorleben«.
Auswirkung im Erwachsenenalter
Betroffene erleben Emotionen und insbesondere deren Ausdruck als bedrohlich oder existenzgefährdend, abhängig von der Erfahrung, die sie in der Kindheit damit machten. In moderateren Fällen aktiviert sich dieses Schema in Situationen, in denen Betroffene direkt aufgefordert oder erbeten werden, sich emotional zu äußern. In schweren Fällen aktiviert sich dieses Schema fast »präventiv« in jeglicher Form von Kontakt zu anderen Menschen. Bei einem aktivierten emotionalen Gehemmtheitsschema fällt es dem Betroffenen sehr schwer, eigene emotionale Reaktionen introspektiv wahrzunehmen und zuzuordnen und noch mehr, diese zu zeigen.
Fallbeispiel – 31-jährige Patientin mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
Eine 31-jährige Patientin mit einer BPS wirkt immer sehr fassadär, lächelt ununterbrochen und trägt sehr viel Make-up, als wollte sie sich verstecken. Insbesondere wenn es ihr nicht gut geht, scheint sie sehr automatisiert zu lächeln und ihre Gefühle verstecken zu wollen. Bei Betrachtung ihrer Lebensgeschichte finden sich massive Traumata in der Kindheit und Jugend, sowohl mit emotionaler als auch mit körperlicher und sexueller Gewalt. Ihre alkoholkranken Eltern schlugen sie regelmäßig, wobei sie dafür immer nackt in der Badewanne stehen musste, sodass sie sich gleich waschen konnte, wenn sie während der Schläge einnässen würde. Die Patientin lernte, dass die Schläge schneller aufhören, wenn es ihr gelang, bis zum ersten Schlag mit dem Gürtel nicht zu weinen. Auch heute erlebt sie jegliche Form von emotionalem Ausdruck als potenzielle Bedrohung.
3.2.16 Überhöhte Standards
Begünstigende Kindheitserfahrungen
In den meisten Fällen entsteht dieses Schema, wenn Kinder primär aufgrund ihrer Leistungen bewertet und nur bei guten Ergebnissen oder hohen Schulnoten belohnt werden. Dies führt dazu, dass Kinder den natürlichen Drang zu spielen und Spaß zu haben zugunsten der Leistungsorientiertheit »opfern«.
Auswirkung im Erwachsenenalter
Betroffene erleben i. d. R. jede Form von Aufgabe als möglichen Konkurrenzkampf, bei dem es gilt, der Beste zu sein. Leistungsbezogenheit etabliert sich wie ein übergeordnetes Lebensthema, sodass auch nicht primär mit Bewertungen assoziierte Tätigkeiten zu solchen gemacht werden. Der eigene Selbstwert und auch das Recht, gemocht zu werden, hängen in den Augen von Betroffenen maßgeblich von den eigenen Leistungen ab.
Fallbeispiel – 19-jährige Studentin mit depressiver Krise
Eine 19-jährige Patientin wurde schwer depressiv und erlitt eine suizidale Krise nachdem sich ihre Leistungen im Studium verschlechterten. Sie hatte sich in den Monaten zuvor erstmalig in ihrem Leben auf eine Liebesbeziehung eingelassen und war von ihrem Freund sehr enttäuscht worden, was sie emotional sehr belastete und vom Studium ablenkte. Insbesondere ihr Vater war in ihrer Kindheit massiv leistungsorientiert und zwang seine Kinder jeden Samstag dazu, die Kinderzimmer aufzuräumen bevor er eine Kontrollrunde machte, bei der er die Sauberkeit der jeweiligen Zimmer benotete. Eine schlechte Note wurde bereits in frühen Jahren ihres Lebens mit entwertenden und enttäuschten Blicken und Ignoranz bestraft. Ab der Schulzeit wurde sie immer angehalten, mindestens 2er zu bekommen, wobei eine 1 immer das Ziel sein sollte. Die Patientin definierte sich und ihren Selbstwert über ihre schulischen Leistungen und versuchte immer, Klassenbeste zu sein.
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